Diesel-Gerichtsprozesse: Mil­lionen Autos trotz Soft­ware-Updates illegal unter­wegs?

von Dr. Felix W. Zimmermann

08.05.2019

Mit Software-Updates sollen illegale Abschalteinrichtungen in Dieselautos entfernt werden. Doch neuerdings zweifeln Gerichte daran, ob Fahrzeuge damit überhaupt in einen legalen Zustand gebracht werden können, zeigt Felix W. Zimmermann.

Fast jedes Dieselauto in Deutschland stößt im normalen Straßenverkehr um ein Vielfaches mehr giftiges Stickoxid aus, als es die gesetzlichen Grenzwerte in der EG-Verordnung 715/2007 vorsehen. Ob diese Grenzwerte für den Realbetrieb auf der Straße oder nur bei der Zulassung auf dem Prüfstand gelten, ist umstritten. Das Europäische Gericht (EuG) hat in einem Urteil Ende 2018 festgestellt, dass Grenzwerte im normalen Fahrzeugbetrieb eingehalten werden müssen (Urt. v. 13.12.2018, Az. T-339/16). Würde diese Entscheidung rechtkräftig, ließe sich folgern, dass fast alle Euro-5- und Euro-6-Diesel illegal auf den Straßen Europas unterwegs sind.

Genau das möchte die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und auch der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) seit langem gerichtlich feststellen lassen. Doch die Verwaltungsgerichte lehnen eine Klagebefugnis für Umweltverbände zur Frage, ob Typgenehmigungen für Fahrzeuge rechtmäßig sind, ab. Die Bundesregierung hatte bei der Novellierung des Umweltrechtsbehelfsgesetzes dafür gesorgt, dass Verbänden für diese Frage keine ausdrückliche Klagebefugnis eingeräumt wird.

Die in Deutschland zuständige Behörde, das Kraftfahrtbundesamt (KBA), interessiert die Schadstoffbelastung durch reale Grenzwertüberschreitung in der Umwelt indes nicht. Sie meint, der Grenzwert müsse nur im Labor eingehalten werden. Untätig ist die Behörde aber nicht. Wenn sie annimmt, dass Autohersteller eine nach Art. 5 Abs. 2 EGV 715/2007 unzulässige Abschalteinrichtung verwenden, verlangt sie Software-Updates von den Herstellern; so geschehen bei aktuell 6,3 Millionen Fahrzeugen in Deutschland.

Updates sind nicht wirklich wirksam

Mit den Software-Updates sollen nach den Vorstellungen der Autohersteller zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden: Einerseits sollen Kunden keine Schadensersatzansprüche mehr geltend machen können und andererseits damit auch die Verpflichtung der Autohersteller zu teuren Hardwarenachrüstungen vom Tisch sein. Doch was bringen diese Software-Updates in der Fahrpraxis? Und befinden sich die Autos nach einem solchen wirklich in einem legalen Zustand?

Darüber, wie sich Software-Updates auf Umwelt und Fahrverhalten auswirkt, gibt es unterschiedliche Ansichten. Während etwa die DUH in Testreihen keine wesentlichen Verbesserungen festgestellt hat und daher abwertend von "Mickey-Mouse-Updates" spricht, geht etwa VW davon aus, dass die Updates im Durchschnitt zu einer bis zu 30-prozentigen Verbesserung des Schadstoffverhaltens führen. Doch auch VW bestreitet nicht, dass die Grenzwerte aus dem Labor im Realbetrieb immer noch nicht ansatzweise erreicht werden. Gerade in kälteren Jahreszeiten sind die Werte auch nach Software-Updates miserabel.

Doch wie kann das sein, wenn doch die illegale Software durch die Updates entfernt wurde? Dies liegt daran, dass die Updates nicht alle Abschalteinrichtungen entfernen, sondern nur diejenigen, die das KBA für illegal erachtet. In einem LTO vorliegenden Freigabebescheid aus dem Kraftfahrtbundesamt an VW heißt es etwa: "Die vorhandenen Abschalteinrichtungen wurden als zulässig eingestuft."

Fahrzeuge "bemerken", wenn sie getestet werden

Nur: Um welche Abschalteinrichtungen handelt es sich da genau? Entgegen der weit verbreiteten Ansicht liegt eine Abschalteinrichtung im Rechtssinne nicht nur dann vor, wenn der Wagen sich bei der gesetzlichen Zulassung anders verhält als auf der Straße. Eine solche Prüfstandserkennung hatte die wohl berühmteste Abschalteinrichtungen, die VW-Steuerungssoftware in Autos mit den Motoren EA189:

Anhand einer Weg-Zeit-Kurve bemerkte die Software, wann der gesetzlich genau vorgegebene Prüfzyklus gefahren wurde, schaltete dann in einen sauberen Modus, im Realbetrieb auf der Straße aber "auf dreckig". Das hierin ein betrügerisches Verhalten liegt, ist offensichtlich. Doch die Legaldefinition der Abschalteinrichtung in Art. 3 Nr. 10 EGV 715/2007 fragt nicht nach einer Prüfstandserkennung, sondern ist wesentlich weiter angelegt. Hiernach ist – vereinfacht gesagt - eine Abschalteinrichtung ein Konstruktionsteil, das Parameter ermittelt, um die Funktion des Emmissionskontrollsystems zu verändern, wodurch die die Wirksamkeit von eben diesem verringert wird.

Eine Abschalteinrichtung liegt nach Europarecht beispielsweise auch dann vor, wenn ein Auto die Abgasreinigung bei höherer Geschwindigkeit aussetzt oder wenn die Abgasreinigung bei niedrigeren Temperaturen gedrosselt wird. Derartige Abschalteinrichtungen werden weiter eingesetzt, nicht nur von VW. Schon im Untersuchungsbericht der Kommission Volkswagen von April 2016 heißt es: "Alle Hersteller nutzen aber Abschalteinrichtungen gemäß der Definition in Artikel 3 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007."

Betroffene Dieselautos wären ohne Abschalteinrichtung nicht sicher fahrbar

Solche Abschalteinrichtungen programmieren die Autohersteller nicht grundlos. Zu viel Abgasreinigung kann bei der verbauten günstigen Hardware mit einer Verschlechterung des Fahrverhaltens einhergehen. Wenn etwa die sogenannte Abgasrückführung, die zur Reduzierung von Abgasen führt, voll wirksam ist, ruckelt das Auto oder die Leistung des Autos ist stark vermindert.

Dass Abschalteinrichtungen notwendig und damit ausnahmsweise zulässig sein können, ergibt sich aus der EGV 715/2007. Die regelt in Art. 5 Abs. 2 zunächst, dass die Verwendung von Abschalteinrichtungen unzulässig ist. Zulässig sind sie aber dann, wenn sie notwendig sind, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Nach Vorstellungen des KBA und der Autohersteller greift für die noch vorhandenen Abschalteinrichtungen diese Ausnahmebestimmung.

Hätten Autohersteller bessere Technik einbauen müssen?

Die entscheidende Frage aber lautet: Dürfen Autohersteller sich überhaupt auf diese Vorschrift berufen, wenn sie sehenden Auges schlechte Abgasreinigungssysteme einbauen, die etwa bei in Europa völlig üblichen Temperaturen von unter 15 Grad die Abgasreinigung abschalten oder reduzieren, weil sonst das Auto kaputt geht oder schlecht fährt? Bessere, aber gleichzeitig auch teurere Abgastechnik, die Autos sauber hält und dabei das Fahrverhalten nicht beeinträchtigt, war bei den meisten vom Diesel-Skandal betroffenen Fahrzeugen zu Produktionsbeginn bereits vorhanden - und wurde auch in den USA eingesetzt. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestag ist der Auffassung, dass Abschalteinrichtungen unzulässig sind, wenn bessere Abgastechnik auf dem Markt vorhanden ist, die ein Abschalten überflüssig macht.

Auch die EU-Kommission vertritt diese Auffassung. In den Leitlinien zur Feststellung einer unzulässigen Abschalteinrichtung formuliert sie eindeutig: "Wenn eine bessere Technologie oder Konstruktion auf dem Markt verfügbar ist, die eine verbesserte Emissionsminderung ermöglichen würde, sollte diese soweit technisch möglich (d.h. ohne unbegründete Modulation) verwendet werden." Kürzlich hat erstmals auch ein deutsches Gericht, nämlich das LG Stuttgart, in einem Verfahren gegen Daimler entschieden, dass die Ausnahme Motorschutz nur greift, "wenn andere technische Lösungen, nach der jeweils besten verfügbaren Technik, nicht vorhanden sind" (Urt. v. 19.01.2019, Az.: 23 O 178/18)

Tut VW alles, um eine EuGH-Entscheidung zu vermeiden?

Auch in Österreich zweifeln immer mehr Gerichte an der Legalität der Autos nach den Software-Updates. Das Landesgericht Linz hatte bereits ein Vorabentscheidungsgesuch an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gesandt (Az. C466/18 ds), doch der Händler, eine 100-prozentige VW-Tochter, gab im Dezember 2018 ein Anerkenntnis ab, womit sich der Fall erledigt hatte.

Ist VW bereit, zur Verhinderung einer EuGH-Entscheidung nicht nur Vergleiche, sondern sogar gerichtliche Anerkenntnisse abzugeben? VW erklärt auf Anfrage von LTO das Anerkenntnis wie folgt: "Bei der Entscheidung des Händlerbetriebs, dem Kläger entgegenzukommen, handelt es sich um eine von ökonomischen Erwägungen getragene Entscheidung. Die VW AG ist weiterhin der Auffassung, dass es für die vom Kunden geltend gemachten Ansprüche keine rechtliche Grundlage gibt."

Aktuell ist noch ein Vorabentscheidungsverfahren aus Österreich (angestoßen vom Handelsgericht Wien) über das Software-Update beim EuGH anhängig (Az. C-244/19). Nach Auskunft des Gerichts gegenüber LTO wollte der zuständige Richter sogar in drei weiteren Diesel-Fällen Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH senden. Doch kurz nach der jeweiligen Ankündigung gaben die Parteien "das Ruhen" der Verfahren bekannt. Offenbar wurden auch hier die Kläger schadlos gestellt. So wird wohl auch das noch anhängige Verfahren vor dem EuGH das gleiche Schicksal ereilen. VW wollte zu dieser Frage wegen des laufenden Gerichtsverfahrens gegenüber LTO keine Stellungnahme abgegeben.

In Deutschland durchkreuzte der BGH die VW-Taktik, höchstrichterliche Entscheidungen zu verhindern, mit einem Hinweisbeschluss. In diesem machte er deutlich, dass er unzulässige Abschalteinrichtungen für einen Mangel hält.

Illegale Diesel trotz Software-Updates: der Super-GAU für die Autohersteller

Jetzt geht es um Mehr: Wenn höchstrichterlich festgestellt würde, dass auch Software-Updates die Autos nicht in einen rechtskonformen Zustand bringen, weil bessere Hardware hätte verbaut werden müssen, wäre dies für VW und andere Autohersteller der Super-GAU im Dieselskandal. Einerseits, was die Schadensersatzklagen Hunderttausender Dieselkunden angeht. Vor allem aber deswegen, weil dies bedeutete, dass Millionen Dieselautos eigentlich keine Typgenehmigung hätten bekommen dürfen.

Die Bundesregierung geht bislang davon aus, keine Möglichkeit zu haben, Autohersteller zur Hardware-Nachrüstung zu zwingen. Der politische Wille es zu versuchen, ist aber auch gar nicht vorhanden. Wenn indes der EuGH oder BGH entschiede, dass Software-Updates die Fahrzeuge nicht in einen rechtskonformen Zustand bringen, könnte dies auch die Bundesregierung schwerlich ignorieren und müsste die Hersteller zu Hardware-Nachrüstungen verpflichten.

Es droht zudem an anderen Fronten weiterer gerichtlicher Ungemach in Sachen Software-Updates – vor allem für VW. Das VG Schleswig hat einer Klage gegen das Kraftfahrtbundesamt, angestoßen durch einen Frontal21-Journalisten, auf Herausgabe von Dokumenten über die Freigabe von Software-Updates stattgegeben (Urt. v. 25.04.2019, Az. 6 A 222/16). Zuvor erhielt der Journalist nur Ordner voller geschwärzte Dokumente. Würde diese Entscheidung rechtskräftig, dann könnte überprüft werden, ob das Kraftfahrtbundesamt die weiter vorhandenen VW- Abschalteinrichtungen zu Recht als zulässig erachtet.

Und in Österreich wird vor dem Handelsgericht Wien auf eine Unterlassungsklage des Vereins für Konsumenteninformation (VIK) am Freitag darüber verhandelt, ob es der Wahrheit entspricht, dass durch Software-Updates keine Nachteile für Kunden entstehen und VW dies weiter öffentlich behaupten darf (Az. 11 Cg 52/18m).

Der Autor Dr. Felix W. Zimmermann ist freier Journalist (ZDF, 3Sat). Er arbeitet schwerpunktmäßig für das ZDF in der Redaktion Recht & Justiz in Mainz, die für Berichterstattung über Rechtsthemen in allen ZDF-Formaten zuständig ist.

Zitiervorschlag

Diesel-Gerichtsprozesse: . In: Legal Tribune Online, 08.05.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35269 (abgerufen am: 04.10.2024 )

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