Die Behörden müssen Diesel-Autos mit zu hohen Emissionen vom Markt nehmen und Fahrverbote in Städten verhängen. Sie können das nicht nur, sie müssen es. Es gibt kein Ermessen, meint Felix Ekardt. Und den Konzernmanagern drohe das Strafrecht.
Stickstoffoxide sind schlecht fürs Klima und die Biodiversität. Und sie machen Menschen krank, weil sie giftig und wohl auch krebserregend sind. Trotzdem ist die Luftqualität gerade in größeren Städten regelmäßig schlecht.
Mit die größte Ursache dafür sind Diesel-Autos. Das Umweltbundesamt und Umweltverbände haben in Messungen für Diesel-PKWs mit der Abgasnorm Euro 6 gezeigt, dass sie im realen Fahrbetrieb den Emissionsgrenzwert der Fahrzeugemissionen-Verordnung (VO Nr. 715/2007/EG) für Stickstoffoxid von 80 mg/km um das Fünffache, manchmal gar um das 24-Fache überschreiten.
Die Autokonzerne haben eingeräumt, dass sie diesen Zustand – und zwar untereinander abgesprochen – durch den Einsatz unzureichender Hardware und Software bewusst herbeigeführt haben. Das wirft nicht nur kartell- und zivilrechtliche Haftungsfragen auf. Es stellt sich auch die Frage, ob nicht die Behörden einschreiten können. Oder sogar müssen.
Trotz Vertragsverletzungsverfahren: Deutschland setzt den Gesundheitsschutz nicht durch
Art. 10 Abs. 5 der Fahrzeugemissionen-VO verlangt seit 2015 ein Einschreiten der Mitgliedstaaten gegen Zulassung, Betrieb und Verkauf auch für Euro-6-Diesel-Autos, wenn diese die Emissionsgrenzwerte aus Anhang I der Verordnung überschreiten. In Deutschland ist dafür das Kraftfahrtbundesamt (KBA) in Flensburg zuständig.
Diese Norm verletzen Autos mit Abschalteinrichtungen flagrant, die im Prüfstand niedrige Emissionen haben, im Straßenbetrieb dann aber ein Vielfaches an Stickstoffoxiden ausstoßen, um Kosten zu sparen.
Deutschland aber setzt dennoch den hier geforderten wirksamen Gesundheitsschutz gegen Stickstoffoxide, den die Verordnung bezweckt, bisher nicht durch. Die EU-Kommission hat deshalb bereits ein Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof eröffnet.
Warum die Abschalteinrichtungen unzulässig sind
Hersteller und deutsche Behörden können sich dagegen auch nicht auf die Regelungen der Durchführungsverordnung Nr. 692/2008/EG über das Prüfverfahren berufen. Diese regelt die bisherige nicht am realen Fahrbetrieb orientierte Messpraxis, die Autos mit überhöhten Emissionen wegen guter Werte im Labor zugelassen hat. Eine Einhaltung von Grenzwerten bloß im Labor nützt jedoch dem Gesundheitsschutz nichts.
Bei der Durchführungsverordnung handelt es sich zudem eher um eine Verwaltungsvorschrift: Sie hat nicht das volle EU-Gesetzgebungsverfahren durchlaufen, sondern wurde von der EU-Kommission geschaffen. Daher ist sie rechtlich nachrangig gegenüber der oben dargestellten Fahrzeugemissionen-VO, kann also die Grenzwerte nicht aushebeln.
Hersteller und KBA können sich zur Rechtfertigung ihres Rechtsverstoßes auch nicht auf Art. 5 Abs. 2 der Fahrzeugemissionen-VO berufen. Nach dieser Norm sind Abschalteinrichtungen nur ausnahmsweise zulässig, um Motorschäden oder Unfälle zu vermeiden. Davon kann bei einer Einrichtung, die die Stickstoffoxid-Filterung flächendeckend lahm legt, nicht die Rede sein.
Kein Ermessen: Wie KBA und Kommunen auf Grenzwertverletzungen reagieren müssen
Werden Autotypen den geforderten Grenzwerten in der beschriebenen Weise nicht gerecht, kann das KBA gemäß § 25 Abs. 3 EU-Fahrzeuggenehmigungs-Verordnung (EU-FGV) die Rücknahme oder den Widerruf der Typgenehmigung für betroffene Autotypen verfügen. Darauf aufbauend kann die Flensburger Behörde gemäß Art. 25 Abs. 1 EU-FGV alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um Zulassung und Verkauf solcherart ungenehmigter Autotypen zu verhindern.
Durch die aktuell geplanten Software-Updates bei den Kfz können die Hersteller das nur dann abwenden, wenn die Autos nach dem Aufspielen die Grenzwerte tatsächlich einhalten – woran deutliche Zweifel bestehen. Zu all diesen Fragen liegt gerade eine Klage des BUND gegen das KBA beim Verwaltungsgericht Schleswig.
So wie das KBA gegen Autotypen einschreiten kann, können die Kommunen, wenn in bestimmten Gebieten die Luftkonzentration mit Stickstoffoxiden zu hoch wird, den Verkehr mit den bereits in Nutzung befindlichen Autos beschränken. Neben den Emissionsgrenzwerten für die Urheber, also die Autos, gibt es gemäß der Richtlinie über Luftqualität und saubere Luft für Europa (2008/50/EG) nämlich auch Immissionsgrenzwerte für Gebiete. In Deutschland sind sie umgesetzt in § 47 Abs. 1 Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) und der 39. Verordnung zu diesem Gesetz. Danach müssen die Kommunen mit einer Luftreinhalteplanung reagieren, die entsprechende wirksame Maßnahmen vorsieht.
Weder das KBA noch die Kommunen haben dabei ein Ermessen, ob sie tätig werden. Für die Luftreinhalteplanung ergibt sich das aus § 47 Abs. 1 BImSchG. Für Maßnahmen des KBA räumt Art. 25 EU-FGV zwar generell ein Ermessen ein (es heißt dort "kann"). Jedoch macht Art. 10 Abs. 5 Fahrzeugemissionen-VO deutlich, dass die Mitgliedstaaten bei Untauglichkeit der Autos für die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben, hier der Grenzwerte, tätig werden müssen. Insofern entfällt das Ermessen auch hier.
2/2: Die Klage der Deutschen Umwelthilfe und das Urteil des VG Stuttgart
Fraglich ist allein, wer auf das Tätigwerden des Staats klagen darf. Bei Luftreinhalteplänen ist bis hin zum BVerwG anerkannt, dass auch Umweltverbände sie einklagen können. So war es auch die Deutsche Umwelthilfe, die vor das Verwaltungsgericht Stuttgart zog. Nach dessen Urteil vom 28. Juli 2017 sind Diesel-Fahrverbote die "effektivste und derzeit einzige Luftreinhalteplanmaßnahme zur Einhaltung der überschrittenen Immissionsgrenzwerte und zugleich auch zur schnellstmöglichen Einhaltung" der Grenzwerte.
Entgegen den Aussagen von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt am Tag des Urteils hat das Gericht auch allen "anderen von der Planungsbehörde in Betracht gezogenen Maßnahmen (Geschwindigkeitsbeschränkungen, Verkehrsverbote nach Kfz-Kennzeichen, City-Maut, Nahverkehrsabgabe und sog. "Nachrüstlösung")" eine Absage erteilt, weil diese "von ihrem Wirkungsgrad nicht gleichwertig" seien.
Zwar ist die grün-schwarze Landesregierung sich nach Pressemeldungen noch nicht einig, ob sie Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen soll. Eine Revision zu diesen Fragen liegt aber aufgrund mehrerer ähnlicher Klagen schon aktuell beim Bundesverwaltungsgericht (BVerwG).
Dürfen Umweltverbände gegen das KBA klagen?
Für KBA-Maßnahmen ist die Lage kontrovers. Das neue Umweltrechtsbehelfsgesetz von 2017 sieht in seinem § 1 Klagen gegen diverse Umweltbeeinträchtigungen vor, Klagen im Zusammenhang mit dem KBA jedoch eher nicht.
Allerdings ist wohl gemäß Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention (AK) eine völkerrechtskonforme Auslegung geboten dahingehend, dass Umweltverbände eben doch klagen dürfen. Denn die Norm gibt, wie auch das BVerwG 2013 tendenziell anerkannt hat, Umweltverbänden die Möglichkeit, auf breiter Front Verletzungen gegen das (Grund-)Recht auf Leben und Gesundheit vor Gericht zu bringen.
Die von Art. 9 Abs. 3 AK prinzipiell eröffneten Ausgestaltungsspielräume der Nationalstaaten können bei einem so gravierenden und offenkundigen Fall kaum greifen.
Strafbarkeit der Verantwortlichen in den Autokonzernen
Die Handelnden bei den Autokonzernen können sich durch das planmäßige Unterlaufen der gesetzlichen Grenzwerte sogar strafbar gemacht haben. Gemäß § 325 Strafgesetzbuch (StGB) ist es strafbar, wenn durch Anlagen oder Maschinen unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten Schadstoffe in bedeutendem Umfang in die Luft abgegeben werden. Die bisher öffentlich gewordenen Fakten klingen danach, als lägen diese Voraussetzungen vor.
Interessant wird ferner sein, ob der – relativ offenkundig vorliegende– Betrug zu Lasten der Käufer gemäß § 263 StGB von den Staatsanwaltschaften verfolgt werden wird. Wegen des Umwelttatbestands liegt aktuell eine Strafanzeige des BUND bei der Berliner Staatsanwaltschaft.
Das Gesagte wird auch nicht dadurch hinfällig, dass es komplexe und teure Technik braucht, um beispielsweise Stickstoffoxide und den ebenfalls gesundheitsschädlichen Feinstaub gleichzeitig zurückzuhalten. Eigentumsschutz auf der einen und Leben und Gesundheit auf der anderen Seite stehen grundrechtlich zwar in einem Abwägungsverhältnis. Dieses hat der Gesetzgeber jedoch – wie gezeigt – mit klaren Vorgaben aufgelöst. Die durchgreifende Lösung für diverse Luftschadstoffprobleme und zugleich das Klimaproblem wäre es freilich, insgesamt aus den fossilen Brennstoffen auszusteigen. Nicht nur, aber auch bei der Mobilität.
Der Autor Prof. Dr. Felix Ekardt, LL.M., M.A. leitet die Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Berlin. U.a. zum Feinstaub erscheint von ihm Anfang Oktober das Taschenbuch "Kurzschluss: Wie einfache Wahrheiten die Demokratie untergraben".
Felix Ekardt, Abgasskandal: Der Staat muss gegen Diesel einschreiten . In: Legal Tribune Online, 11.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23911/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag