Grenzgebiete der Jurisprudenz: Verdauung für Juristen (m/w)

von Martin Rath

26.12.2014

Nach der reichhaltigen Atzung über die Weihnachtstage folgt, jedenfalls als virtuelle Strafe: die Diät. Virtuell bleibt sie, weil zwar viel darüber geschrieben wird, sie aber doch meist in frühen Stadien der Selbstkasteiung stehenbleibt. Weniger virtuell ist der juristische Umgang mit Verdauungsfragen. Martin Rath wagt sich an ein delikates Thema.

Was juristisch zur Verdauung zu schreiben ist, sollte zunächst abgegrenzt werden, damit es nicht unappetitlich wird. Im demütigen Abschnitt dieser Glosse werden unschöne Szenen aus der Welt des Rechts zwar nicht zu vermeiden sein, aber dabei soll es doch nicht um Verdauungsprodukte gehen. Kommunalabwasserrecht ist kein Thema, dem man sich während der Verdauung seiner Weihnachtssünden widmen möchte. Im Zweifel kommt es ja auch mit dem nächsten Gebührenbescheid von selbst ins Haus.

Auch die spezifisch juristische Problematik, dass Verdauungsprozesse zu erhöhter Milde im Strafprozess beitragen könnten soll hier ausgeklammert bleiben. Vor Mittagspausen werden Urteile härter, spät nachmittags wiederum sanfter. Ob dabei aber die Unterbrechung des Outputs von Angeklagten, Verteidigern und Staatsanwälten ausschlaggebend ist oder der Input aus der Gerichtskantine, mithin der Wechsel vom Straf- in den Verdauungsprozess, war der einschlägigen Studie zum Thema leider nicht recht zu entnehmen, weil sie leider doch nicht exakt der Frage nachging, in welcher Relation welches Frühstück des Richters zu welchem seiner Urteile stehen könnte ("Extraneous factors in judicial decisions", in: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America).

Verdauungshilfen vor dem hohen Gericht

Darum soll es also nicht gehen. Worum dann? Nun, etwa um die Annäherung der Justiz an die Verdauung bzw. ihrer künstlichen Stärkung und Optimierung von einer okkulten Seite her.

Befremden erregt beispielsweise Weihrauch. In der katholischen Liturgie wird das Harz des Weihrauchbaums mitunter verschwenderisch verräuchert. Symbolisch steht der Stoff unter anderem für Reinigung und Gottesverehrung. Praktisch wird manchem Gemeindemitglied übel. Nicht bestätigt werden konnte der Befund, dass Weihrauch auch THC, den Cannabis-Wirkstoff enthalte, auch andere pharmakologische Mechanismen bleiben auf Vermutungen angewiesen.

Wer in diesen Tagen wegen eines schwer verräucherten Weihnachtsgottesdienstes Übelkeit oder auch Glücksgefühle empfand, der erhält möglicherweise sachdienliche Hinweise aus einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Saarlouis (v. 03.02.2006, Az. 3 R 7/05). Das prozessgegenständliche Weihrauchextrakt hätte nach einem Gutachten "aromatische Geschmackswirkung und rege zudem die Verdauung an". Weil es je nach Dosierung entzündungshemmende wie -stärkende Wirkungen entfalten könne, sei es nach dem schärferen Arzneimittel- statt nach dem freizügigeren Lebensmittelrecht zu behandeln.

Auf den Gedanken, eine Substanz, die man gemeinhin in einem sakralen Rahmen kennengelernt haben dürfte, zur Verdauungsförderung einzunehmen, muss man erst mal kommen. Ob die Verschiebung vom milderen Lebensmittel- ins striktere Arzneimittelrecht mit dem liturgischen Gebrauch des Weihrauchs zu tun hat? Weihrauch soll weihevoll vom Arzt oder Apotheker dargeboten werden, nicht würdelos im birkenstockbeschuhten Bioladen. Man wüsste zudem gern, ob die Saarlouiser Richter damals vor oder nach dem Mittagessen zu einem Urteil kamen.

Jurisprudenz der Verdauungshilfen

Wahre Wunder, nicht zuletzt auf dem Gebiet der Verdauung versprechen Mittel, die unter anderem Curcuma-Extrakte enthalten, also auf einem immer noch etwas exotischen Gewürz basieren – dafür aber einen Markennamen tragen, der spottlustige Beobachter an Abflussreiniger erinnern könnte: "DC Darmclean Duo" (Landgericht Itzehoe, Urt. v. 24.06.2014, Az. 10 O 158/13). Gleich zur Verhinderung von Heißhungerattacken, der Fettaufnahme sowie des Jo-Jo-Effekts sollte zur Jahrhundertwende einmal ein sogenanntes "Drachen-Gras-Pulver" dienen: Der damalige Importeur des Produkts hatte in "marktschreierischer" Weise für ein Produkt geworben, das eigentlich das Gegenteil einer guten Verdauung bewirken sollte, indem es beispielsweise Fettaufnahme zu verhindern versprach (Oberlandesgericht München, Urt. v. 25.04.2002, Az. 29 U 1871/02).

Dies ist ein Beispiel für die juristische Beschäftigung mit "Verdauung", die von Konjunkturen der Esoterik-Branche abzuhängen scheint: Mal schauen, was als nächstes, vorzugsweise asiatisches Verdauungswundermittel auf den Markt kommt. Besser erkennbar ist eine solche Konjunktur etwa bei der geschäftsträchtig aufgeworfenen Frage, wie Menschen durch eine Ernährungsumstellung die "Übersäuerung" ihres Körpers vermeiden könnten. Die pH-Werte in den verschiedenen Flüssigkeiten, die im Menschen wabern, bewegen sich in einem recht eindeutigen und kaum manipulierbaren Rahmen. Wer Produkte mit gegenteiligen Behauptungen anpreist, gegen den besteht ein Unterlassungsanspruch, wie ein Urteil des Landgerichts Hamburg vom 14. November 2003 zeigt (Az. 416 O 211/03).

Ist ein Rückfluss von Flüssigkeiten aus dem Magen in die Speiseröhre beispielsweise eine ernstzunehmende Funktionsstörung, ist eine allgemeine Bedrohung durch Säure vermutlich Unsinn. Derzeit sind laktosebefreite Milchprodukte sehr in Mode. Einigen Menschen werden diese Produkte zu Verdauungszwecken dienen. Andere kaufen derlei, weil es teuer und damit gut ist. Parallel geht der Gedanke um, Milch sei eine Art Universalgift. In den Zwischenräumen liegen die Vermarktungsfelder jener zweifelhaften Produkte, die unter arznei-, lebensmittel- oder wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten von der Justiz verdaut werden müssen.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Grenzgebiete der Jurisprudenz: . In: Legal Tribune Online, 26.12.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14211 (abgerufen am: 03.10.2024 )

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