Die Ampel prüft, ob Schwangerschaftsabbrüche künftig straffrei werden könnten. Die Union im Bundestag protestiert. In einem Brief an die Fraktion warnen Rechts- und Familienpolitiker vor einer "unverantwortlichen Spaltung" der Gesellschaft.
Wird § 218 Strafgesetzbuch (StGB), der den Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich unter Strafe stellt, die nur unter den Voraussetzungen des § 218a StGB wieder entfällt, bald aus dem StGB gestrichen? Seit Ende März berät u.a. über diese Frage eine unabhängige und interdisziplinär besetzte Sachverständigenkommission der Bundesregierung ("Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin"). Diese setzt sich aus Fachleuten der relevanten wissenschaftlichen Bereiche Medizin, Recht, Gesundheits- und Sexualwissenschaft sowie Psychologie zusammen. Berufen wurden sie im Einvernehmen der Bundesfamilienministerin, des Bundesgesundheitsministers sowie des Bundesjustizministers.
Ihr Auftrag lautet nun u.a., Vorschläge zu machen, wie die Vorgabe des Koalitionsvertrages in puncto §§ 218, 218a StGB umgesetzt werden kann. SPD, Grüne und FDP hatten sich zu Beginn der Legislatur darauf verständigt, "Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuchs" zu prüfen. Federführend ist das Bundesgesundheitsministerium. Der Abschlussbericht der Kommission mit konkreten Gesetzesvorschlägen soll Ende 2024 vorgelegt werden.
Obwohl also eine mögliche Streichung des § 218 StGB noch in weiter Ferne liegt, trommeln Parlamentarier von CDU und CSU bereits jetzt für die Beibehaltung des Status quo – als würde eine Reform unmittelbar bevorstehen.
"In Deutschland haben wir eine kluge Regelung"
Am Mittwoch verschickten die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Andrea Lindholz und Dorothee Bär (beide CSU) sowie die rechts- und familienpolitischen Sprecher der Unionsfraktion Günter Krings und Silvia Breher (beide CDU) eine Art Brandbrief an ihre Kolleginnen und Kollegen der Bundestagsfraktion.
In dem Schreiben warnen die vier MdBs eindringlich davor, das geltende Schutzkonzept betreffend das ungeborene Leben über Bord zu werfen. "In Deutschland haben wir eine kluge Regelung, die das Selbstbestimmungsrecht der Frau sichert und zugleich das Lebensrecht des ungeborenen Kindes und Hilfen im Schwangerschaftskonflikt berücksichtigt." Mit der Beratungspflicht setze diese auch das Schutzkonzept zugunsten des Kindes, das das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) aus dessen Lebensrecht abgeleitet habe, wirksam um. Außerdem seien Abtreibungen in den ersten zwölf Wochen bei Einhaltung der Beratungs- und Wartepflicht bereits heute ausdrücklich von der Strafbarkeit ausgenommen.
Als Beleg dafür, warum an der geltenden Rechtslage nicht gerüttelt werden dürfe, zitieren die Unionspolitiker aus Entscheidungen des BVerfG. Dieses habe "klar entschieden, dass Schwangerschaftsabbruch für die ganze Dauer der Schwangerschaft grundsätzlich als Unrecht angesehen und demgemäß rechtlich verboten sein müsse".
"Streichung von § 219a bereits falscher Schritt"
Der Ampel werfen die Unions-MdBs vor, bereits mit der Abschaffung des § 219a StGB (Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche) vor gut einem Jahr "einen Schritt in die falsche Richtung" gegangen zu sein. Würde es nun auch noch zu einer Streichung von 218 StGB kommen, befürchten die CDU/CSU-Parlamentarier das Schlimmste:
"Die insbesondere von den Grünen und der SPD damit angestrebte Aufbrechung des austarierten Abtreibungskompromisses würde unsere Gesellschaft in unverantwortlicher Weise spalten und gerät in Konflikt mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum verfassungsrechtlich gebotenen Schutz des ungeborenen Lebens." Das Thema sei denkbar ungeeignet für ideologischen Aktivismus und regierungsamtliche Vorgaben.
Zweifel an Unabhängigkeit der Sachverständigenkommission
Zweifel äußern die Unionspolitiker auch an der Unabhängigkeit der eingesetzten Sachverständigen-Kommission und daran, dass diese überhaupt ergebnisoffen berät. So sei es höchst bedenklich, "dass die Mitglieder der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin lediglich von der Regierungskoalition ausgewählt wurden. Die Kommission deckt ein sehr begrenztes Spektrum ethisch relevanter Bereiche unserer Gesellschaft ab und deutet auf eine gezielte Vorauswahl zur Sicherstellung eines in der Koalition gewollten Ergebnisses hin".
Lindholz, Bär, Krings und Breher hoffen nun, dass ihr Brief die Kolleginnen und Kollegen in der Fraktion aufrüttelt und sie für das Thema sensibilisiert. Ihr Appell: "Gerade wir als CDU/CSU-Fraktion dürfen die Behandlung dieser bedeutenden ethischen Fragen nicht allein der Bundesregierung und der von ihr eingesetzten Kommission überlassen. Wir werden daher selbst in geeigneter Form allen Abgeordneten die Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit diesen grundlegenden Themen eröffnen und dabei neben dem Selbstbestimmungsrecht der Frau auch dem Schutz des ungeborenen Lebens und der Einhaltung unserer Grundrechtsordnung den angemessenen Stellenwert einräumen."
Warnung vor Streichung von § 218 StGB: . In: Legal Tribune Online, 06.09.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52645 (abgerufen am: 08.10.2024 )
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