Till Lindemann ist vor dem LG Hamburg erfolgreich gegen eine YouTuberin vorgegangen, die schwere Vorwürfe gegen den Rammstein-Sänger erhob. Unterdessen begibt sich der Spiegel in einen juristischen Kleinkrieg gegen die Lindemann Anwälte.
5,8 Millionen Aufrufe hat das Video unter dem Titel "Was wirklich auf Rammstein-Afterpartys passiert" auf YouTube zu verzeichnen. Die Schauspielerin und Influencerin Kayla Shyx hat es Anfang Juni veröffentlicht. Dort erzählt sie plastisch, wie sie selbst auf einer Rammstein After-Aftershowparty war und schildert den Vorgang der Rekrutierung von jungen Frauen für diese Partys. Doch das Video beschränkt sich nicht auf eigene Wahrnehmungen, sondern enthält eine Reihe von darüber hinausgehenden schweren Vorwürfen gegenüber Till Lindemann.
Der Rammstein-Sänger ging mit seinem Rechtsanwalt Simon Bergmann gegen mehrere Aussagen aus dem Video vor. Das Landgericht (LG) Hamburg verbot nun der Influencerin mit Beschluss vom 24.07.2023 (Az. 324 O 264/23) acht Passagen im einstweiligen Rechtsschutz. Shyx, vertreten durch activeLAW Rechtsanwälte, hat die gesamten Kosten des Verfahrens zu tragen. Der noch nicht rechtskräftige Beschluss liegt LTO vor.
LG: Keine Beweise für Vergabe von K.O.-Tropfen
Konkret verboten wurde Shyx etwa die Behauptung, dass Shelby Lynn und weitere Frauen "unter Drogen gesetzt" wurden. Der Zuschauer gehe im Gesamtzusammenhang des Beitrags davon aus, dass die Vergabe von K.O.-Tropfen auf Lindemann zurückgehe. Shyx habe im Verfahren "nicht weiter ausgeführt, welche Informationen ihr vorliegen, aus denen sich die Wahrheit der behaupteten Vorwürfe ergibt", so das LG.
Auch die Äußerung "es werden Fan-Girls da reingebracht, sie werden besoffen gemacht und dann sucht er sich aus, mit wem er Sex haben will" wurde Shyx verboten. Im Kontext werde dies so verstanden, "dass die Fans systematisch betrunken gemacht würden, damit es anschließend zum Sex mit (Lindemann) komme". Doch Shyx habe nur belegen können, dass es das Angebot gab, Alkohol zu trinken. Für ein systematisches Vorgehen fehle eine Glaubhaftmachung. Im einstweiligen Verfügungsverfahren funktioniert die Glaubhaftmachung üblicherweise mit eidesstattlichen Versicherungen. Offenbar legte Shyx keine solche Versicherungen von anderen Frauen vor oder die vorgelegten stützten die behaupteten Vorwürfe nicht.
Auch die Aussage, dass K.O.-Tropfen bei einigen Frauen anscheinend in den Alkohol gegeben worden seien, wurde mangels Belegen verboten. Das Wort "anscheinend" führe zu keiner Distanzierung, da Shyx auch an weiteren Stellen des Videos die Vergabe von K.O.-Tropfen als feststehend schildere, so das LG:
LG: Aussagen zu "Pädophilie" und "Missbrauch" sind unzulässige Meinung
Auch die Passage "es ist genauso eine Scheiße wie bei R. Kelly und diesen ganzen pädophilen Vergewaltigern, die irgendwelche 15-jährigen ficken wollten" verbot das LG. Es handele sich um eine unzulässige Meinungsäußerung. Zwar würde mit der Passage nicht insinuiert, dass auch Lindemann ein pädophiler Vergewaltiger sei, sondern nur das Verhalten des Rammstein-Sängers "mit drastischen Worten bewertet". Für die Bewertung, dass das Verhalten von Lindemann mit dem eines "pädophilen Vergewaltigers" vergleichbar sei, fehlten jedoch Anknüpfungstatsachen. Lindemann habe diese Bewertung, die "in höchstem Maße ehrverletzend" sei, nicht hinzunehmen.
Weiter wurde Shyx die Aussage verboten, es sei "herzzreißend", "dass jetzt so viele Mädchen auch gesagt haben, dass sie unter K.O.-Tropfen waren und sich an nichts erinnern können (...) oder dass sie spüren, dass sie blutend aufwachen und wissen, dass ihnen etwas passiert ist, woran sie sich aber nicht erinnern können. Das ist so schlimm." Trotz der Formulierungen "herzzereißend" und "schlimm", gehe der Zuschauer im Kontext des Beitrags davon aus, dass Shyx nicht nur die Meinung schildere, sondern die Behauptung aufstelle, dass es solche Erfahrungen tatsächlich gegeben hat. Hierfür fehlten aber entsprechende Glaubhaftmachungen.
Schließlich wurde ihr auch die Aussage untersagt: "Auf der ganzen Welt nutzen Männer ihre Machtposition aus. Mädchen sexuell zu missbrauchen (...). Und Till Lindemann ist einer davon". Zwar sei es unstreitig, dass Lindemann sexuelle Kontakte mit sehr jungen Frauen auf Aftershow-Partys habe. Doch dies trage nicht die Bewertung, dass Lindemann "Mädchen sexuell missbraucht" habe. Auch wenn es sich beim sexuellen Missbrauch um einen sehr weiten Begriff handele, so insinuiere er dennoch, dass Lindemann an den Mädchen sexuelle Handlungen gegen deren Willen vorgenommen habe. Hierfür fehlten Belege.
LG Hamburg bestätigt Linie
Das LG Hamburg bleibt in seiner Entscheidung der Abgrenzung treu, die es auch im von Lindemann gegen den Spiegel erwirkten Beschluss gezogen hatte. Nach diesem Beschluss sind Verdächtigungen verboten, die Lindemann unterstellen, K.O.-Tropfen, Drogen einzusetzen oder junge Frauen betrunken zu machen, um anschließend mit ihnen Sex zu haben. Erlaubt sind hingegen Schilderungen von Frauen von Sexerlebnissen mit Lindemann, in denen diese Erinnerungslücken angaben. Die Verbreitung des Verdachts, dass Lindemann mit ihnen sexuelle Kontakte hatte, obwohl sie nicht mehr "Herrinnen ihrer Sinne" waren, sei zulässig, so das LG im Spiegel-Beschluss. Auch im Shyx-Beschluss werden Behauptungen zum Einsatz von Drogen durch Lindemann untersagt. Die Schilderungen von Sexerlebnissen mit Frauen waren hingegen nicht streitgegenständlich.
Unterdessen greifen sich Lindemanns Rechtsanwälte und der Spiegel gegenseitig öffentlich an. Während Rechtsanwalt Bergmann dem Spiegel im Interview mit Cicero unter dem Zitattitel "Schlimmer als 'Bild'" einen "reißerischen Stil" vorwirft, rechtfertigt dieser seine Berichterstattung in einem eigenen Artikel und keilt in Richtung Schertz Bergmann zurück.
Dabei moniert das Nachrichtenmagazin zunächst, dass es "sehr einseitige" Berichterstattung über den Beschluss des LG gegeben habe. Der Bericht des Spiegel liest sich indes auch nicht gerade neutral. Er schreibt, das Gericht sei "neben zwei kleineren Punkten" "nur bei einem der vielen relevanten Sachverhalte" zu einer anderen Bewertung gekommen. Doch dabei handelt es sich um einen zentralen Vorwurf gegen Till Lindemann, nämlich den Verdacht der Vergabe von K.O.-Tropfen. Auch hat der Spiegel die überwiegenden Prozesskosten zu tragen.
Spiegel eröffnet Kleinkrieg gegen Schertz Bergmann Rechtsanwälte
Weiter lässt sich der Spiegel zu Gerichtsschelte gegen das LG Hamburg hinreißen und bezeichnet die Pressemitteilung der Lindemann Anwälte als "übermotiviert" und "handwerklich schlampig". In der Pressemitteilung der Anwälte war davon die Rede, dass dem Spiegel Tatsachenbehauptungen untersagt worden seien, obwohl es tatsächlich Verdachtsäußerungen waren. Der Spiegel kündigt an, hiergegen juristisch vorzugehen.
Der Erfolg dürfte ungewiss sein, da das Verbot einer Verdachtsäußerung weitgreifender ist als das Verbot einer Tatsachenbehauptung. Denn es bedeutet, dass nicht einmal über den Verdacht eines vermeintlichen Ereignisses berichtet werden darf. Sofern der Spiegel nun beklagt, es sei unterschlagen worden, dass ihm "nur" ein Verdacht verboten wurde, könnte dem entgegnet werden, dass "sogar" ein Verdacht verboten wurde. Andererseits wird dem Spiegel eine konkrete Behauptung unterstellt, wo das Nachrichtenmagazin nach Ansicht des LG nur einen Verdacht schilderte. Jedenfalls ist gut möglich, dass sich parallel zum Streit über die Lindemann-Berichterstattung eine zweite gerichtliche Front zwischen dem Spiegel und Schertz Bergmann-Rechtsanwälten auftut.
Die Kanzlei hat indes auch mit Lindemann weiter gut zu tun. Kurz vor dem Rammstein-Konzert in Wien erhebt eine Frau aus Österreich im ORF schwere Vorwürfe gegen den Rammstein-Sänger.
* Angepasste Fassung vom 26.07.2023, 09:25 Uhr in Bezug auf Darstellung der gerichtlichen Abgrenzung zwischen Verbotenem und Erlaubtem.
LG Hamburg verbietet acht Textpassagen: . In: Legal Tribune Online, 26.07.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52339 (abgerufen am: 10.12.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag