Von Privatdetektiven und Mitternachtsnotaren: Der Fall Braun und die notarielle Redlichkeit

Die Affäre rund um den ehemaligen Berliner Justizsenator hat wieder gezeigt, dass es manch einem Notar bei dubiosen Immobiliengeschäften an Unrechtsbewusstsein fehlt. Die Urkundsbeamten sind zwar keine "Privatdetektive". Warum das notarielle Standesrecht aber trotzdem nicht ausreicht und ein ethischer Verhaltenskodex her muss, erklärt Herbert Grziwotz.

In der letzten Woche erregte der Fall des zurückgetretenen Berliner Justizsenators und Notars Braun Aufsehen. Dieser stolperte über den Vorwurf beim Verkauf von "Schrottimmobilien" mitgewirkt zu haben. Bei den fragwürdigen Immobiliengeschäften hat er möglicherweise seine Aufklärungspflicht als Notar verletzt.

Notare sind unabhängige Träger eines öffentlichen Amtes. Ihr Beruf ist kein Gewerbe. Sie müssen unparteiisch beurkunden und bereits jeden Anschein einer Parteilichkeit vermeiden. Der Notar darf seine Amtstätigkeit nur bei Handlungen versagen, mit denen erkennbar unerlaubte oder unredliche Zwecke verfolgt werden. Er ist schließlich Gebührenbeamter, das heißt er wird nicht vom Staat, sondern von den Mandanten bezahlt.

Der Interessekonflikt, der sich aus der Pflicht des Notars zur Unparteilichkeit und der Bezahlung durch die Mandanten ergibt, liegt auf der Hand. Eine offene Diskussion der Problematik ist innerhalb des Notarstandes bisher aber unterblieben. Dabei ist es relativ einfach: Je weniger Bedenken ein Notar hat, je weniger er sich also als "Privatdetektiv" hinsichtlich etwaiger unredlicher Zwecke betätigt, desto mehr verdient er. Welche Probleme dies für die notarielle Unabhängigkeit und den Verbraucherschutz mit sich bringt, zeigt der Fall des zurückgetretenen Berliner Justizsenators und Notars Braun.

Schnellschussbeurkundungen an Silvester

Es geht im Immobiliengeschäft aber nicht nur um den Gewinn der Notare, sondern auch um die Gier der Anleger. Gerade vor Silvester herrscht Termindruck. Grund hierfür ist, dass zum Jahresende häufig steuerliche Vergünstigungen auslaufen und Geschäfte deshalb noch im alten Kalenderjahr beurkundet werden müssen.

Notare die zu einer Denkpause raten, verprellen die Anleger, die sich die in Hochglanzprospekten versprochene Steuerersparnis erhoffen. Stellt sich jedoch bei diesen Schnellschussbeurkundungen später heraus, dass das Anlagemodell eine Schrottimmobilie war und nur Verluste erbracht hat, ist alles viel zu schnell gegangen. Dies ist aus der Praxis der so genannten Bauherren- und sonstigen Anlegermodelle, mit denen gewiefte Immobilienspekulanten "Ladenhüter" abstoßen wollen, hinlänglich bekannt.

Bis Mitte der neunziger Jahre waren Vertriebsmodelle üblich, mit denen gut verdienende Freiberufler Immobilienanlagen zeichneten. Unseriöse Vertriebe haben dann auch Personen geworben, bei denen derartige Modelle keinen steuerlichen Sinn hatten. Spätestens zur Jahrtausendwende haben seriöse Notare ihre frühere Beurkundungspraxis überdacht und die Strukturvertriebe aus ihren Amtsstuben hinausgeworfen. Andere haben weitergemacht und davon nicht schlecht gelebt.

Wartefristen gegen Mitternachtsnotare

Der Gesetzgeber hat auf die so genannten Mitternachtsnotare 2002 mit einer Berufsrechtsnovelle reagiert. Notare müssen seitdem bei Verträgen, mit denen ein Unternehmer an einen Verbraucher Immobilien veräußert, eine Mindestwartefrist von zwei Wochen zwischen der Aushändigung eines Entwurfs der Urkunde und der Beurkundung abwarten. Zudem muss der Verbraucher selbst beim Notar anwesend sein oder durch eine Person seines Vertrauens vertreten werden. So wird sichergestellt, dass der Käufer den Notar über die rechtliche Tragweite seines Geschäfts befragen kann.

Diese verbraucherschützende Novelle wurde teilweise hart kritisiert. Gegner argumentierten, dass der Schutz des Verbrauchers vor Übereilung nicht Zweck der Einschaltung des Notars bei Immobiliengeschäften sein solle. Durch einen Blick in die Gesetzgebungsmaterialien des Bügerlichen Gesetzbuches (BGB) lässt sich jedoch leicht feststellen, dass sich dieses Argument eigentlich bestens für die generelle Abschaffung der notariellen Form im Immobilienverkehr eignen würde. Gerade der Übereilungsschutz war der Grund dafür, Immobiliengeschäfte dem notariellen Formzwang zu unterwerfen. Der Fall Braun zeigt bloß, dass manche Notare zu viel Verbraucherschutz als schädlich fürs Geschäft ansehen.

Angesehene "Nummern-Notare"

Die überfällige Diskussion über wirtschaftliche Abhängigkeiten der Notare ist bisher unterblieben. Dies liegt nicht nur an den Notaren selbst. Auch Verbraucherschützer scheinen in diesem Bereich zu schlafen. Banken, Strukturvertriebe und überörtliche Immobilienvermittler haben dagegen kein Interesse ihr Geschäftsmodell in Frage zu stellen. Sie wollen ihre Objekte schnell verkaufen. Gerade, wenn es sich um eine Schrottimmobilie handelt.

Der Käufer soll keinesfalls lange über Klauseln zugunsten der Bank nachdenken. Viele Verträge enthalten vollstreckbare Provisionszahlungsverpflichtungen oder Bestimmungen, wonach der Käufer im Falle der Insolvenz des Bauträgers nur einen Teil des Kaufpreises zurück erhält. Auch die vom Bundesgerichtshof längst für unwirksam erklärte Zwangsvollstreckungsunterwerfung taucht immer wieder auf.

"Nummern-Notare", die sehr viele Urkunden produzieren, leben von einem solchen Geschäftsgebaren nicht nur gut, sondern genießen im eigenen Berufsstand Ansehen. Dies ist vor allem in Ländern, in denen Berufsanfänger nur ein kleines Landamt mit entsprechend geringen Einnahmen erhalten, bedeutsam. Sie können sich erst später in die Großstadt auf ein lukratives Amt bewerben. Nehmen sie ihre Amtspflicht besonders ernst, haben sie bei ihrem beruflichen Fortkommen schlechtere Chancen. Kollegen wollen nämlich lieber einen "erfolgreichen" Sozius, der das gemeinsame Einkommen erhöht.

Neue Ethik für Notare

Die Affäre um die dubiosen Immobiliendeals in Berlin belegt, dass die beurkundungsrechtlichen und standesrechtlichen Vorschriften allein nicht ausreichen. Verbraucher müssen ohne langes Nachblättern in komplizierten Normen nachprüfen können, ob ihr Immobiliengeschäft und das dabei eingehaltene Verfahren den üblichen Anforderungen entspricht.

Der frühere Bundesverfassungsrichter Hoffmann-Riem hat unter der Überschrift "Der Notarberuf im Wandel – Diener am Rechtsstaat oder Unternehmer?" bereits vor zehn Jahren auf den Interessenkonflikt hingewiesen. Notare müssten sich entscheiden, ob sie das Privileg ihres öffentlichen Amtes mit einer strengen Bindung an das Gemeinwohl rechtfertigen oder ob sie sich als "Dienstleister" der großen Profiteure des Immobilienmarkts verstehen.

Die Diskussion über einen ethischen Verhaltenskodex für Notare ist längst überfällig. Man könnte mit dem Altbundeskanzler Helmut Schmidt sagen, dass man ethische Normen nicht benötigt, wenn man noch Anstand hat. Aber das scheint, wie der Fall Braun zeigt, gerade das Problem zu sein.

Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz, Notar in Regen und Zwiesel. Er ist gemeinsam mit Dr. Jörn Heinemann, Notar, Autor einer Kommentierung des Beurkundungsgesetzes.

Zitiervorschlag

Herbert Grziwotz, Von Privatdetektiven und Mitternachtsnotaren: Der Fall Braun und die notarielle Redlichkeit . In: Legal Tribune Online, 19.12.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5129/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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