Stalking wird zum Gefährdungsdelikt. Doch die Neuregelung offenbart schon jetzt Schwachstellen, vor allem die Beeinträchtigung des psychischen Wohlbefindens hätte aufgenommen werden müssen, sagt Yvonne Conzelmann.
Die Regelung des Stalkings im Strafgesetzbuch (StGB) stellte zu hohe Anforderungen an eine Tatbestandsverwirklichung – das war Experten schon kurz nach der Einführung des § 238 StGB im März 2007 klar. Nun hat der Bundesrat in seiner 953. Sitzung die Neufassung beschlossen.
Die Neufassung bringt im Wesentlichen eine Umwandlung der Deliktsnatur von einem konkreten Erfolgsdelikt hin zu einem abstrakten Gefährdungsdelikt mit sich sowie eine Herausnahme des § 238 Abs. 1 StGB aus den Privatklagedelikten nach § 374 Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO). Damit hat der Gesetzgeber zwei wesentlichen Forderungen der Kritiker im Hinblick auf einen effektiven Opferschutz entsprochen.
Aufstieg zum Offizialdelikt
Die Umwandlung in ein abstraktes Gefährdungsdelikt sowie die Streichung aus der Reihe der Privatklagedelikte verdient vollumfänglich Zustimmung. Zukünftig reichen Tathandlungen aus, die aus einer ex-ante-Perspektive geeignet sind, die Opfer zu einer Veränderung ihrer Lebensgestaltung zu bewegen. Eine tatsächliche Änderung ist somit nicht mehr notwendig.
Damit werden künftig sowohl psychisch starke Opfer, die dem Stalker die Stirn bieten, als auch solche geschützt, die nur aus finanziellen oder persönlichen Gründen nicht in der Lage sind, ihr Leben aufgrund der Nachstellungen zu verändern. So hängt die Strafbarkeit der Stalking-Handlungen nicht mehr von der Reaktion des Opfers ab, sondern das Unrecht liegt jetzt in der vorgenommenen Handlung.
Bisher verwies die Staatsanwaltschaft die Geschädigten in knapp 70 Prozent der Fälle auf den Privatklageweg. Viele Opfer sahen sich durch die Einstellungsverfügung der Behörde entmutigt, diesen Weg überhaupt zu bestreiten. Zudem trugen die Opfer das Kostenrisiko und mussten in der Privatklage selbst die Beweise für die Nachstellungen erbringen. Für die Geschädigten ist die Umwandlung in ein Offizialdelikt daher ein Zeichen, dass die Bekämpfung des Phänomens Stalking ein Anliegen der Gesellschaft und keine reine Privatsache ist.
Vielschichtigkeit des Verhaltens
Bedauernswert ist, dass der Gesetzgeber die Novellierung nicht zum Anlass genommen hat, den sehr schwammig und unpräzise ausgestalteten objektiven Tatbestand zu konkretisieren. Die Präzisierung würde eine Subsumtion erleichtern und die Ergebnisse der Rechtsprechung vorhersehbarer machen. Des Weiteren wäre strafbares Stalkingverhalten von lediglich soziallästigem Verhalten leichter abzugrenzen.
Tatsächlich ist die Formulierung eines Tatbestandes auf Grund der Vielschichtigkeit der Verhaltensweisen und der schwierigen Abgrenzungsfragen zu noch sozialadäquatem Verhalten schwierig. Doch der Fall des unbefugten Nachstellens durch beharrliches Aufsuchen der räumlichen Nähe aus § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB wäre leicht durch die Angabe einer klaren Reichweite konkreter zu fassen gewesen und hätten durch die Einführung von Regelbeispielen präzisiert werden können.
Bei § 238 Abs. 1 Nr. 2 StGB, in dem über Dritte Kontakt herzustellen versucht wird, ist bisher nicht geklärt, ob der Dritte als eigener Fürsprecher mit eigenem Handlungsspielraum auftreten darf. Im Rahmen der Neufassung hätte der Gesetzgeber klarstellen müssen, welche Rolle der Dritte einnehmen muss, damit der Tatbestand verwirklicht ist.
Wäre dann auch gleich bei § 238 Abs. 1 Nr. 3 StGB das Abbestellen bzw. Kündigen von Waren und Dienstleistungen aufgenommen - Handlungen die ebenso belastend für das Opfer sein können wie die Zusendung unbestellter Ware – wäre die Neufassung schon erheblich besser geglückt.
2/2: Stalking ist primär Psychoterror
Immerhin hat der Gesetzgeber den Redaktionsfehler in § 238 Abs. 1 Nr. 4 StGB behoben und die Angehörigen des Opfers in den Kreis der Verletzungsadressaten aufgenommen.
Schwierigkeiten bereitet allerdings schon bisher das Merkmal des "beharrlichen" Nachstellens. Wäre dies durch eine nähere Beschreibung mit der kumulativen Verwendung der Begriffe "Qualität", "Intensität" "Häufigkeit" ersetzt worden, wäre dem Gesetzgeber eine verlässlichere Abgrenzung zu lediglich soziallästigem Verhalten gelungen. Im Übrigen wäre so klar geworden, dass für die Verwirklichung des strafbaren Stalkings keiner subjektiven Unrechtsgesinnung bedarf.
Einen weiteren, wesentlichen Aspekt hat der Gesetzgeber auch bei der Novelle nicht berücksichtigt: Die Norm erfordert auch künftig, dass das Nachstellen geeignet ist, die "Lebensgestaltung schwerwiegend" zu beeinträchtigen. Notwendig wäre gewesen, auch die Beeinträchtigung des psychischen Wohlbefindens des Geschädigten aufzunehmen.
Überflüssiger Auffangtatbestand
Opfer von Stalking werden meist nicht körperlich angegriffen. Gleichwohl zeigen Umfragen bei Betroffenen, dass Geschädigte über Jahre hinweg an Angstzuständen und Depressionen leiden. Durch die Aufnahme des psychischen Wohlbefindens könnten innere Vorgänge und Zustände eines Menschen vom Tatbestand erfasst werden.
Beibehalten wurde die Auffangtathandlungsvariante des § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB. In dem Fall nimmt der Täter eine "andere vergleichbare Handlung vor". Diese Tathandlungsvariante hätte ebenso gut ersatzlos gestrichen werden können: Das hätte nicht den Opferschutz reduziert, sondern vielmehr eine stärkere Akzeptanz der Norm insbesondere im Hinblick auf verfassungsrechtliche Bedenken bewirkt. Tatsächlich war in der Praxis ein Rückgriff auf § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB bisher nie erforderlich.
Einig sind sich Stalkingexperten, dass dem facettenreichen und interdisziplinären Phänomen Stalking nicht allein durch eine Novellierung des Straftatbestandes Einhalt geboten werden kann. Vielmehr ist neben einer gesetzlichen Regelung auch eine Nachbesserung im Beratungs- und Unterstützungssegment erforderlich. Die Neufassung korrigiert immerhin ein paar der ursprünglichen Schwachstellen – ausreichend ist sie jedoch nicht.
Die Autorin Dr. Yvonne Conzelmann ist Associate bei White & Case in Frankfurt im Bereich Disputes. Sie promovierte an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen über das Thema Stalking.
Dr. Yvonne Conzelmann, Neufassung des § 238 StGB: Stalking ist keine Privatsache . In: Legal Tribune Online, 20.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22126/ (abgerufen am: 28.03.2024 )
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