Um das Rauchen wird gestritten, seit ein europäischer Seefahrer den Ureinwohnern Amerikas das "Trinken" des Tabakrauchs abgeschaut hatte. Die Abhängigkeit vom Nikotin hinterließ auch im Recht merkwürdige Spuren.
Dieser Mann wusste, was er vom Rauchen hielt. Und das allseitige Schimpfen auf Twitter, Facebook oder den Online-Kommentaren der meinungsführenden Medien hätte er wohl für ein eher zartfühlendes Gezeter gehalten:
"Von einem / der den Leuten übel empfohlen ist / pflegen wir zu sagen: Er stinket. Wer wollte diesen Schmäuchern ein Lob zueignen / da die Nase alsobald ihnen das Urtheil spricht: Sie stinken! / Und wie sollten sie nicht übelrüchtig seyn / da sie so übel riechen / weil sie stätigs rauchen? Daher fliehet man vor ihnen / als vor den Aussätzigen; ich dörffte schier mehr sagen: wie vor der Pestilenz. Diß Volk / vielmehr diß Vieh / werdet ihr schon riechen …"
Ein Raucher stinke so viel wie sieben Leichen. Schwangeren, die rauchten, sei zu wünschen, Missgeburten mit "brandschwarzen Lippen" zur Welt zu bringen: Der bayerische Hofprediger Jakob Balde (1604–1668) wusste dabei durchaus, wie die Pest roch, schrieb er seine Polemik gegen das Rauchen doch 1658, also zehn Jahre nach Ende des Dreißigjährigen Kriegs.
Auf dem Gebiet der Strafrechtspflege war diesem Gelehrten zwar nicht der erwünschte Erfolg beschieden – er lobte einen Kaiser dafür, einen korrupten Tabakverkäufer auf dem Scheiterhaufen "geräuchert" zu haben.
Revolution auf dem Gebiet des Tabaks
Ganz erfolglos war die gegen das Rauchen gerichtete barocke Aufklärungsarbeit jedoch nicht. Der Adel des 18. Jahrhunderts schnupfte den Tabak vorzugsweise in die Nase.
Dem einfachen Volk war das öffentliche Rauchen von Tabak vielerorts verboten, um in den aus Holz gebauten Ortschaften die Feuersgefahr in Grenzen zu halten. In den protestantischen Städten der Schweiz hatten rückfällige Raucher neben der dort höheren Moral auch deshalb mit körperlicher Züchtigung oder einem Brandzeichen zu rechnen.
Im preußischen Berlin blieb das Verbot öffentlichen Rauchens bis ins 19. Jahrhundert ein ständiges Ärgernis. So forderten 1830 aufgebrachte Berliner nicht nur, die Hundesteuer abzuschaffen, sondern auch, wenigstens im Tiergarten das Rauchen zuzulassen.
Als 1848 sogar die Preußinnen und Preußen auf die Barrikaden gingen, beruhigte der konservativ-liberale Nachwuchspolitiker Graf Felix von Lichnowsky (1814–1848) die Volksmenge auf dem Berliner Schloßplatz damit, dass der König ihren Forderungen nachgegeben habe.
Günther-Schabowski-Moment im Jahr 1848
Die Überlieferung will wissen, dass es hier einen Günter-Schabowski-Moment gab. Auf Nachfrage aus dem Publikum: "Ooch det Roochen?", soll der Graf geantwortet haben: "Ja, auch das Rauchen" – "Ooch im Tiergarten?" – "Ja, auch im Tiergarten darf geraucht werden, meine Herren."
"… meine Herren …" – Das Recht des freien Mannes, in der Öffentlichkeit zu rauchen, blieb dann bis auf Weiteres das kulturell sichtbare Zeichen der liberalen Revolution des Jahres 1848/49. Wenn es bis in die 1960er Jahre Vorbehalte gegen rauchende Frauen gab, beruhte das nicht nur auf einer sexuellen Symbolik – bis zum Siegeszug der Zigarette seit Ende des 19. Jahrhunderts rauchte der bürgerliche Mann arg phallisch Zigarre –, es steckte darin wohl auch ein wenig Erinnerung daran, dass das Recht zu rauchen einmal bürgerliche Emanzipation bedeutet hatte.
Jedoch war es kein zwingend liberales Anliegen, wie eine kuriose Wendung der europäischen Tabakrechtsgeschichte zeigt.
Als Papst Johannes Paul II. (1920–2005) durch Verordnung im Jahr 2002 das Rauchen im Vatikanstaat einschränkte, erinnerte sich die innerkirchliche Opposition daran, dass ein Vorgänger Karol Wojtyłas im Jahr 1851 das genaue Gegenteil verordnet hatte: Im Herrschaftsgebiet des Papstes war damals jede Verbreitung von Schriften verboten worden, die sich gegen den Nikotinkonsum aussprachen – abgesehen davon, dass Papst Pius IX. (1792–1878, im Amt seit 1846) selbst begeistert schnupfte, bezog sein Staat erhebliche Einnahmen aus dem Tabakmonopol. Die altliberal hipsterbärtigen Berliner kämpften also 1848 für ein Recht, das ihnen im reaktionären Rom mit Kusshand gewährt worden wäre.
Vormoderne Pharmakologie des Nikotinkonsums
Vor Beginn der modernen Suchtforschung, die erst wirklich Fuß fassen konnte, seit nach dem Zweiten Weltkrieg das moralische Werturteil über die Konsumenten psychoaktiver Substanzen von einer medizinischen Sichtweise abgelöst wurde – Avantgarde waren hier die Alkoholiker (Bundesarbeitsgericht, Urt. v. 18.03.1968, Az. 10 AZR 99/14) – blieb das Bedürfnis, Tabak zu konsumieren, ein Rätsel, das auch gelehrte Menschen mit eher kruden pharmakologischen Spekulationen zu lösen versuchten.
Der Historiker Wolfgang Schivelbusch (1941–) zeichnet in seiner Geschichte der Genussmittel nach, wie der Tabakkonsum seit dem 17. Jahrhundert oftmals deshalb als vorteilhaft wahrgenommen wurde, weil er die Raucher und Schnupfer körperlich beruhige, sogar der Verlust an sexueller Anspannung wurde als nützlich gesehen, während zugleich der Kaffeeverzehr die intellektuelle Regsamkeit erhöhe.
Das ebenso bürgerliche wie proletarische Ideal bestand, sobald Kaffee und Tabak verfügbar waren, daher darin, sich zur Leistungssteigerung möglichst parallel mit beidem einzugiften.
Aus Sicht der modernen Pharmakologie eher einfältig wirkende Erwägungen fanden sich seither nicht nur in populären, etwa journalistischen Texten, sondern sogar in Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH).
Im seinem Urteil vom 11. März 1959 (Az. 2 StR 14/59) setzte sich der BGH beispielsweise mit der Frage auseinander, ob § 136a Strafprozessordnung (StPO) verletzt worden war, weil der spätere Angeklagte bei einer Vernehmung durch Beamte des hessischen Landeskriminalamts "mit Zigaretten förmlich überfüttert worden sei und wegen seiner Nikotinsucht zu jeder Aussage bereit gewesen sei".
Nicht etwa durch Entzug, sondern durch Zuwendung von Zigaretten, so behauptete die Verteidigung, sei der Beschuldigte zurechnungsunfähig gemacht worden. Der BGH mochte eine solche Wirkungsmacht des Nikotins, nicht seines Entzugs, nicht ausschließen und verwies die Sache – mit einer Exegese der Pflicht, Beweisanträge der Verteidigung zu beachten – an das Landgericht zurück.
Bereits sechs Jahre zuvor hatte der fünfte Strafsenat entschieden, dass die Gabe – nicht der Entzug oder die Drohung mit dem Entzug – des Suchtmittels unter Umständen als verbotenes Vernehmungsmittel zu bewerten sei (BGH, Urt. v. 07.05.1953, Az. 5 StR 934/52).
Eine kleine Hölle des Nikotin-Entzugs
Dass für abhängige Menschen nicht die Gabe, sondern der Entzug von Nikotin ein rechtlich relevantes Problem darstellen könnte, erwogen Gerichte offenbar erst eine Weile später.
Durch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. September 1970 (Az. I D 14.70) wurde ein Oberlokomotivführer der Deutschen Bundesbahn zum Lokomotivführer degradiert, nachdem die erste Instanz, die dritte Kammer des Bundesdisziplinargerichts in Stuttgart, das Verfahren gegen ihn noch eingestellt hatte.
Der Lokomotivführer war ein starker Raucher gewesen, der täglich zwischen 40 und 50 Zigaretten verbrauchte. Wegen Wetterfühligkeit empfahl ihm im September 1968 der Hausarzt, das Rauchen ganz aufzugeben. Als er dies am 25. September in Angriff nahm, geriet er in einen "äußerst gereizten Zustand". Daher, so das Gericht, "verschaffte ihm seine Ehefrau eine Beschäftigung, indem sie ihn in die Stadt schickte, um einige Lebensmittel einzukaufen. Außerdem sollte er in der 'Kaufhalle' nach einem braunen Rock schauen, den sich seine Ehefrau in den nächsten Tagen kaufen wollte."
Nachdem ihm im ersten Geschäft der Stuttgarter Königsstraße halb aus Versehen besagter Rock in die Einkaufstasche geraten war, ohne ihn zu bezahlen, nahm er in benachbarten Geschäften weitere Kleidungsstücke, dann Alkohol und Käse an sich.
Der Bahnbeamte berief sich bereits gegenüber der im Lebensmittelgeschäft eingeschalteten Kriminalpolizei darauf, durch den aktuellen Nikotinentzug zwar nicht gänzlich unzurechnungsfähig gewesen zu sein, jedoch eine Straftat begangen zu haben, die ihm selbst ganz unverständlich sei.
Die Stuttgarter Kammer würdigte den "plötzlichen Nikotinentzug" unter anderem deshalb milde, weil die Tat "gerade auch im Hinblick auf den exzessiven Charakter seiner Diebstähle" – Gesamtwert circa 150 DM – "nicht im Einklang mit der von ihm gegebenen Persönlichkeitsbeurteilung" gestanden habe: "Es entspreche der allgemeinen Lebenserfahrung, daß der plötzliche Nikotinentzug bei einem starken Raucher zu erheblichen seelischen Verstimmungen und Belastungen führen könne."
Seit er am 1. April 1943 als Lokomotivjunghelfer in den Dienst der Bahn getreten, schließlich 1955 als Reservelokomotivführer verbeamtet und 1965 zum Oberlokomotivführer geadelt worden war, lagen über ihn nur günstige dienstliche Beurteilungen vor. Anders als die Stuttgarter Richter mochte es der Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts aber nicht bei der Verfahrenseinstellung belassen, sondern stufte ihn zum Lokomotivführer herab.
In seiner Schrift mit dem schönen barocken Titel "Die Truckene Trunkenheit. Eine … Satyra oder Straff-Rede wider den Mißbrauch des Tabaks. Samt seinem Discurs Von dem Nahmen, Auskunft, Natur, Krafft und Wirkung dieses Krauts" hatte im Jahr 1658 der eingangs zitierte bayerische Hofprediger Jakob Balde auch davon fantasiert, dass es Rauchern noch gut ergehe, wenn man sie der irdischen Strafe des Scheiterhaufens überantworte – nach dem Tode würden sie schließlich in der Hölle brennen.
Der Blick in das Urteil vom 3. September 1970, das Lebensweg und Ernüchterung eines Lokomotivführers in Schwaben derart trist nachzeichnet, dass Rainer Werner Fassbinder (1945–1982) es ohne Weiteres als Drehbuch für einen seiner bedrückenden 70er-Jahre-Filme hätte verwenden können, zeigt: die Hölle findet sich für Suchtkranke und andere Abhängige auch schon auf Erden.
Der Autor Martin Rath ist Nichtraucher. Er arbeitet als freier Lektor und Journalist.
Weltnichtrauchertag 2020: . In: Legal Tribune Online, 31.05.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41766 (abgerufen am: 03.12.2024 )
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