Die humanitäre Lage verhindert Rückführungen nach Syrien nicht generell, sondern abhängig vom Einzelfall. Die Politik sollte daneben aber auf Rückkehrförderung, Erkundungsreisen und Bleiberechte für gut Integrierte setzen, meint Daniel Thym.
Monatelang ist die Politik der Frage ausgewichen, was der Sturz des Assad-Regimes für die in Deutschland lebenden Syrer bedeutet. Dieses Zögern lag auch daran, dass sich die Politik in einer Zwickmühle befindet. Offiziell sind die Behörden nach § 73 Asylgesetz (AsylG) verpflichtet, einen positiven Asylbescheid zu widerrufen, wenn kein Schutzbedarf mehr besteht. Zugleich waren Abschiebungen nach Syrien im großen Stil immer eine Illusion. Auch die Hoffnung des Bundeskanzlers wird sich vermutlich nicht erfüllen, dass "viele" Syrer freiwillig in die Heimat zurückkehren.
Die Bundesregierung benötigt einen realistischen Plan, wie sie die Rückkehr im nennenswerten Umfang organisiert und gleichzeitig für die gut integrierten Syrer eine Bleibegarantie ausspricht. Politisch sind Rückkehrpflicht und Bleiberecht zwei Seiten derselben Medaille. Damit ein solcher Plan gelingt, müssen Politik und Gesellschaft endlich die Schwarz-Weiß-Debatten überwinden, wonach entweder die humanitäre Lage überhaupt keine Rückkehr erlaube oder Syrer in großer Zahl ausreisen sollten.
Juristisch eine Frage der Einzelfallprüfung
Die Rechtslage veranschaulicht das Beispiel von Syrern, die neu einreisen. In den ersten neun Monaten 2025 waren dies erneut mehr als 15.000 Personen. Das waren deutlich weniger als noch 2024, aber im Durchschnitt gleichwohl ungefähr 60 Personen pro Tag, die erfolgreich an den Grenzkontrollen der Bundespolizei vorbei ins Land kamen. Am Ende deren Asylverfahren wird deutlich häufiger als bisher kein Schutzstatus stehen.
Einen Flüchtlingsstatus nach dem Grundgesetz (GG) und der Genfer Flüchtlingskonvention (GfK) wegen politischer, religiöser oder sonstiger Verfolgung wird es nur noch in Einzelfällen geben: etwa für Journalisten, die kritisch über mächtige Personen berichten, oder Menschenrechtsaktivisten. All dies prüft das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in jedem Einzelfall im Asylverfahren. Hierbei kann es sich auch am vorläufigen Lagebericht der EU-Asylagentur orientieren, der juristisch denselben Stellenwert besitzt wie die vertraulichen Berichte des Auswärtigen Amts.
Bisher erhielten die meisten Syrer den schwächeren subsidiären Schutz nach § 4 AsylG wegen des Bürgerkriegs. Dieser ist in den meisten Regionen Syriens so weit abgeflaut, dass der subsidiäre Schutz nicht mehr vergleichsweise pauschal ausgehändigt werden wird. Allerdings bleibt die Sicherheitslage in manchen Regionen prekär: Entführungen gibt es landesweit immer wieder, und nicht nur im Siedlungsgebiet der Drusen im Süden ist die Situation volatil. Deshalb werden einige Menschen weiterhin subsidiären Schutz erhalten.
Juristisch könnte für die Mehrheit der Syrer derselbe Gesichtspunkt maßgeblich sein, den Außenminister Johann Wadephul ansprach: die kaputte Infrastruktur und die schlechte humanitäre Lage. Juristisch meint dies ein Abschiebeverbot wegen krasser Armut gemäß § 60 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) iVm Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Dieses handhaben deutsche Gerichte – meines Erachtens aufgrund eines Missverständnisses – bisher großzügig. Ein Gericht brachte den Maßstab mit der Formel von "Bett, Brot, Seife" auf den Punkt. Es geht um rudimentäre Unterkunft (Bett), Ernährung ohne Hunger (Brot) und essenzielle Gesundheitsversorgung (Seife).
Zerstörte Stadtteile und ländliche Regionen unterscheiden
Diese Bewertung richtet sich nicht nach den Meinungen von Außenminister Wadephul oder Innenminister Alexander Dobrindt. Vielmehr verdeutlicht ein Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) Köln, wie kleinteilig das BAMF und die Gerichte prüfen: den verfügbaren Wohnraum, mögliche Unterkunft bei der Familie, inwiefern als Tagelöhner "durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen" erzielbar ist und ob je nach Alter, Geschlecht und Gesundheit rudimentäre medizinische Versorgung existiert (VG Köln, Urt. v. 03.09.2025, Az. 27 K 4231/25.A, Rn. 83 ff.). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die USA ihre humanitäre Hilfe drastisch reduzierten, sodass derzeit weniger internationale Unterstützung bereitsteht.
Der junge, gesunde und arbeitsfähige Kläger, über dessen Schicksal das VG Köln zu entscheiden hatte, scheiterte mit seiner Klage: Er könne bei seiner Frau in der nordostsyrischen Provinz Hasaka unterkommen und sich, wie bereits vor der Ausreise, beruflich irgendwie über Wasser halten. Hinzu kommt die Starthilfe von meistens 1.000 Euro, die Deutschland bei einer freiwilligen Rückkehr zahlt. All dies führte zur Prognose, dass ihm "alsbaldig" keine Verelendung drohe – wie es das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) formulierte.
Man kann nicht seriös beurteilen, wie viele Syrer hiernach künftig keinen Schutzstatus mehr erhalten werden. 2025 sprach das BAMF bis Ende Spetember 170 Ablehnungen aus*. Meistens dürften diese junge, gesunde und arbeitsfähige Männer betroffen haben, die zur sunnitischen Bevölkerungsmehrheit gehören. Alles weitere richtet sich nach der Lage am Heimatort, familiären Netzwerken und persönlichen Faktoren. In Syrien mag daher konkret für den zerstörten Vorort von Damaskus, den Wadephul besuchte also anderes gelten als für das nordostsyrische Hasaka.
Straftäter und Gefährder: politische Priorisierung
Im Koalitionsvertrag steht kurz und knapp: "Nach Afghanistan und Syrien werden wir abschieben – beginnend mit Straftätern und Gefährdern." Dieser Fokus auf Straftäter und Gefährder ist politisch nachvollziehbar, für den Ausgang eines Asylverfahrens juristisch aber weitgehend irrelevant. Zwar steht in § 60 Abs. 8 AufenthG, dass schwere Straftäter keinen Schutz erhalten. Allerdings betrifft das im Ergebnis vor allem die Aufenthaltserlaubnis, nicht jedoch die menschenrechtlichen Abschiebungsverbote.
Straftaten werden erst auf einer zweiten Stufe relevant, wenn die Politik entscheidet, welche abgelehnten Asylbewerber prioritär abgeschoben werden und bei welchen Syrern man zuerst den Widerruf eines bestehenden Schutztitels prüft – beides Entscheidungen, die wegen tatsächlicher und administrativer Hürden vorerst nur in Einzelfällen praktiziert werden. Die Politik und Verwaltung müssen beschließen, worauf sie ihre knappen Ressourcen bei Widerruf und Abschiebung konzentrieren.
"Abschiebungen im großen Stil" ist eine Illusion
Nun ist es eine Frage der politischen Perspektive, wie viele Abschiebungen man von der Politik erwartet. Angesichts der Rhetorik der letzten Tage dürften einige freilich überrascht sein, dass selbst die Abschiebung von einem Prozent der insgesamt rund 900.000 Syrer, also 9.000 Personen, im kommenden Jahr vermutlich verfehlt werden dürfte. Bundesweit gab es im Jahr 2024 ziemlich genau 20.000 Abschiebungen, in diesem Jahr dürften es wegen der Anstrengungen aller Bundesländer etwas mehr sein.
Allerdings finden die meisten Abschiebungen innerhalb Europas statt: nach Georgien, Nordmazedonien, Türkei, Albanien, Serbien. Die meisten Abschiebungen in außereuropäische Länder gelangen in den Irak (699 Personen), obwohl das BAMF zeitgleich über 5.000 Asylanträge von Irakern ablehnte. Rein mathematisch müssten nach Syrien ein Jahr lang jede Woche zwei Charterflüge mit je 80 Personen starten, um 9.000 Abschiebungen umzusetzen. Nach Afghanistan wurden bisher 109 Afghanen abgeschoben.
Nun sollte man über Lebensschicksale nicht in Prozentziffern spekulieren. Doch darum geht es nicht. Die Rechenbeispiele verdeutlichen, dass Abschiebungen im großen Stil eine Illusion bleiben. Das heißt jedoch nicht, dass die Politik es lassen sollte. Abschiebungsflüge, über die die Medien großflächig berichten, sind ein perfektes Kontrollsignal, um der Bevölkerung zu verdeutlichen, dass die Regierung die Rechtspflicht zur Aufenthaltsbeendigung ernst nimmt. Eben dies dürfte die unausgesprochene Strategie des Innenministers sein: durch Abschiebungsflüge öffentlich Härte kommunizieren, auch wenn diese nur eine kleine Minderheit betreffen.
Freiwillige Rückkehr: günstiger, humaner und pragmatisch
Bundeskanzler Friedrich Merz hofft auf umfangreiche freiwillige Rückkehr, die der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Jens Spahn sogar als patriotische Pflicht ansieht. Tatsächlich kehrten bereits über eine Million Syrer in ihre Heimat zurück, davon ungefähr die Hälfte aus der Türkei, wo die Gesamtzahl der Syrer sich binnen zwei Jahren um ein Drittel reduziert hat. Dabei helfen das UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) und die Internationale Organisation für Migration (IOM) mit praktischen Projekten, die teils von der EU finanziert werden.
Warum gelingt die freiwillige Rückkehr aus der Türkei, während die Forderung von Spahn kaum gehört werden dürfte? Syrer, die nach Deutschland kamen, haben ihre Heimatregion bewusst verlassen, sich also für eine Auswanderung entschieden. Außerdem sind die Lebensbedingungen und Integrationschancen hierzulande deutlich besser als in der Türkei oder im Libanon. Schließlich üben die dortigen Regierungen einen Druck aus, damit Syrer zurückkehren. Alles zusammen erklärt die deutlich höheren Rückkehrzahlen.
Dagegen kehrten meines Wissens bisher erst rund 2.400 Syrer aus Deutschland mit finanzieller Unterstützung zurück; ungefähr genauso viele Anträge werden derzeit noch bearbeitet. Im Vergleich zur Türkei und Libanon sind das "Peanuts", die im Einzelfall aber dennoch politisch wertvoll sein können. So gelang der grün-schwarzen Landesregierung Baden-Württembergs kürzlich ein kleiner Coup, als diese 17 Mitglieder einer teils schwerkriminellen Familie von der freiwilligen Ausreise nach Syrien überzeugte, die derzeit gar nicht hätten abgeschoben werden können.
Eine gesunde Portion an Pragmatismus
In den sozialen Medien wurde heftig kritisiert, dass die syrische Großfamilie aus Stuttgart 23.000 Euro als Starthilfe bekommen hatte. Dennoch wäre es kurzsichtig, wenn die Bundesregierung die Starthilfe streichen würde. Zum einen würden Gerichte dann häufiger ein Abschiebungsverbot wegen krasser Armut annehmen. Zum anderen sind Abschiebungen schlicht teurer (genauso wie Bürgergeld für arbeitslose Syrer). Doch die Schwaben überzeugten nicht nur mit Geld: schnelle Strafverfahren und Abschiebungsdrohungen forcierten die Ausreisebereitschaft.
Rechtspolitisch gehören freiwillige Ausreisen und Abschiebungen also zusammen. Regelmäßige Abschiebungsflüge bewirken, dass mehr Personen freiwillig ausreisen. Außerdem setzt der Staat das Signal, dass sich die Reise nach Deutschland nicht lohnt, und kann so womöglich dazu beitragen, dass 2026 nicht erneut über 15.000 Syrer neu nach Deutschland einreisen. Diese Wechselwirkung muss die Regierung strategisch einsetzen.
Spätestens dann, wenn der erste Abschiebungsflug startet, sollte Innenminister Dobrindt offizielle Erkundungsreisen ermöglichen. Nur wenige dürften zur freiwilligen Ausreise nach Syrien bereit sein, ohne die Situation vor Ort zuvor mit eigenen Augen gesehen zu haben. Die Türkei erlaubt solche "go-and-see visits". Wer einmalig für zwei oder drei Wochen zurückkehrt, sollte den Verlust seines Schutztitels nicht befürchten müssen. In Deutschland müsste dafür die Vermutungsregel nach § 73 Abs. 7 AsylG geändert oder vom BAMF verlässlich anders gehandhabt werden. Nach der Norm wird vermutet, dass bei einer Reise ins Herkunftsland die Voraussetzungen für einen Asyl- oder Flüchtlingsstatus, subsidiären Schutz bzw. ein Abschiebeverbot nicht mehr bestehen – der Widerruf wäre einzuleiten.
Bleiberecht für alle bei guter Integration
§73 AsylG verpflichtet das BAMF dazu, den Schutzstatus von Syrern zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen, die dem positiven Asylbescheid zu Grunde lagen, nicht mehr vorliegen. Dabei ist das bereits vorgestellte Prüfprogramm des Asylverfahrens erneut durchzuführen. Hiernach könnten Personen, die bisher subsidiären Schutz aufgrund des Bürgerkriegs besitzen, diesen verlieren, zugleich jedoch von einem Abschiebungsverbot wegen krasser Armut profitieren – immer abhängig vom Einzelfall. Wenn alles nach Recht und Gesetz zuginge, müsste eine beachtliche Minderheit der Syrer in den kommenden Jahren also ihren Schutztitel verlieren, wenn sich die Lage weiter stabilisiert.
Praktisch kann das, wie ich an anderer Stelle darlegte, nicht gelingen, weil das BAMF und vor allem die Verwaltungsgerichte völlig überfordert wären, wenn binnen kurzer Zeit mehrere zehn- oder gar hunderttausende komplizierte Einzelfallprüfungen erfolgen müssten. Auch deshalb sollte die Politik auf einen pragmatischen Mittelweg setzen, der es SPD, CDU und CSU zugleich erlaubt, ein allseits akzeptables Gesamtpaket zu schnüren: Abschiebungen forcieren und Widerrufsprüfungen durch punktuelle Gesetzesänderungen erleichtern, zugleich jedoch gut integrierten Syrern eine Bleibegarantie unabhängig vom Schutzstatus bieten.
Rein statistisch dürfte ein solches Bleiberecht die Mehrheit betreffen. Ohnehin bleiben dürfen die rund 200.000 Syrer, die inzwischen deutsche Staatsangehörige wurden. Auch die 100.000 bis 150.000 syrischen Fachkräfte in Engpassberufen und anderen qualifizierten Jobs sind juristisch auf der sicheren Seite, weil sie jederzeit eine Aufenthaltserlaubnis als Fachkraft erhalten können. Zu einer ehrlichen Debatte gehört freilich auch, dass die 7.000 syrischen Ärzte – ebenso wie die Straftäter – eine kleine Minderheit sind. Der Integrationserfolg der meisten Syrer liegt dazwischen.
Nun werden einige einwenden, dass es unmoralisch sei, den gut integrierten Syrern ein Aufenthaltsrecht zuzusprechen, während der Staat den arbeitslosen oder straffälligen Landsleuten mit Abschiebung droht, wenn der Schutztitel wegfällt. Allerdings ist genau eine solche Differenzierung typisch für Einwanderungsländer. Arbeitskräfte dürfen bleiben, weil sie "nützlich" sind, während der Aufenthalt von Geflüchteten vom Schutzbedarf abhängt. Falls sich die Situation im Heimatland dauerhaft zum Besseren wendet, sollten Syrer als Einwanderer behandelt werden und über ihre Zukunft durch den Integrationserfolg selbst mitbestimmen.
*Hinweis vom 10.11.25, Red tap: Neuere Zahlen hat das BAMF erst nach Fertigstellung des Beitrags veröffentlicht. Danach kamen Oktober weitere 1918 Ablehnungen hinzu.

Professor Dr. Daniel Thym ist Inhaber der Professur für Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht an der Universität Konstanz und leitet das dortige Forschungszentrum Ausländer- und Asylrecht.
Rechtliche Situation für Abschiebungen nach Syrien: . In: Legal Tribune Online, 05.11.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/58547 (abgerufen am: 14.11.2025 )
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