Last-Minute-Weihnachtsgeschenke: Sieben Bücher von und für Juristen

von Pia Lorenz

21.12.2017

2/7: Fakten vom Experten: Holger Schmidts "Wie sicher sind wir? Terrorabwehr in Deutschland"

(c) Orell Füssli 

Wenn irgendwer in Deutschland über Terrorismusabwehr schreiben sollte, dann Holger Schmidt. Der gelernte Jurist und Mitglied der Justizpressekonferenz leitet die Redaktion "Datenjournalismus und Reporter" in Baden-Baden, der breiten Mehrheit ist er aber wohl eher bekannt als der "Terrorismus-Experte" der ARD.

Unter diesem Label könnte man sein Werk "Wie sicher sind wir? Terrorabwehr in Deutschland – Eine kritische Bilanz" fast auch ungelesen empfehlen. Im Jahr nach dem Anschlag auf den Berliner Breitscheidplatz und lange vor der finalen Aufklärung seines Zustandekommens gibt Schmidt Einblicke in das föderale deutsche Sicherheitssystem, seine Stärken und Schwächen, seine Siege und Niederlagen.

Schmidt zeigt auch, was nicht geschehen ist. Er berichtet von vereitelten Anschlägen, von Fahndungserfolgen und verhinderten Tragödien. Er macht deutlich, was die Binsenweisheit, dass man nachher immer schlauer ist, für Ermittler bedeutet. Er erzählt vom Islamismus in Deutschland, dem heutigen Gesicht des Terrors, und erinnert an Höhen und Tiefen im Kampf der Sicherheitsbehörden gegen die RAF.

Schmidt erklärt mehr, als er erzählt. Er erklärt die Struktur der deutschen Sicherheitsarchitektur, Aufgaben, Zuständigkeiten, Erfolge und Scheitern der Polizei, der Bundesanwaltschaft, des Verfassungsschutzes und der Nachrichtendienste. Er erklärt die "intergalaktische", von der Öffentlichkeit gern unterschätzte Rolle des mächtigen Bundeskanzleramts und fragt, wem die GSG 9 gehört.

Nicht nur für Juristen wird es aber besonders spannend, wenn Schmidt nicht nur erklärt, sondern erzählt. So lernt der Leser, wie der Generalbundesanwalt arbeitet, wann er Fälle an sich zieht, auf welche Ressourcen der aktuelle Amtsinhaber Peter Frank zurückgreifen kann und wie man in Karlsruhe bei der "kleinsten, aber vielleicht mächtigsten Bundesbehörde in der deutschen Terrorbekämpfung" mit den Ermittlungsrichtern des Bundesgerichtshofs zusammenarbeitet.

Der Sicherheits-Experte gibt Einblicke: in Karrierewege, die traditionellen Strukturen und das besondere Selbstverständnis einer Behörde, die ihr herausgehobenes Image fern der Berliner Politik mit Hingabe pflegt. Zuletzt hatten sich in der Affäre Netzpolitik.org, in deren Rahmen Generalbundesanwalt Range zurücktrat und dafür von seinen Karlsruher Kollegen frenetisch gefeiert wurde, die fundamentalen Unterschiede zwischen den Mentalitäten des aufgeregten Hauptstadt-Politbetriebs und der dort gern so bezeichneten "Besserwisser aus Karlsruhe" gezeigt.

Es sind diese Einblicke eines Insiders, die Schmidts Buch zu mehr machen als der Ansammlung unglaublich vieler Informationen, die es bietet. Das Werk, das ohne Anhänge mit vernünftigen 245 Seite auskommt, leidet an einigen Stellen unter zu viel Wissen. Was der Journalist voraussetzt, entspricht nicht immer dem Horizont des durchschnittlichen Zeitungslesers; die Konsequenzen, die er zieht, erschließen sich nicht stets auf den ersten Blick. Schmidt ist weniger Geschichtenerzähler als Datenjournalist, und in der Sache muss man auch nicht all seine Vorschläge gutheißen. Und doch sei sein Werk jedem, der in künftigen Sicherheitsdebatten mitreden möchte, dringend ans Herz gelegt.

Holger Schmidt, Wie sicher sind wir? Terrorabwehr in Deutschland: Eine kritische Bilanz, Orell Füssli, ISBN 978-3280056530

Zitiervorschlag

Pia Lorenz, Last-Minute-Weihnachtsgeschenke: Sieben Bücher von und für Juristen . In: Legal Tribune Online, 21.12.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26153/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

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