In Deutschland nimmt man die seit mindestens 15 Jahren laufende Praxis, mutmaßliche Terroristen per Drohne zu töten, verhalten wahr. Sie soll ein US-Problem bleiben, an dem man nicht schuld sein möchte. In den USA wollen zwei Juristen hingegen die moralisch fragwürdige Counterterrorism-Praxis einer richterlichen Vorab-Kontrolle unterwerfen, schildert Martin Rath.
" ‘s ist Krieg! ‘s ist Krieg! / O Gottes Engel wehre, / Und rede Du darein! / ‘s ist leider Krieg – / und ich begehre / Nicht schuld daran zu sein!" – Matthias Claudius (1740-1815), der berühmte Journalist und Dichter, der ein Studium der Rechte möglicherweise verkrachte, vielleicht aber auch erfolgreich zu Ende brachte, man weiß es nicht sicher, starb vor 200 Jahren. Doch soll das nicht Anlass für ein Gedenk-Stück über tote Juristen geben. Denn Claudius‘ berühmtes Kriegsgedicht, dieses "und ich begehre / Nicht Schuld daran zu sein", formuliert eine recht lebendige Haltung, auf die später zurückzukommen sein wird.
But now for something completely different. Im November 2014 veröffentlichten zwei US-amerikanische Professoren im Vorgriff auf ihr Buch, das im kommenden Sommer erscheinen wird, einen Aufsatz unter dem Titel "Establishment of a drone court: A necessary restraint on executive power" (zu Deutsch etwa: "Einrichtung eines Drohnen-Gerichts: Eine notwendige Einschränkung der ausführenden Gewalt").
Asymmetrische Kriegsführung spätestens seit 1998
Am 21. August 1998, der Präsident hieß Bill Clinton, zerstörten US-amerikanische Marschflugkörper Ziele in Afghanistan und im Sudan. Betroffen waren eine Chemiefabrik sowie Trainingslager mutmaßlicher Terroristen islamistischer Façon. Diese Operation "Infinite Reach", die als Antwort auf islamistisch motivierte Anschläge gegen die US-Botschaften in Kenia und Tansania erfolgte, gilt als Anfang der neueren Variante der sogenannten asymmetrischen Kriegsführung. Dabei tötet man Feinde aus der Luft, außerhalb eines anerkannten Schlachtfelds.
Seit dem 11. September 2001 haben Tötungen in dieser Asymmetrie Konjunktur, mit gutem Gewissen unter der Regierung Georg W. Bushs, als Mittel, sich moralisch geben zu können, unter der Regierung Barack Obamas. An die Stelle der teuren Marschflugkörper (circa 1,5 Millionen US-Dollar Stückpreis) sind derweil unbemannte Flugzeuge, Drohnen, getreten.
Amos N. Guiora und Jeffrey Brand schlagen nun vor, das jeweilige Vorhaben der Tötung von mutmaßlichen Terroristen, das derzeit außerhalb der Staatsgrenzen der USA im weitgehend freien Ermessen des US-Präsidenten liegt, vorab von einem "Operational Security Court" prüfen zu lassen – der Einfachheit halber nennen die beiden Jura-Professoren ihr Geschöpf "Drone Court", Drohnengericht.
Gezielte Tötungen: Exekutives Ermessen beschränken
Das ließe sich abtun als die Idee von Rechtsgelehrten einer Provinzuniversität, Guiora lehrt etwa an der Law School der Universität von Utah, Brand ist ein Emeritus in San Francisco. Man vergleicht solche Einrichtungen hierzulande manchmal boshaft mit deutschen Volkshochschulen, soweit man nicht selbst den "LL.M." des jeweiligen US-Bildungswerks führt. Freilich gibt Brand an, langjährig zu Menschenrechtsfragen gelehrt, Professor Guiora renommiert damit, 20 Jahre im Dienst der israelischen Streitkräfte gearbeitet zu haben, nicht zuletzt zu den juristischen Aspekten konkreter Entscheidungen, ob Tötungen mittels Drohneneinsatz zu genehmigen seien.
Dass derartige Entscheidungen nicht länger dem ausschließlichen Ermessen der ausführenden Gewalt, letztlich also dem US-Präsidenten zu überlassen, vielmehr richterlicher Überwachung vor ihrer etwaigen Ausführung unterworfen sein sollten, wollen die Rechtsgelehrten aus einer grundsätzlichen Abneigung des US-Verfassungsrechts gegen freies Ermessen der Exekutive bzw. gegen ungeteilt ausgeübte, jedenfalls richterlich unkontrolliert bleibende Staatsgewalt herleiten. Ein entsprechendes Urteil des U.S. Supreme Courts von 1952, natürlich auch die Verfassungsväter von 1788 stützen dieses Argument.
Die Notwendigkeit, hierzu ein neues Gericht zu schaffen, begründen Guiora und Brand aus der institutionalisierten Unfähigkeit des 1978 etablierten "Foreign Intelligence Surveillance Courts", eines Sondergerichts, das unter anderem für die Genehmigung geheimdienstlicher Telekommunikationsüberwachung im US-Inland zuständig ist: In den 36 Jahren seiner Existenz habe es 99,9 Prozent aller Regierungsanträge genehmigt. Seine Richter werden vom Chefrichter des U.S. Supreme Courts berufen, es tagt geheim und ohne Anhörung von Parteien. Daraus folgt der Vorwurf, eine Abstempel-Maschine der Regierung zu sein.
2/2: Grundrechtsbindung durch Prozess, nicht durch heilige Worte
Um Schulterschlusseffekte eines in die Exekutive eingebetteten Geheimgerichts bei ihrem "Drone Court" zu vermeiden, schlagen Guiora und Brand vor, die amtierenden, in Rechtssachen aller Art versierten Richterinnen und Richter der US-Bundesgerichte und -appellationsgerichte nach einem Zufallsmechanismus einzuspannen. Das jedenfalls US-Bürgern oder auf US-Staatsgebiet befindlichen Ausländern zustehende Recht, persönlich mit einer strafbewehrten Anklage konfrontiert zu werden und sich verteidigen zu können, muss bei geheimdienstlichen Anliegen, mutmaßliche Feinde außerhalb der US-Grenzen und jenseits militärischer Schlachtfelder zu töten, naturgemäß ein frommer Wunsch bleiben. Immerhin sehen die beiden Gelehrten aus Utah und S.F. vor, dass aus den Kreisen der Rechtsanwaltschaft für die etwaig mittels Drohne zu tötenden Menschen In-absentia-Prozessvertreter zu bestellen seien.
So unbefriedigend dies nach den Maßstäben sei, die etwa für einen Strafprozess gelten, ist damit nach Ansicht von Guiora und Brand immerhin gewonnen, dass die Entscheidungen über das Für und Wider der Counterterrorism-Tötung mutmaßlicher Feinde einem gewissen Begründungszwang unterstellt wird: Welche Qualität haben die geheimdienstlichen Informationen über das "Target" überhaupt? Wie sicher sind die Auskünfte dazu, den Feind ohne Schäden zu Lasten Unbeteiligter zu treffen? Ist die Tötung tatsächlich so alternativlos, wie behauptet wird? Schließlich: Welche Gefahr von welcher Dringlichkeit geht von dem potenziellen Drohnen-Opfer aus, dass sie mit seiner Tötung beendet werden müsste, statt zum Beispiel mit einer Inhaftierung?
Man sollte annehmen – in Deutschland ist man da mit Blick auf die Grundrechtsbindung aller Staatsgewalt, Art. 1 Abs. 3 Grundgesetz vielleicht noch sehr viel staatsfrömmer als in den USA –, dass die genannten Fragen doch mit einer gewissen Rationalität schon im heutigen Entscheidungsprozess berücksichtigt würden. Bei Guiora und Brand findet sich hingegen der Hinweis, dass allein ein "Weißpapier" des US-Justizministeriums Entscheidungskriterien für den todbringenden Drohnenflug enthalte – eher weiche Kriterien, die mangels richterlicher Kontrolle im Einzelfall womöglich auch nicht hinreichend streng ins Auge gefasst würden.
Hinschauen, wo sonst gern weggeschaut wird
Einerseits ist das natürlich alles recht unappetitlich: " ‘s ist Krieg! ‘s ist Krieg! / O Gottes Engel wehre", man möchte hierzulande nichts damit zu schaffen haben. Andererseits ist die Tötung möglicherweise unzureichend als solcher identifizierter Feinde jedoch nicht derart unappetitlich, dass die Vertreter der Karlsruher Bundesanwaltschaft am Zaun US-amerikanischer Militäreinrichtungen in Rheinland-Pfalz rütteln würden. Dabei heißt es doch, manch elektronischer Impuls, der irgendwo in Afrika und Asien zu Toten führt, sei nicht ganz frei von juristischen Kausalitäten durch in Deutschland ansässige Stützpunkte geflossen.
" ‘s ist leider Krieg – / und ich begehre / Nicht schuld daran zu sein!" – im hinterwäldlerischen Utah hält man ein Geheimdienst-Gericht für wenig vorbildlich, weil es 99,9 Prozent aller Abhör-Anträge durchwinkt, wünscht sich, dass Geheimdienstoperationen vom unabhängigen Personal der ordentlichen Gerichtsbarkeit überwacht werden. Angesichts eher lendenlahmer Parlamentarischer Kontrollgremien und bei Überwachungsanträgen nicht eben renitenter Amtsrichter hierzulande scheint der Vorschlag von Guiora und Brand nachgerade aufgeweckt – sie schauen hin, wo sonst gern weggeschaut wird.
Mit dem Gedanken an ein Drohnengericht muss man sich trotzdem nicht anfreunden. Doch der Gedanke löckt den Stachel, dass es vielleicht mehr Menschenleben retten, mehr zum Grundrechtsschutz beitragen könnte, als es der ehrwürdige Internationale Strafgerichtshof tut.
Hinweise: Der Aufsatz von Guiora und Brand ist hier zu finden, die Replik eines auf Sicherheitsfragen abonnierten Juristen hier, die Duplik darauf hier.
Martin Rath, Drohnenrecht: Zwei Juristen wollen ein Gericht gegen das Wegschauen . In: Legal Tribune Online, 25.01.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14471/ (abgerufen am: 29.03.2024 )
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