In einer bewegenden Abschiedsrede reflektierte Susanne Baer ihre Rolle als erste offen lesbische Verfassungsrichterin. Sie und Gabriele Britz warnten vor populistischen Angriffen auf das BVerfG. Christian Rath hat zugehört.
Wenn langjährige Verfassungsrichter gehen und neue Verfassungsrichter kommen, wird zweimal gefeiert. Einmal in Berlin im Schloss Bellevue. Dabei hält der Bundespräsident kurze Ansprachen und überreicht vor allem die Urkunden, mit denen die Amtszeiten beginnen bzw. enden.
Die zweite Feier findet jeweils einige Wochen später in Karlsruhe statt. Im Bundesverfassungsgericht lässt Gerichtspräsident Stephan Harbarth Leben und Amtszeit der Kollegen Revue passieren, verabschiedet und begrüßt sie mit freundlichen Worten. Höhepunkt sind aber die Abschiedsreden der scheidenden Richter.
Eifert für Baer, Meßling für Britz
Am Freitag gab es gleich zwei Festakte in einem. Rechtsprofessorin Susanne Baer wurde verabschiedet, ihr Nachfolger Martin Eifert, ebenfalls Rechtsprofessor, begrüßt. Beide waren auf Vorschlag der Grünen gewählt worden.
Rechtsprofessorin Gabriele Britz schied nach zwölf Jahren ebenfalls aus. Ihre Nachfolgerin ist Miriam Meßling, bis Anfang des Jahres Vizepräsidentin des Bundessozialgerichts. Beide wurden von der SPD nominiert.
Baer hatte 17 Senats-Entscheidungen vorbereitet, darunter die Urteile zum Asylbewerberleistungsgesetz, zu Vereinsverboten und jüngst zur Triage. Britz war sogar bei 27 Senats-Entscheidungen Berichterstatterin. Die bekanntesten: der Klimabeschluss, die Anerkennung eines dritten diversen Geschlechts und das Urteil zum Bayerischen Verfassungsschutzgesetz.
Keine Vorurteile in Karlsruhe
Baers Abschiedsrede war die eindrücklichste seit langem. Sie sprach übers Zuhören und übers Dazugehören. "Ihr habt mir das Gefühl gegeben, dazuzugehören und damit auch gehört werden zu können", sagte sie zu Ihren Ex-Kollegen vom Ersten Senat.
"Für 'jemanden wie mich' - diese Formulierung habe ich so oft gehört - ist Zugehörigkeit nicht selbstverständlich", erläuterte die erste offen homosexuell lebende Richterin des Bundesverfassungsgerichts. Als sie vorgeschlagen wurde, beschrieb sie eine Zeitung als "radikal feministische lesbische Kandidatin", eine andere schrieb: Baer sei "anders als die Richterinnen vor ihr", mit einer Frau verpartnert und mit Spezialgebieten, die "viele Juristenkollegen schaudern lassen", etwa Gender Studies.
Am Abend vor der Wahl im Bundestag gab es noch eine informelle Anhörung bei einer Bundestagsfraktion. Ein Abgeordneter wollte wissen, ob Baers sexuelle Orientierung Einfluss auf ihre Rechtsprechung haben werde. Sie habe damals entgegnet: "Wenn Sie mich in Verfahren mit Bezug auf gleichgeschlechtliche Paare für befangen halten, dann sind das ja alle heterosexuellen Kolleg:innen, wenn ihre Lebensweise irgendwie von Bedeutung ist, auch." Und dann müsse sie ja wohl eine Menge allein entscheiden.
Doch in Karlsruhe spielte das alles keine Rolle, erinnerte sich an Freitag Baer erleichtert, "das war unglaublich wichtig für mich." Auch bei den Beschäftigten des Gerichts habe sie keinerlei Vorurteile bemerkt, "die Bundespolizei hat mir ganz direkt und persönlich Unterstützung angeboten, als ich bedroht wurde."
Sie spreche dies so deutlich an, betonte Baer, "weil sie wieder da sind, die Vorurteile. Lauter sogar. Sehr laut und nicht nur rechts außen."
"Unterschiedlich trainierte Ohren"
Baer plädierte auch für mehr Diversität in der Justiz. "Diversität ist bereichernd", sagte sie, und gerade in der Justiz wichtig, "damit Gerichte den Menschen gut zuhören können, mit unterschiedlich trainierten Ohren". Es sei auch für die Akzeptanz von außen gut, "wenn hier Menschen arbeiten und andere hier Menschen sehen, die mit mehr oder weniger Geld, Bildung, Mobilität und anderen Ressourcen aufgewachsen sind."
Sie warnte, dass auch in Deutschland Kräfte erstarken, die "Grundrechtsschutz, der seinen Namen verdient", nicht mögen. "Sie rufen Karlsruhe an, diffamieren das Gericht aber zugleich, bekämpfen es als Teil des Systems. Sie sehen sich als die wahren Verfassungshüter, wollen diese Verfassung aber eigentlich nicht."
Baer warnte, dass solche Kräfte an etablierte Positionen anknüpfen können, etwa die demokratieheoretische Skepsis gegenüber Verfassungsgerichten oder die Frage nach gerichtlicher Kontrolldichte. Solche legitimen Diskussionen seien aber zunehmend mit einer diffusen Diffamierung des BVerfG verknüpft, so Baer.
Populisten verbreiteten das Ressentiment, dass das BVerfG einseitig und "woke" sei, sich nur um Minderheiten kümmere. Natürlich sei Grundrechtschutz immer Minderheitenschutz, entgegnete dem Baer, aber es könne sich eben auch ändern, wer Minderheit ist. "Wenn ein Grundrechtsschutzgericht diffamiert wird, geht das alle an". Auf Baers Rede folgte sehr, sehr langer Beifall.
Nicht in der Öffentlichkeit Beifall suchen
Britz betonte, dass Verfassungsrechtsprechung "ein Handwerk ist", das dazu diene, "die Normgehalte zur Geltung zu bringen".
Entscheidend sei das Ringen um das beste Argument, dass beim Bundesverfassungsgericht durch mehrere gesetzliche Vorgaben gestützt werde, so Britz: Die Pflicht "die Entscheidungen zu begründen, die Nicht-Öffentlichkeit der Beratungen und die lange Amtszeit ohne Wiederwahlmöglichkeit."
"Das Gericht ist umso stärker, je weniger die Richter für ihre Position in der Öffentlichkeit Beifall suchen," sagte Britz, die in ihrer Amtszeit so gut wie keine Interviews gab. Kehrseite sei, dass das Bundesverfassungsgericht sich auch gegen populistische Angriffe nicht richtig wehren könne.
Britz hatte diesmal auch das musikalische Rahmenprogramm ausgewählt. Die Schlagzeugerin Leonie Klein spielte solo mehrere Kompositionen für Percussions-Instrumente, von der Handzimbel über die Trommel bis zur Baßpauke. Nach der Rede von Baer intonierte sie das Stück "Thunder".
Abschied von Baer und Britz am BVerfG: . In: Legal Tribune Online, 27.05.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51872 (abgerufen am: 08.11.2024 )
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