Der Notar Dietrich Hülsemann will die starre Altersgrenze für Notare zu Fall bringen. Der Amtsverlust ab dem 70. Lebensjahr sei verfassungswidrig. An diesem Dienstag verhandelte das Bundesverfassungsgericht. Christian Rath war dabei.
Wer eine gut bezahlte und interessante Arbeit hat, arbeitet gerne etwas länger. Die gesellschaftliche Akzeptanz für starre Altersgrenzen geht zurück. Diese werden immer mehr als Altersdiskriminierung empfunden. Die Rentenversicherung ermuntert Beschäftige sogar ausdrücklich dazu, noch einige Jahre dranzuhängen.
In diesem gesellschaftlichen Umfeld fand die Klage des Anwaltnotars Dietrich Hülsemann aus Dinslaken großes öffentliches Interesse. Denn für ihn (und alle anderen Notare) gilt eine strenge Altersgrenze. Mit Vollendung seines 70. Lebensjahrs erlosch am 30. November 2023 Hülsemanns Notaramt. Seither arbeitet er nur noch (aber immerhin) als Rechtsanwalt.
In Deutschland gibt es 6.346 Notare. Laut Bundesnotarkammer sind 4.646 davon Anwaltsnotare wie Hülsemann, das heißt, sie sind hauptberuflich Anwälte und daneben auch Notare. Aus historischen Gründen gibt es Anwaltsnotare nur in den Bundesländern Berlin, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und in den westfälischen Teilen Nordrhein-Westfalens. In den anderen Bundesländern gibt es 1.700 hauptberufliche Notare, die auch "Nur-Notare" genannt werden.
Hülsemann klagt gegen die Altersgrenze
Hülsemann wollte den zwangsweisen Amtsverlust nicht akzeptieren und klagte sich durch die Instanzen. So entschied der Anwaltssenat des BGH im Sommer 2023 (Urt. v. 21.08.2023, Az.: NotZ(Brfg) 4/22), dass keine unzulässige Altersdiskriminierung vorliege. Die Altersgrenze für Notare sei erforderlich, um den Generationenwechsel zu erleichtern und den Berufsstand der Notare zu verjüngen.
Gegen dieses BGH-Urteil erhob Hülsemann Verfassungsbeschwerde. Die Karlsruher Verfassungsrichter sollen die Altersgrenze in §§ 47, 48a Bundesnotarordnung für verfassungswidrig erklären. Sie verstoße gegen seine Berufsfreiheit (Art. 12 Grundgesetz (GG)), sein Recht zu arbeiten (Art. 15 EU-Grundrechte-Charta (GRCh)) und das Recht auf Nichtdiskriminierung (Art. 21 GRCh). Ein Antrag auf einstweilige Anordnung scheiterte beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) kurz vor Hülsemanns 70. Geburtstag (Beschl. v. 18.10.2023, Az.: 1 BvR 1796/23).
An diesem Dienstag gab es nun aber immerhin eine mündliche Verhandlung des Ersten Senats unter BVerfG-Präsident Stephan Harbarth. Die Berichterstatterin Miriam Meßling nimmt den Fall offensichtlich sehr ernst. Der inzwischen 71-jährige Hülsemann war in Karlsruhe anwesend, ergriff aber nicht das Wort.
Notarstellen sind unbesetzt
Die Altersgrenze wurde erst 1991 nachträglich in die Bundesnotarordnung aufgenommen. Durch freiwerdende Notarstellen sollte schneller Platz für Jüngere entstehen. Auch damals erhob ein Betroffener Verfassungsbeschwerde, die das BVerfG jedoch ablehnte (Beschl. v. 29.10.1992, Az.:1 BvR 1581/91).
Rechtsprofessor Gregor Thüsing, der Hülsemann in Karlsruhe vertrat, berief sich dennoch auf die alte Entscheidung. Das Verfassungsgericht solle einfach seine Maßstäbe von damals anlegen, dann müsse es jetzt zu dem Ergebnis kommen, dass die Altersgrenze inzwischen verfassungswidrig ist, so Thüsing. Inzwischen gebe es nämlich einen Notarmangel, jedenfalls bei Anwaltsnotaren. Es gebe mehr offene Stellen als Bewerber, viele Stellen blieben jahrelang unbesetzt, so Thüsing.
Der Bonner Professor kritisierte die Bundesländer für ihren Umgang mit dem Mangel. Durch "Statistik-Kosmetik" werde der Bedarf heruntergerechnet, sodass weniger Stellen ausgeschrieben werden und dort dann wieder ein gewisser Bewerberüberhang entsteht. Er erinnerte daran, dass auch bei anderen verantwortungsvollen Berufen keine Altersgrenze bestehe, etwa bei Anwälten oder Kassenärzten. Umgekehrt sei aber auch nicht mit einem Dammbruch zu rechnen, bei dem dann alle Notare bis ultimo arbeiten. Auch heute schon gingen die meisten Anwaltsnotare vor dem 70. Geburtstag in den Ruhestand, so Thüsing.
75 ist das neue 56
Die eingeladenen gerontologischen Sachverständigen unterstützten diese Argumentation. Es gebe keine medizinische Begründung für eine starre Altersgrenze von 70 Jahren. Professor Hans-Werner Wahl von der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie sagte: "Viele 75-Jährige sind heute auf dem Stand wie 56-Jährige vor 20 Jahren." Erst ab circa 80 Jahren komme es zum Abbau bei der Fähigkeit, schnell Entscheidungen unter Mehrfachbelastung zu treffen. Das Erfahrungswissen bleibe jedoch oft noch lange erhalten.
Dr. Jenna Wünsche vom Deutschen Zentrum für Altersfragen sah noch weniger Probleme. "Bei unseren Forschungen wird fast immer unter Laborbedingung das Maximum gemessen, im Alltag und im Beruf reicht aber oft bereits ein Mindestmaß für die Erfüllung von Aufgaben."
Rechtsprofessor Ferdinand Wollenschläger, der die Bundesnotarkammer vertrat, sah trotzdem eine medizinisch-adminstrative Notwendigkeit für die Altersgrenze. Er erinnerte den Gerontologen Wahl an dessen Aussage, dass "jeder sechste bis achte Notar über 70 Anlass zu ernsthaften Zweifeln" gebe. Eine Altersgrenze sorge deshalb für Sicherheit, so Wollenschläger. Zugleich werde der Verwaltung eine aufwändige Fitnessprüfung erspart, ebenso eine Vielzahl von Klagen gegen umstrittene Entscheidungen.
Angehende Notare brauchen Planungssicherheit
Das Bundesjustizministerium argumentierte dagegen nicht mit Leistungsabfall und gesundheitlichen Risiken. Ministerialdirektorin Dr. Heike Neuhaus begründete die Altersgrenze wie bisher mit der Notwendigkeit einer gut gemischten Altersstruktur der Notare. Junge Anwälte bräuchten Planungssicherheit, dass für sie in absehbarer Zeit Stellen frei werden. Seit Einführung einer aufwändigen Zugangsprüfung im Jahr 2011 sei das Interesse von Anwälten an einer Qualifikation zum Anwaltsnotar spürbar zurückgegangen.
Der Mangel an Bewerbern sei jedoch eine Folge falscher Bedarfsschätzungen der Länder, es gebe nur einen rechnerischen Bewerbermangel, so Neuhaus. Es sei daher gut, dass die Länder den Bedarf an Anwaltsnotaren nun realistischer einschätzen. Die Bedarfskorrektur sei auch keine "Statistik-Kosmetik", wie Thüsing argumentierte, sondern eine notwendige Anpassung der Stellenzahl. So werde den Notaren eine wirtschaftlich auskömmliche Existenz gesichert. Präsident Harbarth wies an dieser Stelle darauf hin, dass Notare im Schnitt 256.000 Euro pro Jahr verdienten.
In der Verhältnismäßigkeitsprüfung hielt BMJ-Frau Neuhaus die Altersgrenze auch für angemessen. Mit 70 Jahren liege die Altersgrenze deutlich über dem allgemeinen Renteneintrittsalter von 67 Jahren für den Öffentlichen Dienst. Ein Anwaltsnotar könne nach dem 70. Geburtstag auch weiter als Anwalt arbeiten oder Vertretungsdienste als Notar übernehmen.
Statt über eine Aufhebung der Altersgrenze nachzudenken, gab Neuhaus zu bedenken, ob der Gesetzgeber nicht ganz auf das Anwaltsnotariat verzichten soll, um generell zum hauptberuflichen Notariat überzugehen.
Eine Front gegen Hülsemann
Die juristischen Fachverbände hielten die Altersgrenze für Notare allesamt für notwendig. Von der Bundesnotarkammer über den Deutschen Notarverein bis zum Deutschen Anwaltverein und der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) bekam Ex-Notar Hülsemann am Dienstag nur Mitleid, aber keine Unterstützung.
BRAK-Vertreter Christopher Lenz verwies auf den Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers. "Es kommt nicht darauf an, ob die Altersgrenze die überzeugendste Lösung ist", so Lenz, "verfassungswidrig ist sie nur, wenn sie gravierende, flächendeckende und dauerhafte Probleme" erzeugt. Da sich jedoch in mehreren Instanzen kein echter Notarmangel gezeigt habe, müsse Hülsemann die Entscheidung des Gesetzgebers akzeptieren.
Zum Schluss der Verhandlung wagte Hülsemanns Vertreter Thüsing einen letzten Appell an das Gericht: "Selbst wenn Sie die Altersgrenze verfassungsrechtlich nicht beanstanden, legen Sie den Fall bitte dem Europäischen Gerichtshof vor."
Das Urteil wird in einigen Monaten verkündet.
BVerfG zur Altersgrenze für Notare: . In: Legal Tribune Online, 25.03.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56866 (abgerufen am: 19.04.2025 )
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