Verschwundene Akten, verdeckte Ermittler und gute Neuigkeiten für die Angeklagten. Das LG sieht zu wenig Beweise gegen Rechtsanwalt R. Bleibt es dabei, gibt es keine "Bande" und die Strafandrohung auch für "Shiny Flakes" sinkt erheblich.
In gewohnter Manier startet auch der 8. Verhandlungstag im Candylove-Prozess mit einer Verzögerung vor dem Landgericht Leipzig. Der durch die Netflix-Dokumentation bekannt gewordene Maximilian Schmidt – heute im dunkelroten Hemd – und die anderen Angeklagten warten gemeinsam mit ihren Verteidigern schon im Gerichtssaal. Auch Friedemann G. wird dieses Mal pünktlich von zwei Mitarbeitern der Justiz in Handschellen in den Saal geführt, die Kammer selbst verspätet sich aber. Nach Vorgeplänkel um eine verloren gegangene Akte wird der geladene Zeuge aufgerufen, ein Kriminalbeamte.
„Sendungsverfolgung war nicht wie bei DHL oder Hermes“
Laut seiner Aussage tätigten verdeckte Ermittler insgesamt fünf Testbestellungen im Candylove-Webshop mit dem Ziel, den Tatnachweis zu führen. Der Zeuge war für die Planung und Durchführung des Einsatzes der verdeckten Ermittler zuständig. Insbesondere wollte man dabei herausfinden, ob überhaupt Betäubungsmittel über den Shop versendet werden und wenn ja, welche.
Ende September 2019 habe die erste Testbestellung im Candylove-Webshop gegeben. Zur Bestellung musste zunächst eine Registrierung unter der Angabe einer Email und eines Passwortes erfolgen. Erst danach war es dem verdeckten Ermittler möglich, eine Einheit Methamphetamin im Wert von 42€ zu bestellen. Nachdem es sich bei der versendeten Ware tatsächlich um Betäubungsmittel handelte, folgten vier weitere Testbestellungen zwischen Oktober 2019 und Januar 2020. Ziel der weiteren Bestellungen war es unter anderem, die Funktion der im Webshop angegebenen Möglichkeit der Sendungsverfolgung ab einem Warenwert von 100€ zu testen und so weitere Erkenntnisse über die Absender zu gewinnen.
Gesagt, getan: Es folgte also eine Bestellung im Wert von mindestens 100€. Die Sendungsverfolgung fiel allerdings nicht so aus wie erhofft, denn aktualisierbare Ortsangaben wie bei DHL oder Hermes gab es nicht. Stattdessen wurde dem verdeckten Ermittler nach Abschluss der Bestellung ein Link zugesendet, der eine Bild- und eine Textdatei enthielt. Die Bilddatei enthielt Bilder vom beschrifteten Kuvert und von den bestellten Betäubungsmitteln und die Textdatei eine Versicherung seitens der Versender über die Versendung der bestellten Ware. Von einer echten Sendungsverfolgung konnte also nicht die Rede sein.
Neben der Kammer stellte allein Schmidts Verteidiger Engel ein paar Fragen an den Zeugen. Unter anderem hinterfragte er die Sinnhaftigkeit des Einsatzes eines verdeckten Ermittlers und ob der Freistaat Sachsen die Zahlung der bestellten Betäubungsmittel im Webshop übernommen habe. Schmidt selbst bemerkte man heute kaum: Neben einem kurzen Lacher in der Verhandlungsunterbrechung gemeinsam mit dem wegen Beihilfe Angeklagten Jens M., blieb er weitgehend stumm.
Der seidene Banden-Faden reißt
Auf Nachfrage von Engel nach einem möglichen Verständigungsvorschlag seitens des Gerichts, findet der Vorsitzende Richter erneut klare Worte zum aktuellen Stand des Verfahrens. Er wiederholte den Standpunkt der Kammer, dass nach derzeitigen Kenntnissen nicht von einer Bandenabrede auszugehen sei und kein tatmehrheitliches Vorgehen vorliege. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht eine Bande aus einem Zusammenschluss von mindestens drei Personen. Bereits am 6. Verhandlungstag äußerte die Kammer im Rechtsgespräch zwischen den Beteiligten Bedenken am Vorliegen einer Bande.
Die Frage nach der Bandenabrede ist für das Strafmaß von außerordentlicher Bedeutung: Nach § 30a BtMG, der das bandenmäßige Handeltreiben von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Strafe stellt, beträgt die Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren. Sollte die Kammer bei ihrem Standpunkt bleiben, richtet sich das Mindeststrafmaß nach § 29a BtMG und ist nicht unter einem Jahr.
Angeklagt sind als Mitglieder der Bande Maximilian S., Friedemann G. und sein damaliger Anwalt R., also genau drei Personen. Zwischenzeitlich wurde es in Erwägung gezogen, die wegen Beihilfe Angeklagten Jens M. und Julius M. ebenfalls als Bandenmitglieder anzusehen. Hier positionierte sich der Vorsitzende deutlich: Grundsätzlich sei es zwar möglich, dass Beteiligte, die Beihilfe leisten, Mitglieder einer Bande sein könnten. Allerdings sei es dann erforderlich, dass sie einen Einfluss auf die Art und die Vielzahl der Taten hatten. Nachdem sich vier der fünf Angeklagten zur Sache eingelassen und im Kern übereinstimmende Angaben gemacht hatten, sieht die Kammer dieses Erfordernis für Jens M. und Julius M. nicht als erfüllt an. Wie Friedemann G. am letzten Verhandlungstag mit seiner Einlassung bestätigte, sollten sich die beiden Männer allein um die weisungsgemäße Verpackung und Versendung der bestellten Betäubungsmittel in der Bunkerwohnung kümmern und erhielten dafür einen festen monatlichen Betrag. Alles Weitere fiel nicht in ihren Aufgabenbereich. Dies deckt sich auch mit den Einlassungen der beiden wegen Beihilfe Angeklagten.
Der seidene Banden-Faden könnte mit der Positionierung der Kammer zur Stellung des Angeklagten Anwalts R. nun endgültig reißen. Entfällt seine Strafbarkeit und bleiben damit nur zwei Haupttäter, liegt auch keine Bande mehr vor.
Angeklagter Rechtsanwalt kommt womöglich unbestraft davon
Eine Verurteilung des angeklagten Rechtsanwalts R. ist nach heutiger Aussage des Gerichts unwahrscheinlicher geworden. Aus der Zeugenaussage vom letzten Verhandlungstag ging eindeutig hervor, dass der Tatverdacht gegen den R. erst aus der überwachten Kommunikation zwischen ihm und dem anderen Hauptangeklagten Friedemann G. entstanden sei. Die zentrale Frage nach möglichen Beweiserhebungs- und verwertungsverboten ließ das Gericht zwar weiterhin offen. Der Vorsitzende Richter stellte jedoch klar, dass es nur schwer möglich sei, bei den einzelnen Gesprächen zu unterscheiden, ob es einen Mandatsbezug gab oder gerade nicht. Genau danach richtet sich aber deren Verwertbarkeit. Weiterhin wurde seitens der Kammer auf die strenge Handhabung rund um § 160a StPO verwiesen. Unter diesen Gesichtspunkten habe man zu überlegen, was für den R. überhaupt noch übrig bliebe. Nach aktuellem Stand gehe die Kammer davon aus, dass die übrig gebliebene verwertbare Kommunikationsüberwachung zwischen R. und G. nicht für eine Verurteilung des R. genügen würden. Am Ende der Stellungnahme macht der Vorsitzende deutlich, dass es sich – wie vermutet – nicht um eine endgültige Bewertung handele, das Gericht aber den aktuellen Stand der Dinge mit den anderen Verfahrensbeteiligten teilen wollte.
Ende gut, alles gut?
Während bei diesen Erkenntnissen für Schmidt und G. die bandenmäßige Begehung vom Tisch wäre, dürfte das für R. bei einem Freispruch die Rettung seiner beruflichen Existenz bedeuten. Auch für G. wurde zum Ende des Verhandlungstages erneut eine Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO thematisiert, die die Staatsanwaltschaft aber zunächst von sich wies.
Die Auswertung der verschlüsselten Datenträger und die von Engel eingeforderten Kopien wurden heute nicht erneut thematisiert. Eine zeitliche Abschätzung zur Dauer der Entschlüsselung der Sachverständigen gab es daher wohl noch nicht. Der Verhandlungstag endet mit einem Rechtsgespräch zwischen den Verfahrensbeteiligten unter Ausschluss der Öffentlichkeit, dessen Inhalt wohl am nächsten Verhandlungstag am 15.03.2023 zu Protokoll gegeben wird. Es wird sich zeigen, ob es dann neue Erkenntnisse über einen möglichen Verständigungsvorschlag des Gerichts und die Verwertbarkeit der Telekommunikationsüberwachung zwischen G. und R. gibt.
Anne Baldauf ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Strafrecht, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie und Doktorandin an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Sie hat außerdem einen Masterabschluss im Studiengang Medizin-Ethik-Recht (M.Mel).
8. Verhandlungstag im Candylove-Prozess: . In: Legal Tribune Online, 13.03.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51301 (abgerufen am: 04.12.2024 )
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