Zum Prozessauftakt betont der Vorsitzende, dass er trotz Sicherheitsmaßnahmen kein Staatsschutzverfahren führt. Klettes Verteidiger gehen vom Gegenteil aus. Und dann spricht Klette selbst. Wie unpolitisch kann der Prozess überhaupt sein?
"Dieser Prozess wird nicht gegen mich, sondern gegen die RAF geführt", Daniela Klette hat am Dienstag zum Prozessauftakt selbst das Wort ergriffen. Sie sei sich ihrer Lage bewusst, der Prozess werde mit politischem Kalkül geführt. Klette verlas ein eigenes rund 15 minütiges Statement. Ihre Stimme wirkte etwas schwach, leicht badisch gefärbt. Beharrlich spannte sie den Bogen vom Prozess in Celle zu Widerstandskämpfen gegen Imperialismus, der Geschichte der RAF, hin zu aktuellen politischen Themen und zurück zum Prozess.
"Wir führen hier kein Staatsschutz-, kein Terrorismusverfahren, auch wenn wir im Staatsschutzsaal verhandeln", hatte der Vorsitzende Richter Lars Engelke am Dienstag eingangs betont. Damit hat Engelke gleich die Frage angesprochen, die den ersten Prozesstag gegen die mutmaßliche Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette bestimmte: Wie politisch ist dieser Prozess? Oder: Wie unpolitisch kann er überhaupt sein?
Mehr als ein Jahr nach ihrer Festnahme in Berlin hat der Prozess gegen die ehemalige RAF-Terroristin Daniela Klette vor dem Landgericht (LG) Verden begonnen. Die Staatsanwaltschaft wirft der 66-Jährigen versuchten Mord unter anderem aus Habgier vor. Die Anklage spricht zudem von versuchtem und vollendetem schweren Raub als Mitglied einer Bande sowie von unerlaubtem Waffenbesitz (Az. 1 Ks 112/24).
Der Gerichtsprozess ist aus Sicherheitsgründen nicht in den Räumen des Landgerichts Verden gestartet, sondern im Staatsschutzsaal des Oberlandesgerichts Celle. Die Angeklagte wurde in einem Glaskasten platziert. Anfangs sitzen auch zwei Justizbeamte bei Klette und ihren drei Verteidigern. Das sind aus Berlin die Strafverteidiger Lukas Theune, Undine Weyers sowie Ulrich von Klinggräff.
Verteidiger sehen "verräterische Fehler in der Anklage"
Sie haben die Einstellung des Verfahrens gegen Klette und die Aufhebung des Haftbefehls gefordert. Klette schloss sich in ihrem Statement diesem Antrag an. Gegen die 66-Jährige sei kein fairer, rechtsstaatlicher Prozess möglich, heißt es in dem Antrag, den die Anwälte am ersten Prozesstag stellten. Die Verteidigung befürchtet ein politisches Verfahren, obwohl aus ihrer Sicht die ehemalige RAF-Mitgliedschaft Klettes nicht bewiesen ist.
Allein das Ausmaß der Sicherheitsmaßnahmen weise Anzeichen eines Terrorismusverfahrens und damit einer Vorverurteilung Klettes auf, führten die Anwälte aus. Nach Auffassung der Verteidigung hat das LG Verden die von der Staatsanwaltschaft hergestellten RAF-Bezüge bei der Zulassung der Anklage übernommen. Die Bedeutung der Auflösung der RAF im Jahre 1998 werde bei der Bewertung der angeklagten Taten nicht berücksichtigt. Von einer "Symbolik von Stammheim" sprach Verteidiger von Klinggräf angesichts der Sicherheitsmaßnahmen. Ein "Hauch von deutschem Herbst" schwebe über diesem Verfahren. In Stuttgart-Stammheim wurde Mitte der 1970er-Jahre ein großer Prozess gegen Köpfe der RAF geführt.
Die Verteidigung wirft der Staatsanwaltschaft vor, die RAF zu dämonisieren und ihre Mitglieder als skrupellose Verbrecher darzustellen. Es sei nicht davon auszugehen, dass das Gericht den RAF-Hintergrund vollständig ausblendet und ein normales Strafverfahren gegen Klette durchführen werde, so ihre Argumentation.
Klette spricht über Russland, Gaza und europäische Aufrüstung - und die RAF
Verteidigerin Weyers sprach von "verräterischen Fehlern in der Anklage". So seien Fehlinterpretationen durch die Staatsanwaltschaft in die Anklage hineingekommen. Ein Beispiel, Weyer bezog sich auf einen Überfall 2009 in Löhne, bei dem Zeugen keine Waffen gesehen hatten. Die Staatsanwaltschaft habe aber auf vermeintliche Erkenntnisse zur Gewaltbereitschaft der RAF zurückgegriffen, um auf eine Gefahr durch Waffengewalt in dem Überfall in Löhne zu schließen.
Indem die Verteidigung die Frage der Politisierung ausführlich am ersten Prozesstag thematisierte, trägt sie umgekehrt unausweichlich ein Stück zur Politisierung selbst bei. Eine Dynamik, in die dieser Prozess wenig überraschend geraten ist. Spätestens Klettes Statement, das zahlreiche aktuelle politische Themen von Ukraine-Krieg, Gaza, europäischer Aufrüstung, bis hin zur Schuldenbremse, Femizide und Kitas behandelte, gibt dem Verfahren eine ausdrücklich politische Dimension. Am Ende wird doch eben einfach sehr viel über die RAF gesprochen. Und über die Themen, die die RAF im Jahr 2025 beschäftigen würden.
Am ersten Prozesstag fällt die ruhige und unbeeindruckte Prozessführung durch den Vorsitzenden auf. Er moderiert unaufgeregt und freundlich, reagiert bestimmt auf einen Zwischenruf durch die Staatsanwaltschaft, versucht, zu antizipieren, und sucht schnell pragmatische Lösungen. Von ihm wird es maßgeblich abhängen, in welcher Atmosphäre dieser Prozess ablaufen wird. Bislang sind 50 Prozesstermine angesetzt, das Verfahren wird sich so auf jeden Fall bis 2026 strecken. Am 15. April soll zum ersten Mal dann ein Zeuge und Nebenkläger gehört werden, ein Mitarbeiter des in Stuhr überfallenen Geldtransporters.
Raubüberfälle in drei Bundesländern?
Laut Anklage soll Klette 13 Überfälle gemeinsam mit den ehemaligen RAF-Mitgliedern Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg begangen haben. Die beiden Männer sind weiter auf der Flucht. Bei den Überfällen soll Klette meistens das Fluchtauto gefahren haben. Das Trio soll von 1999 bis 2016 Geldtransporter und Kassenbüros in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein überfallen haben. Dabei sei es "arbeitsteilig und äußerst konspirativ" vorgegangen, sagte die Staatsanwältin am Dienstag bei der Verlesung der Anklage.
Den Ermittlungen zufolge planten sie die Verbrechen genau: Sie sollen unter falschen Namen Fahrzeuge gemietet, die Tatorte ausgespäht und bezeichnet haben. Auch über die Aufteilung der Beute sollen sie im Vorfeld gesprochen haben.
Klette, Garweg und Staub hätten die zeitintensive Planung und die Ausführung der Raubüberfälle als ihre Arbeit angesehen, sagte die Staatsanwältin bei der Verlesung der Anklage. Demnach wollten sie mit den Straftaten "ihren Lebensunterhalt" finanzieren. Bei den Taten sollen sie insgesamt 2,7 Millionen Euro erbeutet haben.
Um Widerstände zu überwinden, hatte das Trio den Ermittlungen zufolge Waffen dabei: eine täuschend echt aussehende Panzerfaust, Elektroschocker und Pistolen. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft soll das Trio in Kauf genommen haben, Menschen zu verletzen oder zu töten. Laut Anklage bedrohten die drei ihre Opfer.
Zentral dürfte ein Überfall in Stuhr bei Bremen werden. Die Staatsanwaltschaft Verden wirft Klette deshalb auch versuchten Mord vor. Es ist der schwerwiegendste Vorwurf. Und es dürfte der sein, der strafrechtlich am anspruchsvollsten für die 1. Große Strafkammer des LG Verden wird. Davon gehen offenbar auch Staatsanwaltschaft und Verteidigung aus, das wurde durch Aussagen am Dienstag deutlich.
Jahrelange Ermittlungen, hohe Sicherheitsvorkehrungen
Schon seit vielen Jahren ermittelt die Staatsanwaltschaft Verden gegen Klette und ihre mutmaßlichen Komplizen Staub und Garweg. Am 26. Februar 2024 nahmen Einsatzkräfte die ehemalige RAF-Terroristin in Berlin-Kreuzberg fest, wo sie unter falschem Namen lebte. Wo sich die gesuchten Männer aufhalten, ist unbekannt.
Der Prozess startete unter hohen Sicherheitsvorkehrungen. Vor den Eingängen des Gerichtsgebäudes standen Justizbeamte und Polizisten mit Maschinenpistolen. Vor dem Oberlandesgericht Celle versammelten sich rund 50 Unterstützer der Angeklagten. Auf Transparenten stand unter anderem "Freiheit für alle politischen Gefangenen".
Die Verteidiger fordern ein faires Verfahren. "Frau Klette soll nicht besser oder schlechter gestellt werden als irgendeine andere angeklagte Person", sagte Theune vor Prozessbeginn. Angesichts bisheriger Erfahrungen sei er skeptisch, ob das gelingt.
Nach Schilderung des Anwalts erfährt Klette in der Untersuchungshaft eine gesonderte Behandlung. Auch bei den Transporten zu den Prozessterminen soll seine Mandantin nach dem Willen der Bundesanwaltschaft immer an Händen und Füßen gefesselt werden. Schwer bewaffnete Spezialeinsatzkräfte sollen sie begleiten.
Weitere Ermittlungen wegen Terroranschlägen
Hintergrund der Sicherheitsvorkehrungen ist die Vergangenheit der Angeklagten. Klette gehörte der sogenannten dritten Generation der linksextremistischen RAF an. 1998 erklärte sich die RAF, die mehr als 30 Menschen tötete, für aufgelöst. Die nun zu verhandelnden Taten haben keinen terroristischen Hintergrund, wie die Ermittler betonen.
Gegen Klette besteht auch Haftbefehl wegen des Verdachts der Beteiligung an Terroranschlägen. Die Bundesanwaltschaft wirft ihr versuchten Mord in zwei Fällen sowie Mittäterschaft bei Sprengstoffexplosionen bei drei Anschlägen der RAF in der Zeit von Februar 1990 bis März 1993 vor. Zu diesem Komplex wird eine weitere Anklage erwartet, die zu einem weiteren Gerichtsprozess führen kann. Die Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung RAF dagegen ist inzwischen verjährt.
Mit Materialien der dpa
Ehemaliges RAF-Mitglied Klette vor Gericht: . In: Legal Tribune Online, 25.03.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56862 (abgerufen am: 19.04.2025 )
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