Richter Di, der fernöstliche Sherlock Holmes, hat seinen Ruhm in Europa einem niederländischen Diplomaten und Sinologen zu verdanken. Robert van Gulik hat in seinen Romanen das alte China aufleben lassen und en passant Einblicke in einen wenig bekannten Rechts- und Sittenkreis gewährt. Am 9. August wäre er hundert Jahre alt geworden.
Di Renjie: Vorbild für Richter Di
Robert van Gulik und Richter Di begegneten sich zum ersten Mal während des Zweiten Weltkriegs im Südwesten Chinas. In Tschungking, Hauptstadt des freien Chinas, war van Gulik Erster Sekretär an der niederländischen Gesandtschaft. In einer Bibliothek, die japanische Bomben verschont hatten, hielt er sein erstes Exemplar von "Di-gung-tschi-an" in der Hand.
Der Krimi um Richter Di hatte es van Gulik so sehr angetan, dass er sich sogleich an die Übersetzung des Textes aus dem 18. Jahrhundert machte. Die Handlung spielt im 7. Jahrhundert, im China der Tang-Dynastie. Der scharfsinnige Richter Di hat als Bezirksrichter drei Fälle mehr oder weniger gleichzeitig zu lösen. Bis zum Ende des Kaiserreichs 1912 ist der Bezirksrichter Richter, Geschworener, Ankläger und Detektiv in einer Person.
Nachdem "Dee Goong An" erschienen war, fragte van Gulik für eine Fortsetzung bei mehreren Schriftstellern an, doch scheuten diese davor zurück. Und so nahm van Gulik sich der Aufgabe an, für die er bestens vorbereitet war.
China, mon amour
Chinesisch war van Guliks erste Liebe, wie sein Biograph Janwillem van de Wetering zu berichten weiß. Im Alter von fünf Jahren kam van Gulik auf die Insel Java, wo sein Vater als Arzt der Königlich-Niederländischen Ostindienarmee stationiert war. Bei seinen Streifzügen durch das Chinesenviertel Batavias, des heutigen Djakartas, lernte der junge Robert neben Malaiisch und Javanisch auch Chinesisch.
Als van Guliks 1922 nach Holland zurückkehrten, wurde ein chinesischer Student als Privatlehrer für das Sprachtalent engagiert. Neben Mandarin und Kantonesisch lernte van Gulik außerdem am Gymnasium die alten und die modernen Sprachen Europas. Der damals berühmteste Linguist Hollands brachte ihm zusätzlich Russisch und Sanskrit bei.
1929 schrieb sich van Gulik in Leiden ein für orientalisches Kolonialrecht, ein auf Niederländisch-Indien zugeschnittenes "Indologie"-Fach sowie, wenig verwunderlich, chinesische Sprache und Literatur. Für das Studium des Tibetischen und des Sanskrits ging er dann nach Utrecht. Nach der Promotion über den Mantra-Aspekt des Pferdekults in China und Japan führte ihn die erste Anstellung an die niederländische Botschaft in Japan.
Als der Zweite Weltkrieg den fernen Osten erreichte, wurde van Gulik schließlich nach China versetzt. Nur die kurze Zeit von 1943 bis 1946 war ihm dort vergönnt, gerne wäre er länger in Tschungking geblieben. Immerhin ist China für immer Teil seines Lebens geblieben: Shui Shifang, Tochter eines kaiserlichen Mandarins, wurde seine Frau, und sie bekamen drei Söhne und eine Tochter.
"Richter Di bin ich"
So wie wir einige Züge Conan Doyles in Sherlock Holmes wiederfinden, ist es nicht weiter überraschend, dass van Gulik einem befreundeten Schriftsteller nach einigen Schlucken Genever gerne flüsternd verriet: "Richter Di bin ich."(1) Einen historischen Richter Di hat es zwar gegeben, doch über den berühmten Staatsmann Di Renjie verraten die Quellen kaum Privates, so dass van Gulik manche Parallele zu seinem Richter Di herstellen konnte.
Wie van Gulik ist Richter Di hochgewachsen. Beide bevorzugen ungewöhnliche Wege: Der Diplomat und Sinologe van Gulik brach mit der militärischen Tradition seiner Familie, und Richter Di lässt sich lieber als Bezirksrichter in die Provinz versetzen, als eine ruhige Kugel in der kaiserlichen Hauptstadt zu schieben. Robert van Gulik und Richter Di pflegen beide den Umgang mit Gibbons und spielen die chinesische Wölbbrettzither.
Seinen Richter Di ließ van Gulik das Leben 700 n. Chr. als Präsident des Obersten Gerichts beschließen, der passionierte Raucher starb 1967 in Den Haag an Lungenkrebs.
Erinnern
Heißt wieder vergessen
Erinnere dich nicht
Dann brauchst du nicht zu vergessen
heißt es in einem japanischen Gedicht, das van Gulik übertragen hat. (2)
Wird auch heute an seinen Geburtstag erinnert: Eines Tages wird van Gulik sicher vergessen sein. Dieser Tag möge aber noch weit in der Ferne liegen. Möge Robert van Gulik in seinem Richter Di nicht nur weitere hundert, sondern zehntausend Jahre leben!
(1) van de Wetering, Robert van Gulik. Ein Leben mit Richter Di, 1999, S. 32.
(2) van de Wetering, Robert van Gulik. Ein Leben mit Richter Di, 1999, S. 5.
Der Autor Jean-Claude Alexandre Ho ist freier Journalist mit juristischem Fokus und Verfasser u.a. von Publikationen zum Thema Recht und Literatur.
Jean-Claude Alexandre Ho, Zum 100. Geburtstag von Robert van Gulik: . In: Legal Tribune Online, 08.08.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1158 (abgerufen am: 09.11.2024 )
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