Beschlüsse des 73. Deutschen Juristentages: Revo­lu­tion beim Rich­ter­wahl­ver­fahren bleibt aus

von Hasso Suliak

23.09.2022

Stärkere Regulierung von Facebook und Co., Haftungsverschärfungen für Hersteller autonomer Systeme, Implantierung des Wahlverfahrens für Verfassungsrichter im GG:  Auf dem DJT bekam die Politik einige Aufgaben ins Stammbuch geschrieben.

In sechs Abteilungen haben rund 1.500 Teilnehmende zwei Tage lang auf dem 73.Deutschen Juristentag (DJT) in Bonn Rechtsfragen aus einer breiten Palette des Rechts diskutiert. Herausgekommen ist am Donnerstagabend eine lange Liste von Beschlüssen, darunter viele Wünsche der Jurist:innen an den Gesetzgeber.

Mit Spannung erwartet worden war unter anderem, welche Empfehlungen der DJT in der Abteilung "Justiz" der Legislative an die Hand geben würde. Die Fragestellung lautete: "Empfehlen sich Regelungen zur Sicherung der Unabhängigkeit der Justiz bei der Besetzung von Richterposten?". Nach diversen Possen im Zusammenhang mit Personalentscheidungen bei der Besetzung von Richterstellen hatten einige Jurist:innen gehofft, man könne künftig bei Ernennung- und Beförderungsentscheidungen die Politik ein Stück weit aus dem Prozess herausdrängen und stattdessen die Entscheidungen unabhängigen Gremien überlassen.

Indes: Die erhoffte "Revolution" blieb hier aus. So scheiterte etwa der Vorschlag deutlich, angesichts von Erfahrungen in anderen europäischen Ländern sowie am EuGH und EGMR auf Landes- und Bundesebene unabhängige Kommissionen für die Besetzung von Richterpositionen vorzusehen. Keine Mehrheit fand außerdem die Anregung, im Rahmen von Beförderungsverfahren "zur Verbesserung der Objektivität von Beurteilungen spezielle Beurteilungsgremien einzurichten". Allerdings sprachen sich die Jurist:innen für eine normative Festlegung für landesweit einheitliche Beurteilungsmaßstäbe aus sowie für mehr Coaching und Fortbildung derjenigen, die über Beförderungen entscheiden.

Keine Änderung beim Bundesrichterwahlausschuss

Und: Soweit die Entscheidung über ein Ministerium erfolgt, sollen künftig auch richterliche und staatsanwaltschaftliche Mitbestimmungsgremien miteinbezogen werden. Bei Konkurrentenstreitverfahren soll der Rechtsschutz bundeseinheitlicher optimiert werden, für Verfahren um Bundesrichterstellen soll künftig ausschließlich das BVerwG zuständig sein.

Der DJT fand im World Conferende Center statt. Foto: djt/Andreas Burkhardt

Zwar konstatierte der DJT die Gefahr, dass die Wahl von Bundesrichter:innen "in erheblichem Maße der Einflussnahme und Steuerung durch die politischen Parteien ausgesetzt" sei, allerdings sahen die Jurist:innen nach ihren Beratungen keinen Anlass, an der bisherigen Besetzung des Bundesrichterwahlausschusses irgendetwas zu ändern. Bislang setzt sich dieser aus 16 Landesminister:innen sowie 16 vom Bundestag gewählten MdB zusammen. Ein Antrag, der das Gremium unter anderemfür Vertreter:innen der Anwaltschaft, Richterschaft und Rechtswissenschaft öffnen wollte, fand - knapp - keine Mehrheit.

Genauso soll auch das Wahlverfahren für Richter:innen zum BVerfG durch Bundestag und Bundesrat im Prinzip beim Alten bleiben. Ein neuer Richterwahlausschuss, der ausschließlich aus Richter:innen bestehen sollte, wurde abgelehnt. Allerdings soll das bisher einfachgesetzliche Zweidrittelmehrheits-Erfordernis für die Wahl künftig fest im Grundgesetz verankert werden.

Gescheitert ist auch der Wunsch nach mehr Transparenz zur Sicherstellung der Unabhängigkeit der Justiz: Ein Antrag des ehemaligen CDU-MdB, Prof. Heribert Hirte, der das Lobbyregistergesetz auch auf Richter:innen erstrecken wollte und so z.B. Nebeneinkünfte transparenter machen wollte , verfehlte die Mehrheit deutlich.

Twitter, Facebook und Co. an die Leine

Mehr Regelungsbedarf sahen die Juristinnen in Bonn dagegen an anderer Stelle im Wirtschaftsrecht.

Die Abteilung Strafrecht. Foto: djt/Andreas Burkhardt

So müssen sich Plattformbetreiber wie Twitter, Facebook und Co. nach den Beschlüssen des DJT künftig warm anziehen. Gefasst wurden diverse Beschlüsse, die vor allem Betreiber mit Marktmacht und sog. Gatekeepern betreffen. Sie soll eine strengere Fusionskontrolle treffen, der Gesetzgeber soll außerdem flexibler auf wettbewerbswidriges Verhalten reagieren und auch das Bundeskartellamt soll bei der Durchsetzung von UWG- und AGB-Recht gestärkt werden.

Einen verschärften Rechtsrahmen fordern die Jurist:innen auch für Hersteller digitaler autonomer Systeme, wie Hersteller autonomer Fahrzeuge. Hier erwartet man vom Gesetzgeber schärfere Haftungsregeln z.B. im Bereich der deliktischen Produkthaftung. Außerdem soll zu Lasten der Hersteller ein vom Vorliegen eines Produktfehlers unabhängiger Gefährdungshaftungstatbestand geschaffen werden - für Fahrzeuge nach dem Vorbild des § 7 StVG. Vor diesem Hintergrund empfehlen die Jurist:innen zudem die Einführung einer Pflichtversicherung für die Unternehmen.

Erhöhung des Renteneintrittsalters

In der Abteilung Arbeits- und Sozialrecht formulierte der DJT seine Erwartungen an ein funktionierendes und belastbares System der Altersvorsorge angesichts der demografischen Entwicklung. Ohne eine konkrete Altersgrenze explizit zu nennen, gehen die Jurist:innen dabei von einer Erhöhung des Renteneintrittsalters im Jahr 2030 aus. Allerdings soll es dann nach ihren Vorstellungen für die Rentenversicherten zu keiner Beitragssatz-Erhöhung kommen und auch auf eine Absenkung des Sicherungsniveaus der gesetzlichen Rente "sollte möglichst verzichtet und nach langjähriger Vollzeitbeschäftigung ein Rückgriff auf ergänzende Leistungen der Grundsicherung vermieden werden".

Ergänzend plädierten die Jurist:innen dafür, die private Vorsorge "weiter auszubauen, auf transparente, einfach verständliche Vorsorgeprodukte zu fokussieren und bei Geringverdienern und Familien diese staatlich zu fördern." Vom Deutschen Anwaltverein (DAV) geradezu gefeiert wurde der Beschluss, dass Mitglieder eines berufsständischen Versorgungswerkes, wie etwa des Anwalts-Versorgungswerkes, nicht in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden sollen.

Strafprozessuales Unmittelbarkeitsprinzip bleibt heilig

Im Bereich des Strafrechts diskutierten die Teilnehmenden schließlich im Wesentlichen die Frage, ob das im Strafprozess in § 250 StPO normierte Unmittelbarkeitsprinzip, wonach in einem Hauptverfahren Zeug:innen grundsätzlich persönlich vernommen werden sollten, zu Gunsten etwa der Prozessökonomie modifiziert bzw. eingedampft werden sollte. Jedoch: Ein entsprechender Antrag, der den Umgang mit Beweismitteln ein stückweit mehr in den Verantwortungsbereich der Richter:innen legen wollte, wurde mit großer Mehrheit abgelehnt.

Allerdings wurden zahlreiche Beschlüsse gefasst, die den Strafprozess an den technischen Stand der Gegenwart anpassen sollen. So soll im Ermittlungsverfahren vermehrt auf Bild-Ton-Aufzeichnungen zurückgegriffen werden, z.B. dann, wenn in der Hauptverhandlung eine Gefahr für das Wohl des Zeugen oder der Zeugin droht. Der Gesetzgeber wird aufgefordert, rechtliche Regelungen für Durchführung derartiger Aufzeichnungen zu schaffen.

Im Bereich des Öffentlichen Rechts befasste sich der DJT mit der "nachhaltigen Stadt der Zukunft" und Neuregelungen zu Verkehr, Umweltschutz und Wohnen. Beschlossen wurden diverse Änderungen im BauGB, um ökonomische, soziale und ökologische Planungen besser voranzutreiben. Für eine effektivere urbane Klimapolitik bedürfe es der Verankerung klimaschützender Vorgaben - auch in örtlichen Bauvorschriften. Im Bereich Mieterschutz sprachen sich die Jurist:innen für die Beibehaltung der Mietpreisbremse (§556d BGB) aus, forderten jedoch eine Streichung des sog. Umwandlungsverbotes nach § 250 BauGB. Danach gilt bis Ende 2025 die Regelung, dass derjenige eine Genehmigung braucht, der Mietwohnungen – auch einzelne in Mehrfamilienhäusern – zu Eigentum machen will.

Zitiervorschlag

Beschlüsse des 73. Deutschen Juristentages: . In: Legal Tribune Online, 23.09.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49719 (abgerufen am: 05.10.2024 )

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