Druckversion
Mittwoch, 19.11.2025, 00:13 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/hintergruende/h/Verfassungsgericht-Polen-Besetzung-Krise-Machtgefuege-Justiz-Exekutive-Einmischung
Fenster schließen
Artikel drucken
23212

Spannungen nicht nur am Verfassungsgericht: Wie die PiS die pol­ni­sche Rich­ter­schaft demon­tiert

von Oscar Szerkus

19.06.2017

Flagge Polen

© promesaartstudio - stock.adobe.com

Dass man von der Besetzungskrise am polnischen Verfassungsgericht zuletzt wenig gehört hat, heißt nicht, dass sie vorüber wäre. Im Gegenteil: Im Machtgefüge von polnischer Justiz und Exekutive tun sich weitere Brandherde auf.

Anzeige

Einstellung und Vorgehen wichtiger Entscheidungsträger der polnischen Regierungspartei PiS gegenüber der Richterschaft haben in den letzten Jahren zu besorgten Debatten in Fachkreisen und politischen Spannungen gegenüber der EU geführt. Wer das Geschehen in den polnischen Medien verfolgt, wird Zeuge einer zusehends rabiater geführten Auseinandersetzung, die weniger mit der Suche nach gemeinsamen Lösungen denn mit einem Kulturkampf zu tun hat.

Die jüngsten Maßnahmen der PiS fügen sich in die seit zwei Jahren betriebene, von Feindseligkeit geprägte Rhetorik gegenüber der "Richterkaste". Richter sind demnach – so die Pressesprecherin der PiS-Fraktion im April 2016 – eine "Gruppe von Kumpel[n], die den status quo der vergangenen Regierung verteidigen." Aufmerksamkeit verdienen im Vorgehen der Partei vor allem drei politische Coups mit verheerender Negativwirkung für die Glaubwürdigkeit der Gerichte, die in der polnischen Medienöffentlichkeit kontrovers diskutiert werden.

I. Austausch von Verfassungsrichtern

Gleich nach den Parlamentswahlen Ende 2015 machte sich PiS an die Verwirklichung des Wahlkampfmottos „gute Veränderung“, deren Inhalte nun peu à peu enthüllt werden. So galt es zunächst, im polnischen Verfassungsgericht (Verfassungstribunal) für parteigemäße Ordnung zu sorgen und Richter mit Verbindung zur letzten Regierung (der „Bürgerplattform“ – PO) von der Entscheidungsfindung auszuschließen. Die Methode war einfach: In der letzten Sitzung des polnischen Parlaments (Sejm) unter Regierung der PO wurden fünf Verfassungsrichter ernannt, deren Amtszeit am 7. November bzw. 3. oder 9. Dezember 2015, also schon nach Konstituierung des neuen Sejm am 12. November 2015, beginnen sollte. Dieses Vorgehen entsprach den Vorgaben des im Juni 2015 novellierten Gesetzes über das Verfassungstribunal, deren Verfassungsmäßigkeit anfangs von der PiS-Fraktion, in der neuen Legislaturperiode aber von der PO-Fraktion in Frage gestellt wurde.

Noch bevor sich das Verfassungstribunal mit dem Kontrollverfahren befassen konnte, beschloss der Sejm im Eiltempo – das gesamte Gesetzgebungsverfahren dauerte etwa eine Woche – ein neues Gesetz über das Verfassungsgericht, nach dem der Präsident und Vizepräsident des Verfassungstribunals deutlich vor dem Ende der regulären Amtszeit ihre Positionen verlieren sollten. Ferner wurde bestimmt, dass die Positionen der in der vergangenen Legislaturperiode ernannten Richter neu besetzt werden müssten. Gleichzeitig fasste der Sejm einen Beschluss "über die fehlende Rechtskraft" der Ernennungsbeschlüsse vom Ende der letzten Legislaturperiode. In der Nacht vom 2. auf den 3. Dezember vereidigte Präsident Duda sodann vier neue Verfassungsrichter; der fünfte folgte am 9. Dezember 2015.

Ia. Nichtpublikation unliebsamer Entscheidungen

Ebenfalls am 3. Dezember entschied das Verfassungstribunal im Kontrollverfahren über die Richterernennung der letzten Legislaturperiode und stellte im Urteil fest, die Ernennung der drei Richter, deren Amtszeit im November 2015 anfangen sollte, sei rechtmäßig gewesen und der Präsident müsse ihnen unverzüglich den Amtseid abnehmen. Für drei der von der neuen Regierung in der Nacht vom 2. auf den 3. Dezember eingesetzten Richter bedeutete dies hingegen, dass sie unrechtmäßige Double waren, sozusagen Nichtrichter. Auch erklärte das Verfassungstribunal in der Entscheidung vom 9. Dezember 2015 wesentliche Bestimmungen des novellierten Gesetzes über das Verfassungsgericht für verfassungswidrig.

Doch das Verfassungstribunal hatte die Rechnung ohne die Regierung gemacht. Die für die Promulgation zuständige Premierministerin Szydło verweigerte die Publikation beider Entscheidungen im Gesetzblatt Dziennik Ustaw mit der Begründung, diese seien höchstwahrscheinlich rechtsfehlerhaft. Die hieraus resultierende Frage, ob Entscheidungen des Verfassungstribunals erst mit vollständiger Veröffentlichung in Rechtswirksamkeit erwachsen, ist unter Rechtswissenschaftlern (erst jetzt) umstritten. Der ehemalige Staatsanwalt aus der Zeit der Volksrepublik und aktuelle PiS-Abgeordnete im Sejm Piotrowicz kommentierte die Situation im März 2016 mit den Worten: "Der Souverän ist das Volk, das dem Parlament in der aktuellen Zusammensetzung die Gesetzgebung anvertraut hat. Das Verfassungstribunal besitzt eine solche Legitimierung nicht und kann sich auch nicht über das Parlament stellen." Die Entscheidungen des Verfassungstribunals warten bis heute auf ihre Veröffentlichung. Eine vergleichbare Situation ist seit Gründung des Verfassungstribunals im Jahre 1986 bislang nicht vorgekommen.

Seite 1/2
  • Seite 1:

    Austausch von Verfassungsrichtern

  • Seite 2:

    Angriffe auf den Nationalen Richterrat und das Oberste Gericht

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

Spannungen nicht nur am Verfassungsgericht: . In: Legal Tribune Online, 19.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23212 (abgerufen am: 19.11.2025 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Staatsrecht und Staatsorganisationsrecht
    • Ausland
    • Polen
    • Rechtsstaat
    • Verfassung
Frank Schwabe (SPD) 18.11.2025
Verfassung

Bundesregierung lehnt Verfassungsänderung ab:

Recht auf Anwalt kommt nicht ins Grund­ge­setz

Im Bundesrat geht es am Freitag um einen Antrag, im Grundgesetz das Recht auf einen unabhängigen Anwalt zu verankern. Doch das Vorhaben ist aussichtslos: Das SPD-geführte BMJV und die Union halten eine Verfassungsänderung für überflüssig.

Artikel lesen
Im OP Saal wird ein Skapell angereicht. 13.11.2025
Skurriles

"Ich wollte ihm etwas Gutes tun":

Mann wegen Penis-Ampu­ta­tion ver­ur­teilt

Ein Mann wurde in Österreich zu drei Jahren Haft verurteilt, weil er in einem Berliner Sado-Maso-Studio bei einer Penis-Amputation mitwirkte. Sich selbst verstümmelte er auch.

Artikel lesen
ChatGPT 13.11.2025
Künstliche Intelligenz

Textmüll mit Anwaltssiegel gefährdet Rechtsstaat:

Juris­ti­sche Lexi­ko­gra­phie in Zeiten gene­ra­tiver Algo­rithmen

Anwälte werden Informationsdienstleister, Nachschlagewerke auf Kanzlei-Websites sind im Kommen. Dabei verführt generative KI dazu, schnell und ungeprüft juristisches Halbwissen zu produzieren. Jura-Quatsch auf Steroiden, beobachtet Hanjo Hamann.

Artikel lesen
Kim Kardashian 11.11.2025
Prominente

California Bar Exam nicht bestanden – wegen ChatGPT?:

Kim Kar­dashian durch Anwalts­prü­fung geras­selt

Jahrelang hat sich Kim Kardashian durch eine harte Ausbildung gekämpft, um ihren Traum von der Rechtsanwältin zu erfüllen. Nun gab es kurz vor dem Ziel einen Dämpfer.

Artikel lesen
Proteste für Ekrem İmamoğlu 11.11.2025
Türkei

Anklage erhoben:

2.352 Jahre Haft für Erdogan-Gegner İmam­oğlu gefor­dert

Dem aussichtsreichsten Herausforderer des Präsidenten droht eine Haftstrafe bis an sein Lebensende. Das Verfahren löst empörte Kritik an der Regierung aus.

Artikel lesen
Ein Schild „Sächsisches Oberverwaltungsgericht“ steht vor dem Gebäude auf dem Gelände der Ortenburg 10.11.2025
Referendariat

Sächsisches OVG verpflichtet Freistaat:

Bewerber mit rechts­ex­t­remer Ver­gan­gen­heit darf Jurist werden

Das sächsische OVG hat entschieden, dass ein Bewerber trotz früherer Aktivitäten in rechtsextremen Organisationen vorläufig zum juristischen Vorbereitungsdienst zugelassen werden muss. Ohne strafbares Verhalten kein Ausschluss.

Artikel lesen
lto karriere logo

LTO Karriere - Deutschlands reichweitenstärkstes Karriere-Portal für Jurist:innen

logo lto karriere
Jetzt registrieren bei LTO Karriere

Finde den Job, den Du verdienst 100% kostenlos registrieren und Vorteile nutzen

  • LTO Job Matching: Finde den Job & Arbeitgeber, der zu Dir passt.
  • Jobs per Mail: Verpasse keine neuen Job-Angebote mehr.
  • One-Klick Bewerbung: Dein Klick zum neuen Job, einfach und schnell.
Das Passwort muss mindestens 8 Zeichen lang sein und mindestens einen Großbuchstaben, einen Kleinbuchstaben, eine Zahl und ein Sonderzeichen enthalten (z.B. #?!@$%^&*-).
Pflichtfeld *

Nur noch ein Klick!

Wir haben Dir eine E-Mail gesendet. Bitte klicke auf den Bestätigungslink in dieser E-Mail, um Deine Anmeldung abzuschließen.

Weitere Infos & Updates einfach und kostenlos direkt ins Postfach.

LTO Karriere Newsletter

Das monatliche Update mit aktuellen Stellenangeboten & Karriere-Tipps.

LTO Daily

Jeden Abend um 18 Uhr die wichtigsten News vom Tag.

LTO Presseschau

Jeden Morgen um 7:30 Uhr die aktuelle Berichterstattung über Recht und Justiz.

Pflichtfeld *

Fertig!

Um die kostenlosen Nachrichten zu beziehen, wechsle bitte nochmal in Dein Postfach und bestätige Deine Anmeldung mit dem Bestätigungslink.

Du willst Dein Bewerberprofil direkt anlegen?

Los geht´s!
ads lto paragraph
lto karriere logo
ads career people

Wir haben die Top-Jobs für Jurist:innen

Jetzt registrieren
logo lto karriere
TopJOBS
Logo von Oberlandesgericht Celle
Rich­ter/-in (w/m/d) bzw. Staats­an­walt / -an­wäl­tin (w/m/d) im Be­zirk des...

Oberlandesgericht Celle , Han­no­ver

Logo von Oberlandesgericht Celle
Rich­ter/-in (w/m/d) bzw. Staats­an­walt / -an­wäl­tin (w/m/d) im Be­zirk des...

Oberlandesgericht Celle

Logo von Deutscher Landkreistag
Voll­ju­rist/in (m/w/d)

Deutscher Landkreistag , Ber­lin

Logo von RechtDialog Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Rechts­an­wäl­te (m/w/d) als An­ge­s­tell­te oder in frei­er Mit­ar­beit

RechtDialog Rechtsanwaltsgesellschaft mbH , 100% Re­mo­te

Logo von LAFP NRW (Polizei)
Füh­rungs­kraft (m/w/d) in der Lauf­bahn­grup­pe 2.2

LAFP NRW (Polizei) , Düs­sel­dorf

Logo von Oberlandesgericht Celle
Rich­ter/-in (w/m/d) bzw. Staats­an­walt / -an­wäl­tin (w/m/d) im Be­zirk des...

Oberlandesgericht Celle

Logo von Hessisches Ministerium der Justiz und für den Rechtsstaat
Voll­ju­ris­ten (m/w/d) – Ih­re Zu­kunft in der hes­si­schen Jus­tiz

Hessisches Ministerium der Justiz und für den Rechtsstaat , Wies­ba­den

Logo von Oberlandesgericht Celle
Rich­ter/-in (w/m/d) bzw. Staats­an­walt / -an­wäl­tin (w/m/d) im Be­zirk des...

Oberlandesgericht Celle , Sta­de

Mehr Stellenanzeigen
logo lto events
Logo von Görg
GÖRG Connect Köln

03.12.2025, Köln

Online Info Session Jurastudium (LL.B., EjP)

26.11.2025

Geldwäsche-Prävention in der Steuerberatung, Rechtsberatung und Wirtschaftsprüfung

26.11.2025

Kölner Tage DigiTax 2025

27.11.2025, Köln

Update IT-Recht 2025

26.11.2025

Mehr Events
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH