Zum 100. Todestag von Mark Twain: Mr. Clemens vor Gericht

Am 21. April 2010 jährte sich der 100. Todestag von Samuel Langhorne Clemens. Unter dem Pseudonym Mark Twain hat sich der Schriftsteller einen großen Namen als Humorist und Satiriker gemacht. Weniger entzückt waren seine Familie, Freunde und Zeitgenossen über die Vorliebe des Tom-Sawyer-Autors für juristische Auseinandersetzungen aller Art.

Die Liste von Mark Twains Fehden ist lang: Sie reicht von Beleidigungsfällen über Urheberrechtsprozesse bis hin zu Verfahren wegen Bücherverboten. Anlass zu gerichtlichem Streit bot auch der berühmte Roman "Huckleberry Finns Abenteuer", von dem Ernest Hemingway später bemerkte, dass von ihm die ganze moderne amerikanische Literatur abstamme.

Das Buch sollte Anfang 1885 in Mark Twains eigenem Verlag L. Webster and Company erscheinen. Das Unternehmen hatte er aus Verärgerung und Misstrauen gegenüber den etablierten Verlegern gegründet.

Die Ankündigung

Die Bostoner Buchhandels- und Verlagsfirma Estes & Lauriat ließ sich bereits vor Erscheinen des Romans die verbilligte Lieferung eines Auflagenquantums zusichern. Das war durchaus üblich und auch bei früheren Romanen Twains so praktiziert worden. Noch bevor nur ein Exemplar die Druckerpresse verlassen hatte, kündigten Estes & Lauriat in ihrem Buchkatalog einen ermäßigten Verkaufspreis von 2,15 Dollar an, während der übliche Ladenpreis bei 2,75 Dollar pro Exemplar liegen sollte.

Die Ankündigung sorgte bei dem dünnhäutigen Mark Twain für eine emotionale Eruption, da er in dem Dumpingpreis eine Gefährdung seines sonstigen Buchabsatzes erblickte.

Der Schriftsteller schickte seinem Neffen und Verlagsmitarbeiter Charles Webster eine aus dem Katalog herausgerissene Seite, verbunden mit der Aufforderung: "Charley, wenn das hier Schwindel ist, sollen Alexander & Green sie auf der Stelle auf Schadensersatz verklagen. Und wenn wir vor Gericht keine Chance haben, dann sag’s mir gleich, und ich werde sie öffentlich zu Dieben und Schwindlern ausrufen."

Die Anwaltskanzlei Alexander & Green befand sich zu jener Zeit im Dauereinsatz für ihren prominenten Mandanten.

Die Unterlassungsklage

Am 30. Dezember 1884 reichten Twains Anwälte beim Bostoner Bezirksgericht eine Unterlassungsklage gegen Estes & Lauriat ein. Damit sollte die weitere Verbreitung des fraglichen Katalogs unterbunden werden. Verschiedene Buchhändler versuchten noch, zu vermitteln und den Schriftsteller zu einer außergerichtlichen Vereinbarung zu bewegen, doch an Mark Twains Starrköpfigkeit scheiterten alle entsprechenden Versuche.

"Ich habe ganz entschieden nichts dagegen", so erklärte der Schriftsteller gegenüber seinen Kontrahenten, "dass Sie jedes beliebige meiner Bücher zu jedem beliebigen Preis verkaufen, sofern sie es gekauft und bezahlt haben. Wogegen ich etwas habe, ist, dass Sie ein Buch von mir zu einem ermäßigten Preis anbieten, das Sie nicht gekauft haben und nicht besitzen. Ein solches Angebot muss mich notwendigerweise schädigen. Es legt meinen Vertretern unüberwindliche Steine in den Weg."

Das Urteil

Am 14. Januar 1885 kam es zur Verhandlung. Das Hauptargument der Twain-Anwälte bestand in der Darlegung, dass der Handelspreis von Estes & Lauriat niemals unter dem vom Verlag für seine Subskribenten festgelegten 2,75 Dollar für "Huckleberry Finn" liegen dürfe. Eine solche Unterschreitung, wie im Verlagskatalog mit seinen 2,25 Dollar angekündigt, sei nicht marktüblich und hätte der Zustimmung des Verlags bedurft. Außerdem habe das Buch alleine über die Subskriptionsmethode verkauft werden sollen.

Das Gericht folgte jedoch dieser Rechtsauffassung nicht.

Die Firma Estes & Lauriat dürfe sehr wohl auch noch nicht erschienene Werke wie "Huckleberry Finn" bewerben und in ihren Katalogen zu einem verbilligten Preis anbieten.

Mark Twain entrüstete sich in der ihm eigenen Art und wütete, "dass ein Richter aus Massachusetts soeben in öffentlicher Verhandlung entschieden hat, ein Bostoner Verleger darf nicht nur sein Eigentum auf freie und ungehinderte Weise verkaufen, sondern ebenso ungehindert Eigentum, das nicht seines ist, sondern meines – Eigentum, das er nicht erworben hat und das ich nicht verkauft habe."

Der Schriftsteller schlug kurzerhand vor, "einfach das Haus jenes Richters öffentlich zum Verkauf anzubieten, und wenn ich einen so guten Preis erziele, wie ich erwarte, dann mach ich so weiter und verkaufe auch noch den Rest seines Eigentümers".

Eine Tischrede

So unerfreulich meist sein Kontakt mit der Justiz verlief, besaß Mark Twain unter Juristen durchaus auch Freunde. Einer von ihnen war der Rechtsanwalt Chauncey Depew, der für seine launigen Ansprachen bekannt war. Einmal waren beide als Tischredner zu einem Festmahl gebeten worden. Twain sprach als erster, und seine Rede wurde begeistert aufgenommen.

Dann erhob sich Depew und erklärte: "Meine Damen und Herren! Mister Twain und ich haben uns diesmal darüber geeinigt, unsere Reden auszutauschen. Meine haben Sie also soeben gehört, und ich danke Ihnen herzlich für deren freundliche Aufnahme. Ich bedauere jedoch sehr, wenn ich zugeben muss, dass ich das Konzept von Mister Twains Rede verloren habe. Leider bin ich nicht imstande, mich auch nur an ein einziges Wort von dem, was er Ihnen zu sagen hatte, zu erinnern."

Daraufhin erhob sich Twain noch einmal und sagte lächelnd: "Ich muss Sie enttäuschen, Mister Depew, und feststellen, dass Ihr Gedächtnis wohl nicht mehr das Beste ist, denn ich hatte es mir inzwischen überlegt und statt Ihrer Rede doch lieber meine eigene gehalten."

Auch Depew machte im Laufe der Zeit die Erfahrung, dass sein Freund Mark Twain äußerst beratungsresistent war und sich gerne in aussichtlose gerichtliche Scharmützel stürzte.

Zum Glück blieb der Schriftsteller bis heute nicht wegen seiner Streitlustigkeit, sondern vor allem wegen seiner Romane und Erzählungen im literarischen Gedächtnis erhalten.

Der Autor Jürgen Seul lebt als freier Publizist und Redakteur in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Er verfasste zahlreiche Publikationen u. a. zum Architektenrecht, Arbeitsrecht sowie zu rechtshistorischen Themen.

Zitiervorschlag

Jürgen Seul, Zum 100. Todestag von Mark Twain: Mr. Clemens vor Gericht . In: Legal Tribune Online, 23.04.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/421/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen