Großes Indianerehrenwort: Hier geht es fast gar nicht um orientalische Verhüllungspraktiken aus Gründen von Religion oder Scham. Die USA zeigen, wie sich auch eine liberale Gesellschaft über Maskierung streiten kann. Von Martin Rath.
Die Stadt am Hudson River dürfen wir uns im Jahr 1845 ungefähr so vorstellen, wie sie Martin Scorsese in seinem Film "Gangs of New York" gezeichnet hat – brutal und verschwitzt, regiert von den korrupten Parteiführern der "Tammany Hall". Die bettelarmen irischen Einwanderer stehen noch vor dem Sprung, ihre kriminellen Banden gleichsam en bloc in Polizei- und Feuerwehrtruppen zu überführen.
Dass ihr Leben und Leiden in den übervölkerten Elendsquartieren später einmal für eine rührselige Liebesgeschichte, dargeboten von Leonardo DiCaprio, herhalten würde, werden sie nicht geahnt haben. Sonst wären sie wohl in Irland bei den dahinfaulenden Kartoffeln geblieben.
In diesen 1840er Jahren organisiert sich, nebenbei angemerkt, eine migrationskritische Partei. Sie ist beseelt vom Glauben, die Zuwanderung der katholischen Iren beruhe nicht etwa auf der mörderischen Wirtschaftspolitik der Briten in Irland, sondern auf einer Verschwörung des Papstes zu Rom, der die amerikanische Zivilisation vernichten wolle. Diese Partei mit dem schönen Namen "Know-Nothing-Party" gewinnt an Einfluss, bis die Republikaner unter dem großen US-Nationalheiligen Abraham Lincoln einige ihrer Forderungen übernehmen.
1845 kommt es im bedrängten New York wegen der Mietpreise zu Gewaltausbrüchen. Einige Landlords werden ermordet. Die Unruhestifter maskierten sich mitunter als Indianer. Daraufhin wird im Staat New York das erste Gesetz erlassen, das es verbietet, in der Öffentlichkeit Masken zu tragen.
Bei böser Tat: Trage zu Hollywood nur echten Bart
Als Nation, die echten Wettbewerbsföderalismus kennt, finden sich bis heute in den USA auf Bundes- und der Ebene der Einzelstaaten sowie in den Kommunen unzählige Verbote, sich zu maskieren. § 185 des Strafgesetzes von Kalifornien verbietet es beispielsweise, eine Maske zu tragen, wenn dies dazu dient, sich bei der Begehung einer Straftat der Identifizierung zu entziehen oder, später, die Flucht vor der staatlichen Strafgewalt zu behindern. Die Norm verbietet auch sonstige Kostümierungen sowie – explizit – falsche Bärte, die diesem Zweck dienen.
Der Staat Minnesota geht etwas andere Wege: § 609.737 der "Minnesota Statutes" normiert: "Eine Person, die ihre Identität mittels einer Robe, einer Maske oder einer anderen Verkleidung an einem öffentlichen Ort verbirgt, sofern dies nicht auf religiösen Überzeugungen beruht oder im Zusammenhang mit Anliegen der Unterhaltung oder von Lustbarkeiten, dem Schutz vor dem Wetter oder der medizinischen Behandlung dient, macht sich eines Vergehens schuldig."
US-Richter wissen, wie Terroristen heilige Schriften lesen
Ihre bis heute anhaltende Diskussion darum, ob das Tragen einer Maske als krimineller Akt oder als Ausdruck oder jedenfalls Voraussetzung für die Möglichkeit zu würdigen ist, seine Meinung im Schutz der relativen Anonymität zu tätigen, haben die Amerikaner vor allem dem Ku-Klux-Klan (KKK) zu verdanken.
Ein in mehrfacher Hinsicht lesenswerter Beschluss des US-Bezirksgerichts für Ost-Louisiana vom 1. Dezember 1965 illustriert die Macht der Maske in den Tagen des Klan-Lebens: Als der örtliche Kongress-Abgeordnete im Januar 1965 in einem 20.000-Seelen-Kaff namens Bogalusa zu einer Veranstaltung einlud, bei der erstmals die damals "Negroes" genannten Afro- und die "Whites" genannten Kaukaso-Amerikaner unter Aufhebung der Rassentrennung zusammenfinden sollten, blickten ihm 150 KKK-Angehörige aus ihren weißen Kapuzenanzügen entgegen.
Der Abgeordnete, die Polizei sowie die nicht hinreichend negroekritischen Bürger fühlten sich gravierend eingeschüchtert.
Der Gerichtsbeschluss enthält eine schöne Analyse der KKK-Organisationsmethoden und arbeitet heraus, dass die Klan-Kostümierung jedenfalls dann auch bundesrechtlich zu verbieten sei, wenn sie dazu diene, "Negroes" an der Ausübung ihres Wahlrechts zu hindern.
Bekanntlich wurzelt die Symbolik des Ku Klux Klans in der Schottlandromantik, die der britische Dichter Walter Scott (1771–1832) mit seinen Historienromanen verbrochen hat. Ein Wiederaufleben des Klans erfolgte, nachdem 1915 der Monumentalfilm "The Birth of a Nation" ihn massiv popularisiert hatte.
Bezirksrichter John Wisdom (1905–1999) schlüsselte in seiner Gerichtsentscheidung von 1965 darüber hinaus auf, dass die Ideologie des Klans auf selektivem Verfassungspatriotismus und der Überzeugung von der eigenen rassischen Überlegenheit beruhe – sowie auf der völlig fehlgeleiteten Auslegung einer an sich recht harmlosen Bibelstelle. Letzteres ist aktuell sehr bemerkenswert, genießt heutzutage die Diskussion um gewaltverherrlichende Verse in Bibel und Koran doch einige Popularität unter den Hobbyhermeneutikern des Kommentariats sowie der "Tweede Kamer der Staten-Generaal" zu Den Haag.
2/2: KKK-Leute dürfen maskiert marschieren
Dürfen die zweifellos bis in die Knochen rassistischen Herrschaften vom KKK, das Gesicht verhüllt, durch die Straßen US-amerikanischer Städte ziehen, um für ihre nichtsnutzige Meinung zu demonstrieren? Es kommt darauf an, ob das Gericht die Maskierung als ein Mittel anerkennt, das Recht auf freie Rede in Anspruch nehmen zu können, ohne gesellschaftlichen Sanktionen ausgesetzt zu sein.
Ein Beschluss aus dem Jahr 1990 setzt sich beispielsweise u.a. mit der Frage auseinander, ob ein spezifisches kommunales Maskenverbot die Verbreitung von Schriften durch KKK-Zipfelmützenträger im Rahmen eines Klan-Aufmarsches unterbinden dürfe , und verneint dies mit Blick auf die Freiheit der Rede.
Die Stadt Goshen (Indiana), einst explizit als rassenreine Siedlung gegründet, erließ 1998 eine Ortssatzung, die allen Menschen über 18 Jahren, sofern nicht religiös oder gesundheitlich motiviert, das Tragen von Masken oder Kostümierungen in der Öffentlichkeit untersagte, soweit es ihre Identität verberge.
Der Klage der edlen KKK-Ritter gegen dieses Verbot gab das Gericht statt und hielt fest: "In der heutigen Entscheidung liegt eine unbestreitbare Ironie. Vor mehr als einem Jahrhundert trug der Ku Klux Klan Masken, um Menschen zu terrorisieren, die er aus seinen Gemeinden vertreiben wollte. Heutzutage tragen die Klan-Leute Masken, um die Identität jener zu verbergen, deren Ideen die örtliche Gemeinschaft entfernt sehen möchte."
Maske schützt Freiheit der Rede und Selbstorganisation
Die Motive, sich unkenntlich zu machen, die "wahre" Identität zu verschleiern, sich zu kostümieren, werden in der alten Demokratie westlich des Atlantiks also bereits seit einigen Jahrzehnten verhandelt.
Wenn im Fall der Stadt Goshen das Recht der KKK-Leute bestätigt wurde, ihre Gesichter zu verhüllen, um in der Ausübung ihres Rechts der Meinungsfreiheit geschützt zu sein, ist dies – eine weitere Ironie – auf eine Entscheidung des Obersten US-Bundesgerichts aus dem Jahr 1958 zurückzuführen: Damals verwahrte sich die Bürgerrechtsorganisation "National Association for the Advancement of Colored People" erfolgreich gegen das Ansinnen des Staates Alabama, die Namen ihrer sämtlichen Mitglieder vor den Behörden des rassistisch regierten Staates zu enthüllen.
Liebe zum Nacktduschen versus Kapuzen-Terrorfurcht
Ansprüche auf Ver- und Enthüllung werden in den USA im Zusammenhang mit dem Recht auf freie Rede diskutiert, auch was Pseudo- und Anonymitätspraktiken im Online-Betrieb betrifft.
Während in Deutschland ein führender Politiker seine Verbotsfantasien im textilen Bereich schon einmal damit illustriert, dass ihm verhüllte Frauen im schwedischen Möbelgeschäft unsympathisch seien und er sich Sorgen darum macht, dass schamhafte "arabische Muskelmachos" in seinem Fitness-Studio in Unter- bzw. Badehose duschten, werden noch bestehende Klan-Kostümierungsverbote in den USA, in Georgia beispielsweise, mit der realen, historisch legitimen Furcht vor den weiß maskierten Terroristen begründet – denen man gleichwohl das Recht auf freie Rede nicht abspricht.
Über die Nationallyrik vom "Home of the Brave" macht man sich ja gerne lustig. In Sachen Maskenverbot gibt es dazu gewiss keinen Anlass.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs bei Solingen.
Martin Rath, Vermummung und Sicherheitspolitik: Falsche Bärte sind verboten . In: Legal Tribune Online, 04.09.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20470/ (abgerufen am: 23.04.2024 )
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