Änderung des Infektionsschutzgesetzes: Corona-Maß­nahmen: Freedom-Day oder zurück zum Fli­cken­tep­pich?

von Sarah Leclercq

19.03.2022

Der 20. März wurde in Deutschland als Freedom-Day herbeigesehnt oder -befürchtet, seit Bund und Länder angekündigt haben, dass dann die letzten strengen Schutzmaßnahmen aufgehoben werden sollen. Doch fallen tatsächlich alle Corona-Maßnahmen weg?

Am 20. März 2022 sollte Schluss sein mit den meisten Anti-Corona-Maßnahmen. Das Infektionsschutzgesetz (IfSG) hat in seiner früheren Fassung für diesen Tag ein Verfallsdatum vorgesehen. Um künftige Schutzvorkehrungen der Bundesländer gegen die Corona-Pandemie auf eine neue gesetzliche Grundlage zu stellen, bedurfte das IfSG einer Gesetzesänderung. Das am Freitag vom Bundestag verabschiedete neue IfSG sieht vor, dass die Länder wieder mehr Entscheidungsgewalt bekommen. Es stehen gleichzeitig aber insgesamt weniger und eher niedrigschwellige Maßnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 zur Verfügung.   

Trotz steigender Infektionszahlen in ganz Deutschland hält die Ampelkoalition an ihrem dreistufigen Öffnungsplan fest. Im ersten Schritt wurden private Zusammenkünfte für Geimpfte und Genesene wieder ohne Teilnehmerbegrenzung ermöglicht und die Zugangsbeschränkungen im Einzelhandel aufgehoben. Ab dem 4. März folgte die Einführung von 3G im Gastronomiebetrieb. Nur mit 2G-plus Kontrollen durften Diskotheken und Clubs wieder öffnen und Großveranstaltungen durchgeführt werden.  

Im letzten Schritt, der für den 20. März festgelegt worden war, sollen strengere Schutzmaßnahmen, wie zum Beispiel Zugangsbeschränkungen und die Homeoffice-Pflicht, wegfallen.  

Nur sogenannte Basisschutzmaßnahmen werden weiterhin gelten. Darunter fallen die Maskenpflicht in Krankenhäusern, Dialyse- und Pflegeeinrichtungen, Einrichtungen zur gemeinschaftlichen Unterbringung von Asylbewerbern, dem Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) sowie Testpflichten zum Schutz vulnerabler Personen unter anderem in den oben genannten Bereichen, aber auch in Kitas und Schulen. Bundesweit soll auch die Maskenpflicht in Zügen und Flugzeugen erhalten bleiben.

Hotspot- und Übergangsfrist zögern "Freedom-Day" hinaus

Neben den Basisschutzmaßnahmen tritt eine sogenannte Hotspot-Regelung in Kraft. Hiernach stehen erweiterte Schutzmaßnahmen für die Länder zur Verfügung, sollte es zu einer lokal begrenzten, bedrohlichen Infektionslage kommen. Dies kann neben einem besonders starken Anstieg der Neuinfektionen auch bei einer bedrohlichen Virusvariante oder einer drohenden Überlastung der Krankenhauskapazitäten der Fall sein. Unter erweiterte Schutzmaßnahen fallen etwa die Maskenpflicht, das Abstandsgebot und weitere Hygienekonzepte.  

Jedoch setzt die Einführung dieser Hotspot-Maßnahmen voraus, dass das Parlament des jeweiligen Landes in Bezug auf die konkret betroffene Gebietskörperschaft das Bestehen der “konkreten Gefahr einer sich dynamisch ausbreitenden Infektionslage und die Anwendbarkeit der erweiterten Schutzmaßnahmen festgestellt hat‘‘.

Das Gesetz sieht zudem eine Übergangsfrist vor, innerhalb derer die Landesparlamente ihre bisher geltenden Regelungen abändern können. So können Maßnahmen, die auf der Grundlage des bisherigen IfSG getroffen worden sind, noch bis zum 2. April verlängert werden.  

Erneuter Flickenteppich droht

Die Bundesländer wollen von der Übergangsregel Gebrauch machen, um für ihre Bürgerinnen und Bürger Planungssicherheit zu schaffen. Sie halten die Öffnungsstrategie des Bundes für verfrüht und haben kein Verständnis für das geplante Vorgehen. Der 20. März wird damit in Deutschland nicht zum allgemeinen Freedom-Day werden. Vor allem die allgemeine Maskenpflicht in Innenräumen und die Zugangsbeschränkungen werden den Bürgerinnen und Bürgern noch mindestens zwei Wochen erhalten bleiben.  

Während im Saarland und in Berlin die aktuelle Corona-Verordnung nur bis zum 31. März verlängert wurde, haben sich andere Bundesländer wie Niedersachsen, Hamburg, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Brandenburg, Hessen, Thüringen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt Bremen und Mecklenburg-Vorpommern für die Anwendung der Übergangsfrist bis zum 2. April entschieden.  

Hamburg begründet dies mit dem Ende der Frühjahrsferien und dem damit in der Regel einhergehenden höheren Infektionsgeschehen. Der Gesundheitsminister von Rheinland-Pfalz, Clemens Hoch (SPD), betont neben den hohen Infektionszahlen die nötige Unterstützung der Pflegekräfte, die zurzeit selbst oft erkranken und möchte durch die knapp zwei weiteren Wochen eine Verschnaufpause schaffen.  

Überlastung der Krankenhäuser als Maßstab

In Bayern bleibt es bis zum 2. April bei den bisherigen 2G- und 3G-Zugangsregeln und bei der Maskenpflicht auch in Schulen sowie im Handel. Allerdings mit einer Ausnahme: In Grund- und Förderschulen entfällt die Maskenpflicht im Unterricht ab dem kommenden Montag (21. März), eine Woche später (ab dem 28. März) auch in den fünften und sechsten Klassen.

Das Gesundheitsministerium von Mecklenburg-Vorpommern plant zudem nach dem Gebrauch der Übergangsfrist eine Hotspot-Regelung für ganz Mecklenburg-Vorpommern. Begründet wird dies gegenüber LTO mit einer flächendeckend hohen Inzidenz (zuletzt bei 2.384) und einer starken Belastung der Krankenhäuser. Dabei soll die Maskenpflicht über den 2. April hinaus wie auch die 2G bzw. 2G+-Regeln und die Testpflicht in einzelnen Bereichen (z.B. Diskos/ Clubs/ Großveranstaltungen) fortbestehen.  

Schleswig-Holstein geht schon jetzt in großen Teilen den Weg der Lockerung. Ab Sonntagabend entfällt dort die Testpflicht in nahezu allen Bereichen des öffentlichen Lebens, abgesehen von zum Beispiel Kitas, Schulen und Krankenhäusern. Die Maskenpflicht bleibt aber noch bis zum 2. April bestehen. Dass diese Lockerung möglich ist, liegt auch an der in Schleswig-Holstein sehr hohen Impfquote. Zudem sei das Gesundheitssystem in Schleswig-Holstein derzeit nicht durch Corona-Erkrankungen überlastet, so Regierungssprecher Marius Livschütz gegenüber LTO.

Kritik an der Bundesregierung

Schon im Vorfeld stieß vor allem die geplante Hotspot-Regelung im Gesetzesentwurf in der Politik auf viel Kritik. Gesundheitsministerin Heike Werner (Linke) aus Thüringen bezeichnet gegenüber LTO die vorgesehene alleinige Entscheidungsgewalt des Landtags über Maßnahmen mit geringer Eingriffstiefe als unpraktikabel. Werner meint, ‘‘ein schnelles Handeln der Landesregierung bei steigendem Infektionsgeschehen ist so nicht mehr möglich.“  Ebenso kritisiert Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident Niedersachsens, es sei praxisfern, dass durch Landesregierung und Landtag spezifische Maßnahmen für einzelne Landkreise oder kreisfreie Städte festgelegt werden sollten.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) versucht derweilen, Zweifel an der Rechtssicherheit der Neuregelung auszuräumen. Zwar enthält das neue IfSG keinerlei nähere Angaben bezüglich der Hotspot-Regelung, wann zum Beispiel eine Überlastung der Krankenhauskapazität oder ein besonders starker Anstieg an Neuinfektionen vorliegt. Dennoch hält Lauterbach das neue IfSG für rechtssicher: "Der Bundesjustizminister hat hier mit mir verhandelt und bürgt hier quasi für die Rechtssicherheit des Gesetzes. Daher glaube ich, das wird funktionieren."

Sicher ist jedenfalls, dass der in der Öffentlichkeit ersehnte Freedom-Day am 20. März 2022 anders ausfallen wird als erwartet. Statt der Aufhebung aller Beschränkungen bleiben die jetzigen Maßnahmen in den meisten Bundesländern zumindest bis zum 2. April bestehen. Welche Regeln danach gelten und wo Hotspot-Gebiete identifiziert werden, lässt sich zurzeit nicht vorhersagen. Es sieht ganz danach aus, als würde Deutschland im Hinblick auf Coronaregeln wieder Schritt für Schritt zum Flickenteppich werden.  

Mit Materialien der dpa

Zitiervorschlag

Änderung des Infektionsschutzgesetzes: . In: Legal Tribune Online, 19.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47883 (abgerufen am: 04.10.2024 )

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