Gewöhnlich werden Krippen zum juristischen Streitgegenstand, wenn Laizisten oder Vertreter anderer Glaubenslehren Anstoß an dem Zierrat nehmen. Dabei laden die Figuren auch zu produktivem Streit unterm heimischen Weihnachtsgehölz ein.
Es gibt gute Gründe, auch zu Weihnachten bewusst den Konflikt zu suchen. Da bemühen sich Familien, oft regelrecht zwanghaft, die Feiertage in Frieden und Harmonie zu verbringen. Das ist an sich schon nervtötend. Noch dazu führt die solcherart geschärfte Aufmerksamkeit ja ohnehin gern zum schieren Gegenteil.
Juristen, insbesondere am Beginn ihrer Lebensreise durchs Wunderland normativen Denkens, erfahren eine zusätzliche Belastung: Natürlich fragt wieder irgendwer um kostenlosen Rat in irgendeiner Rechtssache seines Lebens. Und natürlich kommt Onkel Willi nie auf den Gedanken, samt seiner zwei Rechtsschutz- und der grotesk übertriebenen Hausratversicherung einmal den Weg in die frisch erblühte Kanzlei seiner Nichte mit der ebenso frisch erwachsenen Befähigung zum Richteramt zu suchen.
Die folgenden neun Gerichtsentscheidungen bieten einen Ausweg: Mit ihrer Hilfe lässt sich die drückende Harmonie der Weihnachtsgeselligkeit um einige kontroverse Diskussionen bereichern. Die Verknüpfung mit den Krippenfiguren soll den Einstieg ins Gespräch erleichtern – und beginnt man dies beispielsweise mit einem: "Apropos: Wusstest du schon, dass der Ochse symbolisch für unseren juristischen Umgang mit DDR-Berufen steht?", mag man vielleicht erfolgreich die Fragen nach kostenlosem Rechtsrat abwenden.
Maria, Mutter Gottes
Mit einer ignoranten Weigerung, sich mit der hergebrachten Religion des christlichen Abendlands zu arrangieren, hatte sich das Amtsgericht Münster (Westfalen) im Jahr 2003 zu beschäftigen: Wegen einer im Treppenhaus aufgestellten Madonna beanspruchte eine Mieterin, die Miete zu mindern.
Vom Richter im Herzen des tief katholischen Münsterlands musste die Mieterin sich allerdings erklären lassen, dass a) die Gebrauchstauglichkeit ihrer Wohnung durch das Bild der Muttergottes im Treppenhaus nicht beeinträchtigt und b) auch nach – ihrem – evangelischen Glauben "Jesus durch Maria geboren worden" sei, sodass die Madonnenfigur bei ihr zu keinem "besonderen Schock" geführt haben könne. Im Ergebnis wurde die Mieterin daher zur Zahlung des ausstehenden Mietzinses verurteilt.
Zugute halten musste man der evangelischen Dame in ihrem Horror vor der münsterländischen Madonna, dass sich die Protestantinnen und -tanten mit der Jungfragengeburt schwertun. Einerseits hält sich ihre Konfessionsvereinigung bedeckt, wenn die Kirchenangehörigen die Geburt Christi durch eine Jungfrau für einen katholischen Aberglauben halten, andererseits zählt das Weihnachtsereignis unbedingt auch zum Glaubensbekenntnis für EKD-Christen.
Amtsgericht Münster, Urteil vom 22.07.2003 (Az. 3 C 2122/03)
Josef, der Scheinvater Christi
Verletzt es religiöse Gefühle, den heiligen Josef als Scheinvater eines Kuckuckskindes zu bezeichnen?
Im zu Ende gehenden Jahr 2016 war in Deutschland wieder einmal fast obsessiv von Religion und religiösen Gefühlen die Rede. Drängende Fragen bleiben undiskutiert. Zum Beispiel hängt ein ehemaliger Erzbischof von Köln der Idee nach, ob durch seine Schwimmbewegungen das Wasser im Schwimmbad zu Weihwasser würde. Stattdessen immer bloß: Muslimische Bekenntnistextilien vor Gericht.
Die Frage nach der Kuckuckskindsscheinvaterschaft Josefs zählt zu den unbeachteten Themen. Seit 1955 verehrt die katholische Kirche den "Ziehvater" Christi an jedem 1. Mai als "Josef den Arbeiter". Als Versuch, den Kampftag der Arbeiterklasse zu okkupieren, scheint das zu plump. Möglicherweise erkannte der Papst jedoch schon damals, worauf es beim Scheinvater ankommt: arbeiten zu müssen, um für den Unterhalt zu sorgen.
Bereits nüchterne Ausführungen eines Mannes dazu, dass das streitbefangene Kind "untergeschoben" sei, und Erörterungen zur Statistik des "Kuckuckskindes" wurden vom Amtsgericht Unna mit Ordnungsmitteln bedroht. Das Oberlandesgericht Hamm rüffelte es dafür. Mithin sollte es keine Beleidigung sein, den heiligen Josef als Scheinvater zu bezeichnen.
Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 17.01.2007 (Az. 11 WF 1/07)
Jesuskind, kein Grund zur Freude?
Das "Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge" enthält die Vorschrift: "Deutscher Volkszugehöriger im Sinne dieses Gesetzes ist, wer sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird" (§ 6 Absatz 1).
Überliest man "im Sinne dieses Gesetzes" ist die Norm anstrengend. Schließlich will man ja als alteingesessener Bundesbürger nicht jeden Morgen mit dem Gedanken aus dem Bett fallen, wie man sich wohl heute wieder "zum deutschen Volkstum" bekennen könnte. Das gilt gottlob nur für Zugezogene.
In einem etwas quälend zu lesenden Urteil (v. 20.09.1999, Az. 24 B 98.3401) rechnet der Verwaltungsgerichtshof München einigen aus Kasachstan zugereisten Menschen vor, warum sie diesem "Bekenntnis zum deutschen Volkstum" nicht genügten. Der Eintrag "Deutscher" im sowjetischen Inlandspass z.B. reiche nicht, ihre gebrochenen Deutschkenntnisse erst recht nicht.
Die Migranten hatten auch angeführt, dass man in Kasachstan am "Abend des 24. Dezember … zitternd auf das Christkind gewartet" habe. Nicht weniger als "zitternd" auf einen Erlöser zu warten, sei er religiös oder gar politisch motiviert, kann einem schon sehr deutsch vorkommen; es überzeugte die Münchener Richter merkwürdigerweise aber nicht.
Der Ochse, Symbol westlicher Missachtung für DDR-Bürger
Wenn z.B. pensionierte Stasi-Mitarbeiter darüber klagen, ihre Lebensgeschichte in der DDR finde heute nicht jene positive Anerkennung, die ihr angeblich zukomme, ist das natürlich ohne Weiteres lachhaft.
Leider hat sich das Bundesverfassungsgericht auch eine unbillige Missachtung von DDR-Karrieren zuschulden kommen lassen, die solch narzisstische Nabelschauklagen moralisch Unbefugter befeuern mag.
Es geht um den ehrenwerten Beruf des Kastrators. So gab es für ihn schöne Bezeichnungen wie jene des "Nonnenmachers", der nach Grimm'schem Wörterbuch "weibliche thiere zu nonnen macht, verschneidet". Die Absicht, "Bayern münchen" zu wollen, mag einst unter Experten für die Kastration männlicher Tiere – sie zu "münchen", also zu Mönchen machen – ein heiterer Scherz gewesen sein.
Dem DDR-Berufsbild des Tierkastrators beschnitt das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 21. Juni 2006 (Az. 1 BvR 1319/04) jedenfalls den Weg in die Zukunft: Trotz zwölf Jahren Berufserfahrung in der DDR durfte der bloß industriehandwerklich ausgebildete Fachmann seit 1995 nicht mehr im Metier tierischer Fortpflanzungsorgane weiterarbeiten, weil seit 1995 das westdeutsche Veterinär-Privileg im Kastrationswesen zu gelten habe.
Ein umstrittener Anwalt kann kein Esel sein
Ein Anwalt wollte von einer Zeitschrift nicht als ein "umstrittener Rechtsanwalt" bezeichnet werden. Als Fachmann auf dem Gebiet des Reiserechts sah er sich zusätzlich durch eine Abbildung im streitigen Presse-Produkt gekränkt, die ihn in Gesellschaft eines Esels zeigte. Das könnte beim Leser die Assoziation wecken, mit dem Esel sei er irgendwie mitgemeint.
Das Oberlandesgericht Dresden erklärte zunächst, warum es nicht beleidigend sein müsse, als Rechtsanwalt zur umstrittenen Sorte gezählt zu werden. Jedenfalls sei darin keine Schmähkritik zu entdecken.
Mit Blick darauf, dass sich der Anwalt auch noch durch die Ablichtung des Esels in seiner Ehre bedroht sah, entwickelten die Dresdener Richter eine feine Rabulistik, die man gern häufiger läse:
"Ein solches Wortverständnis steht mit der Bewertung als 'umstritten', die unterschwellig nicht auf die mit der Beschimpfung als 'Esel' verbundene Dummheit, sondern im Gegenteil auf eine besondere Gerissenheit des so Bezeichneten hinweist, nicht in Einklang."
Entweder, man will nicht umstritten sein oder kein Esel genannt werden. Beides zugleich bekommt man in Dresden nicht von Rechts wegen zugestanden.
Oberlandesgericht Dresden, Beschluss vom 26.09.2012, Az. 4 W 1036/12
Von Schafen und Hirten
Einerseits ist die Metapher vom "guten Hirten" schon immer sehr bedenklich gewesen. Man darf davon ausgehen, dass auch der netteste Hüter von Schafen gelegentlich ein Stew oder eine gut geröstete Lammkeule zu schätzen weiß.
Dass sich das gute Hirtenbild trotzdem so gehalten hat, hängt sicher mit der Beobachtung zusammen, dass man es als vergattertes Schaf deutlich besser treffen kann denn in der freien Wildbahn. Der bayerischen Justiz ist daher hoch anzurechnen, wie sie ihr Wächteramt über Möchtegern-Hirten ausübt.
Dem Verwaltungsgerichtshof Bayern wurden Dinge zugetragen, die schlimmer sind, denn als Stew zu enden: Auf dem Gelände des Klägers war 2012 ein Schaf "festliegend vorgefunden worden, das mangels angemessener Ernährung und Pflege (Entwurmung und Klauenpflege) durch den Kläger länger anhaltende erhebliche Schmerzen und Leiden hatte und letztlich so geschwächt war, dass es eingeschläfert werden musste".
Der Mann hielt freilich nicht nur Schafe, sondern war auch ein Jäger – dem das Landratsamt nun den Jagdschein und seine waffenrechtlichen Befugnisse entzog.
Denn wer Schafe quält, soll auch nicht auch noch dem Freizeitvergnügen vornehmer Menschen frönen dürfen, jagdbaren Tieren nachzustellen.
Verwaltungsgerichtshof Bayern, Beschluss vom 01.07.2015, Az. 21 ZB 15.788
Weise aus dem Morgenland
Wenn es darum geht, ein hergebrachtes Berufsbild aus der Welt zu schaffen, wie es "Karlsruhe" mit den DDR-Kastratoren tat, wird Rechtsgeschichte manchmal zum bibelfesten Slapstick.
Einst waren es, in der Spätphase des römischen Reichs, Kaiser, nicht Karlsruher Richter, die das alte Berufsbild des Magiers unterdrückten (vgl. dazu Marie Theres Fögen: "Die Enteignung der Wahrsager"). Die Imperatoren hatten ein feines Bewusstsein dafür, dass z.B. Zauberer, die die Zukunft voraussehen können, die verfassungsmäßige Macht in Frage stellten. Bundestagsabgeordnete kennen das von den Hofdemoskopen des Kanzleramts. Die "Weisen aus dem Morgenland" zählten naturgemäß zu dieser kujonierten Profession.
Wegen eines Schulprojekts mit dem Thema "Zirkus", bei dem sich die Kinder, angeleitet von echten Zirkuskünstlern, in den Rollen von Akrobat, Zauberer, Dompteur, Tänzer oder Clown versuchen konnten, wollten es bibelfeste Eltern den römischen Kaisern nachtun und entzogen ihre Kinder:
"Wegen der hier bestehenden fließenden Grenzen, sei bereits jegliche Beschäftigung mit Zauberei gefährlich. Dass die Zauberei eine menschliche Macht gegen die Naturgesetze vorspiegele, zeige den Ursprung aus der Unwahrhaftigkeit und sei darin selbst eine Auflehnung gegen Gott. […] Die Kläger wollten dem Gebot Gottes ganz treu sein und ihre Kinder nicht der lügenhaften Darstellung von Realität und unvorhersehbaren übersinnlichen Bezügen aussetzen." Diesem bibelfesten Hokuspokus christlicher Fundamentalisten konnte nicht folgen:
Verwaltungsgericht Minden, Urteil vom 03.02.2005, Az. 2 K 7003/03
Kamele soll man im Zweifel bestaunen, nicht besteigen
Das deutsche Reiserecht kennt inzwischen eine Vielzahl von Vorgängen, in denen sich Touristen im Kontakt mit Kamelen unangemessen gebissen oder abgeworfen fühlen und dies nach ihrer körperlich beschädigten Heimkehr als Reisemangel behandelt wissen wollen.
Neben diesen solcherart dokumentierten, freilich unverfänglichen Versuchen, ein Kamel nicht fachgerecht bestiegen zu haben, müssen sich deutsche Gerichte leider auch mit grobianischer Metaphorik zu besteigender Kamele befassen.
Der Fall: Ein wegen einer Hirnteilleistungsstörung schwerbehinderter DHL-Mitarbeiter hatte die äußerst dreckige Mitarbeiter-Dusche freiwillig auf Vordermann gebracht und mit einem Zettel ein vorläufiges Duschverbot verhängt – schließlich wollte er sein Werk erst noch stolz vom Niederlassungschef abnehmen lassen.
Einen das Verbot missachtend duschenden Kollegen fragte der DHL-Mann, selbst Legastheniker, ob dieser nicht lesen könne, und forderte ihn auf, er solle "in seine Heimat zurückfahren und die Kamele oder Esel ficken".
Unbeeindruckt vom Umstand, dass es nur rund 400 Meter von den sterblichen Überresten der heiligen drei Könige – diesen berühmtesten und ehrenwerten Kamelnutzern der christlichen Heilsgeschichte – entfernt tagt, lehnte das Verwaltungsgericht Köln ab, die behördliche Genehmigung zur Entlassung des schwerbehinderten Kollegen- und Kamel-Beleidigers zu erzwingen: Denn die Aggression sei möglicherweise seiner Behinderung eigentümlich, daher sein Behindertenarbeitsschutz zu wahren.
Verwaltungsgericht Köln, Urteil vom 16.12.2010, Az. 26 K 2017/10
Nilpferd – Was zu Weihnachten gehört, bestimmt der Leviathan
Bis es in der neumodischen Umstände-Macherei um sogenannte religiöse Gefühle dazu kommt, dass z.B. fleischnackige niedersächsische Schlachthausbetreiber das Hinzufügen von Schweinen zu Krippen im öffentlichen Raum einfordern, weil sie sich sonst in ihrem berufsständischen Zartgefühl diskriminiert sehen, ist es gewiss nur noch eine Frage der Zeit.
Bessere Karten haben derweil Freunde des Nilpferds. Der Bundesfinanzhof entschied bereits 1993, dass einem "Plüschnilpferd im Strumpf, als adventliches und weihnachtliches Behältnis zur Aufbewahrung von Süßigkeiten" einem Zolltarif für "Weihnachtsartikel - Position 9595" zugewiesen werden müsse.
Die Oberfinanzdirektion hatte dies zuvor verweigert, weil sie sich Nilpferde offenbar nicht zur Verwendung "speziell für zum Feiern des Weihnachtsfestes dienende Schmuckzwecke" vorstellen konnte.
Mit der zolltariflichen Einordnung des Nilpferds sollte immerhin ein erster Schritt getan sein, es auch als Krippenfigur zu etablieren.
Von einem staatstheologischen Standpunkt betrachtet lag die Weisheit allerdings nicht auf Seiten des Bundesfinanzhofs. Denn das Nilpferd hat als das biblische Schreckgespenst des Behemoth gedient. Staatsrechtslehrer von Thomas Hobbes bis Carl Schmitt erkannten im Nilpferd den Gegenspieler des Leviathan – dem bekannten Symbol des modernen Staates. Dafür wird Schmitt bis heute viel verehrt.
Wenn der Bundesfinanzhof nun, gleichsam als Leviathan-Dienststelle, eine Figur des teuflischen Behemoth als Weihnachtsschmuck zulässt, sollte das wenigstens unter staatstheologisch versierten Rechtslehrern Bedenken auslösen. Dass man davon nie gehört hat, lässt auf einen bösen Verdacht keimen: Man nimmt die Sache nicht ernst.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 08.06.1993, Az. VII K 7/92
Martin Rath, Weihnachten: Krippenspiel-Material für Juristen . In: Legal Tribune Online, 26.12.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21581/ (abgerufen am: 28.09.2023 )
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