Druckversion
Donnerstag, 12.06.2025, 14:19 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/hintergruende/h/70-jahre-gg-art-18-grundrechte-missbrauch-verwirkung-wehrhafte-demokratie
Fenster schließen
Artikel drucken
35191

70 Jahre Grundgesetz – die Grundrechtsverwirkung aus Art. 18 GG: Wie miss­braucht man seine Grund­rechte?

von Marcel Schneider

04.05.2019

Das Bild thematisiert den Missbrauch von Grundrechten, insbesondere der Meinungsäußerung, gemäß Artikel 18 des Grundgesetzes.

Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit – dieser Idee entsprechend sollen Gegner der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ihre Grundrechte verwirken können. Passiert ist das allerdings noch nie.

Anzeige

Das Grundgesetz (GG) wird 70 Jahre alt. Das gibt Anlass, um einen Blick auf die wichtigsten Werte der deutschen Gesellschaft zu werfen. Bis zum 23. Mai stellt LTO die wichtigsten Grundrechte vor, ihre Entwicklung und ihre Bedeutung gestern und heute.

Art. 18 GG? Selbst der ein oder andere Jurist dürfte noch einmal kurz nachschlagen müssen, um was es sich da handelt. Das ist keine Überraschung: Im Grundstudium stolpern Jurastudenten höchstens zufällig über diese Regelungen, außerdem ist das bisher letzte Art.-18-Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) über 20 Jahre her.

Vor allem aber: Art. 18 GG gewährt kein eigenständiges Grundrecht, das man für eine Klausur lernen oder in Rechtsgutachten berücksichtigen müsste. Er ist vielmehr ein verfassungshistorisch recht junges Instrument der "streitbaren" beziehungsweise "wehrhaften" Demokratie, wie das BVerfG in diversen Entscheidungen herausarbeitete (z. B. Beschl. v. 14.01.1969, Az. 1 BvR 553/64).

Die Rechte, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung (FDGO) gewährt, sollen nicht dazu missbraucht werden können, diese selbst zu überwinden. Vor dem BVerfG, das darüber entscheidet, ob jemand seine Grundrechte verwirkt, hat es bis heute vier solcher Verfahren gegeben. Alle entsprechenden Anträge haben die Karlsruher Richter jedoch abgewiesen.

Das Kampfmittel der wehrhaften Demokratie

Art. 18 GG betrifft jede natürliche Person, also Deutsche wie Ausländer. Auch inländische juristische Personen können ihre Grundrechte verwirken, sodenn sie nach Art. 19 Abs. 3 GG Träger von Grundrechten sein können. Das ist soweit recht unproblematisch.

Schwammiger wird es beim "Missbrauch" von Grundrechten, auch wenn der Begriff selbst kein Tatbestandsmerkmal ist, wie man vermuten könnte: Art. 18 GG wertet schon den Kampf gegen die FDGO unter Berufung auf Grundrechte als Missbrauch. Die Rechtsfolge ist dann die Verwirkung eben dieser.

Einig ist man sich in der Literatur darüber, dass der Grundrechtsträger vorsätzlich handeln muss und mit dem Ziel, die FDGO zu bekämpfen, also einzelne Teile oder die Ordnung als Ganzes beeinträchtigen oder beseitigen zu wollen. Es herrscht auch weitestgehend Konsens darüber, dass vom Antragsgegner eine fortdauernde, zukünftige Gefährlichkeit ausgehen und sein Verhalten in der Gesamtschau gewürdigt werden muss.

Damit hat es sich aber auch schon in Sachen Einigkeit: Viele tiefergehende Detailfragen, zum Beispiel, ab wann eine "planvolle aggressive Tendenz" des Missbrauchenden vorliegt oder wann von einer notwendigen ausreichenden Gefährdung der FDGO auszugehen ist, sind umstritten. Keine Überraschung also, dass die bisherigen Verfahren nicht zu einer Verwirkung der Grundrechte führten.

Verwirken kann man dabei übrigens "nur" die abschließend aufgezählten Grundrechte: die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1), die Lehrfreiheit (Art. 5 Abs. 3), die Versammlungsfreiheit (Art. 8), die Vereinigungsfreiheit (Art. 9), das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10), das Eigentum (Art. 14) und das Asylrecht (Art. 16a).

Eine überschätzte Norm?

Ziemlich weit vorne im GG, sein Verfahren dennoch selten angestrengt und bisher noch keine einzige ausgesprochene Verwirkung von Grundrechten – hat sich der Parlamentarische Rat 1948/49 womöglich verkalkuliert und die Bedeutung des Art. 18 GG überschätzt?

Hinsichtlich der Praxis, in der sich der Staat im Kampf gegen Verfassungsfeinde zum Beispiel lieber auf einfachgesetzliche Regelungen aus dem Strafrecht verlässt oder im Falle von Parteiverboten mit Art. 21 Abs. 2 GG ein geeigneteres Werkzeug vorhanden ist, vielleicht ein wenig.

Art. 18 GG ist aber – und da ist sich die Literatur wiederum einig – von grundsätzlicher Bedeutung "im Gesamtsystem zum Schutz der Grundordnung". So stecke etwa in ihm der elementare Gedanke, "dass der Schutz der betreffenden Grundrechte erst durch die Verwirkung entfällt". Damit soll "die Idee, den vermeintlich defizitären Schutz der Verfassung vor ihren Feinden durch eine Vorverlagerung der Einschreitschwelle zu verstärken [...]", verfassungsrechtlich im Zaum gehalten werden.

Anders gesagt: Als Teil des Grundgesetzes trägt er wesentlich dazu bei, den Maßstab dafür zu definieren, wie "wehrhaft", "streitbar" oder "abwehrbereit" unsere Demokratie eben sein darf. Wenn das mal keinen Platz in den vorderen Reihen unserer Verfassung wert ist.

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

70 Jahre Grundgesetz – die Grundrechtsverwirkung aus Art. 18 GG: . In: Legal Tribune Online, 04.05.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35191 (abgerufen am: 12.06.2025 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Staatsrecht und Staatsorganisationsrecht
    • Demokratieprinzip
    • Grundrechte
    • Rechtsstaat
    • Verfassung
  • Gerichte
    • Bundesverfassungsgericht (BVerfG)
BVerfG 12.06.2025
BVerfG

BVerfG verlängert Fortgeltungsanordnungen:

Mehr Zeit für Neu­re­ge­lung ver­fas­sungs­wid­riger Normen

Es betrifft Teile des BKA-Gesetzes und die Vaterschaftsanfechtung: Das BVerfG hat die Fortgeltungsanordnungen zweier Gesetzesbestimmungen verlängert. Der Gesetzgeber hat damit mehr Zeit, die benötigten Änderungen vorzunehmen.

Artikel lesen
Donald Tusk 11.06.2025
Polen

Wegweisend für die polnische Justiz:

Tusk gewinnt Ver­trau­ens­frage nach Prä­si­dent­schafts­wahl

Polens proeuropäischer Regierungschef erwartet viel Widerstand vom neuen Präsidenten Nawrocki. Deshalb testete er die Loyalität seiner Koalitionspartner per Vertrauensfrage – mit Erfolg. Die Abstimmung dürfte wegweisend für Polens Justiz sein.

Artikel lesen
Ein Redner diskutiert die aktuellen Herausforderungen für die Anwaltschaft und Justiz beim Deutschen Anwaltstag 2025. 07.06.2025
Podcast

LTO-Rechtslage-Sonderfolge zum Deutschen Anwaltstag:

Es beginnt mit dem Angriff auf Anwalt­schaft und Justiz

Welche Folgen hat der Beschluss zu Grenz-Zurückweisungen? Wie soll Justiz und Anwaltschaft auf Angriffe reagieren? US-Großkanzlei-Anwältin erzählt über ihren Ausstieg wegen des Systems Trump. All dies in Folge 34 des Rechtslage-Podcasts. 

Artikel lesen
Grenzkontrolle an der deutsch-polnischen Grenze 06.06.2025
Asyl

"Vorläufig", "politisch motiviert", "unzuständig":

Die Mythen über die Zurück­wei­sungs­be­schlüsse des VG Berlin

Fake News und Halbwahrheiten sind der Nährboden für Hetze. Das bekommen die Richter des VG Berlin zu spüren, die Zurückweisungen von Asylsuchenden für rechtswidrig erklärt hatten. Anlass genug, die Fakten noch einmal geradezurücken.

Artikel lesen
Polens neuer Präsident Karol Nawrocki 02.06.2025
Polen

Nach Präsidentschaftswahl in Polen:

"Man muss mit Chaos rechnen"

Denkbar knapp haben die Polen einen neuen Präsidenten gewählt: Mit 50,89 Prozent setzte sich der rechtskonservative Karol Nawrocki durch. Er bekleidet nun ein mächtiges Amt, das vor allem den Umbau der Justiz im Land zementieren dürfte.

Artikel lesen
Demonstranten schwenken georgische Nationalflaggen während einer Protestaktion der Opposition gegen das "Gesetz zur Transparenz ausländischer Einflussnahme" in Tiflis, Georgien, am 02.05.2024. 02.06.2025
Menschenrechte

Bericht von "Brot für die Welt":

Demo­k­ratie und Men­schen­rechte welt­weit unter Druck

Ein jährlicher Bericht von "Brot für die Welt" untersucht, welche zivilgesellschaftlichen Freiheiten die Staaten den Bürgern gewähren. Die Freiheitsrechte in Deutschland seien "beeinträchtigt", was der zweitbesten Kategorie entspricht.

Artikel lesen
ads lto paragraph
lto karriere logo
ads career people

Wir haben die Top-Jobs für Jurist:innen

Jetzt registrieren
logo lto karriere
TopJOBS
Logo von LAFP NRW (Polizei)
Füh­rungs­kraft (m/w/d) in der Lauf­bahn­grup­pe 2.2

LAFP NRW (Polizei) , Düs­sel­dorf

Logo von BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB
Prak­ti­kan­ten

BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB , Köln

Logo von Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg
Staats­an­wäl­tin (Rich­te­rin auf Pro­be) / Staats­an­walt (Rich­ter auf Pro­be)...

Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg , Neu­rup­pin

Logo von FPS Rechtsanwaltsgesellschaft mbH & Co. KG
Re­fe­ren­da­re (m/w/d) für al­le Rechts­be­rei­che

FPS Rechtsanwaltsgesellschaft mbH & Co. KG , Ham­burg

Logo von Oppenhoff
Re­fe­ren­da­re (m/w/d) al­le Fach­be­rei­che

Oppenhoff , Köln

Logo von Personalamt der Freien und Hansestadt Hamburg
Voll­ju­rist:in­nen (m/w/d) - Trainee­pro­gramm für an­ge­hen­de...

Personalamt der Freien und Hansestadt Hamburg , Ham­burg

Logo von Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg
Staats­an­wäl­tin (Rich­te­rin auf Pro­be) / Staats­an­walt (Rich­ter auf Pro­be)...

Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg , Frank­furt (Oder)

Logo von BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB
Prak­ti­kan­ten

BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB , Mün­chen und 1 wei­te­re

Mehr Stellenanzeigen
logo lto events
Unternehmensumwandlungen: Aus der GmbH - rein in die Personengesellschaft

19.06.2025

Logo von White & Case
Skyline Event Düsseldorf

03.07.2025, Düsseldorf

Logo von HEUKING
A Taste of HEUKING meets Hemmer ZPO-Examenskurs

26.06.2025, Stuttgart

LinkedIn-Lunch: Die wichtigsten 2025er LinkedIn-Updates für ambitionierte Juristinnen

20.06.2025

Logo von Hagen Law School in der iuria GmbH
Fachanwaltslehrgang Gewerblicher Rechtsschutz im Fernstudium/ online

20.06.2025

Mehr Events
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH