Deutsche Spionage: Urteil gegen Agenten des "Dritten Reichs" in den USA

von Martin Rath

02.01.2022

Am 2. Januar 1942 wurde das Strafmaß in einem Verfahren gegen 33 deutsche Agenten verkündet. Aufarbeitung einer abenteuerlichen Spionagegeschichte auch über den ersten Doppelagenten der USA William Sebold.

In den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg glich die Stadt New York einem politischen Hexenkessel. Über eine Millionen Menschen ohne US-Staatsangehörigkeit lebten hier. Auch wer eingebürgert war, träumte nicht unbedingt amerikanisch. Damit prallten nicht nur Kulturen, sondern auch politische Ideologien aus der gesamten Welt aufeinander.

Von den gut 350.000 Deutschen und Österreichern in New York waren rund 17.000 im nationalsozialistischen "Amerikadeutschen Volksbund" organisiert. Ein Gutteil der bis zu 38.000 Mitglieder der Kommunistischen Partei der USA lebte in New York, vernetzt auch in Gewerkschaften, Jugend-, Frauen- und Kulturvereinigungen, oftmals mit Überschneidungen zu den jiddischsprachigen Flüchtlingen aus Osteuropa. Unter den schon länger ortsansässigen New Yorkern irischer Herkunft fanden sich wiederum viele Extremisten, bei denen katholischer Antikommunismus gut mit einem britenfeindlichen Antiimperialismus harmonierte.

Dieser Multikultihotspot weckte das Interesse der Geheimdienste. Auch des deutschen militärischen Geheimdienstes „Abwehr“, der von Wilhelm Canaris (1887–1945) geleitetet wurde. Ein Offizier der "Abwehr" Nikolaus Ritter (1899–1974) kam im Jahre 1937 in New York an, um sich nach Mitarbeitern umzuschauen. Zu diesem Zeitpunkt beschäftigten seine Gegenspieler der US-amerikanischen Military Intelligence Division dort nicht mehr als einen Offizier. Der Geheimdienst der US-Marine war derart knapp an Personal, dass er in den Häfen New Yorks kaum die Routineaufgaben erledigen konnte. Auch das FBI hielt vor Ort für Spionageabwehr bestenfalls 42 Mitarbeiter vor.

Gescheiterte Anwerbung durch deutschen Geheimdienst

Dass die von der Hamburger Sophienterrasse 14 aus betreuten Aktivitäten der deutschen Agentinnen und Agenten der "Abwehr" trotzdem wenig erfolgreich blieben – im Vergleich etwa zur Ausforschung des Manhattan-Projekts durch den sowjetischen Geheimdienst –, wird im Wesentlichen auf einen einfachen Mann zurückgeführt: William G. Sebold (1899–1971), der als Gottlieb Adolf Wilhelm Sebold in Mülheim an der Ruhr geboren wurde und später die Schlüsselfigur gegen einen großangelegten Strafprozesses gegen deutsche Agentinnen und Agenten werden sollte.

In seinem Buch Peter Duffy beschreibt in einem Buch aus dem Jahre 1969 unter dem Titel "Double Agent: The First Hero of World War II and How the FBI Outwitted and Destroyed a Nazi Spy Ring" die Schlüsselfigur des Prozesses als einen jener Migranten, wie sie im 20. Jahrhundert häufiger wurden: Wilhelm, dann William Sebold scheint sich nicht sicher gewesen zu sein, wohin ihn sein Leben führen sollte.

Nach dem Ersten Weltkrieg, den Sebold an der Westfront überlebte, absolvierte er eine technische Ausbildung, versuchte eine erste Auswanderung in die USA, wurde in den 1920er Jahren ein erstes Mal von der Not der Familie in Mülheim zur Rückkehr motiviert, geriet auf einem abenteuerlichen Umweg über Südamerika, wo er unter anderem für eine US-Bergbaufirma arbeitete, wieder in die USA. Dort heiratete er, was ihn aber – möglicherweise wegen Vorzeichen einer psychischen Erkrankung, erschwert durch traumatische Erlebnisse im Gaskrieg – nicht unbedingt sesshaft machte.

Zwei Dinge wurden aus den Wanderjahren später relevant. Zum einen: 1936 wurde William Sebold eingebürgert, schwor daher den Treueeid auf die USA – der bekanntlich auch verlangt, von der Treue gegenüber alten Herrschern abzuschwören.

Deutsche wollten an das Superzielgerät für Bombenflugzeuge

Zum anderen: Während der bis in den Zweiten Weltkrieg anhaltenden Wirtschaftskrise der USA war Sebold kurz auch in einem Unternehmen der US-Luftfahrtindustrie tätig, wie er 1939 bei einer Befragung, mutmaßlich durch Gestapo-Beamte, angab, nachdem er erneut das Schiff nach Deutschland genommen hatte.

Seine Motivation zu dieser Reise, einer Rückkehr zur Mutter nach Mülheim, bleibt etwas im Dunklen, seine Gattin blieb in New York zurück. Während Sebold im Ruhrgebiet Arbeit fand, bemühte sich der Abwehr-Offizier Ritter um ihn.

Nikolaus Ritter, der selbst lange Jahre in den USA gelebt und dort seine erste Frau geheiratet, sich dann aber für eine Karriere im deutschen Militärgeheimdienst entschieden hatte, verfügte zwar über einige – inzwischen teilweise bereits aufgeflogene – Agenten in den USA. Insbesondere aber das in New York entwickelte und gebaute, wegen seiner Treffsicherheit – im doppelten Sinn des Wortes – legendäre Norden-Zielgerät für Bombenflugzeuge, weckte das Interesse der Luftwaffe. Kein Wunder, wurde doch von dem Gerät verbreitet, man könne mit ihm aus 4.000 Metern Höhe eine Bombe exakt in ein Gurkenfass abwerfen.

Sebold, als Deutschamerikaner mit vermeintlicher Berufserfahrung in der US-Luftfahrt, schien ein guter Kandidat für Spionagedienste. Mit unausgesprochenen Drohungen wurde er tatsächlich als Agent rekrutiert, erhielt in Hamburg eine Ausbildung in Funk- und Chiffriertechniken. Noch bevor William Sebold 1940 den Dampfer zurück in die USA bestieg, hatte er sich jedoch gegenüber dem US-Konsul in Köln offenbart – weil er seinen Treueeid ernstnahm, wie er angab.

Doppelagent Sebold verrät den USA deutschen Agenten

In New York – nach US-typischem Kompetenzgerangel – von FBI-Beamten betreut, nahm der damit zum "ersten Doppelagenten der USA" avancierte Sebold Kontakt zu vier Agenten auf, die bereits im Dienst Ritters gestanden, ihm oder der deutschen Luftwaffe zugearbeitet hatten.

Im Strafverfahren vor dem US-Bundesbezirksgericht Brooklyn mussten sich später 30 Männer und drei Frauen verantworten, zwei sollen hier herausgegriffen werden:

Herman W. Lang, 1927 eingewandert, war bei der US-Firma Norden beschäftigt, die – wie Peter Duffy etwas spöttisch anmerkt – wegen ihrer niederländisch-schweizerischen Wurzeln bei der Personalauswahl von der Überzeugung beseelt gewesen sei, nordisch-deutsche Handwerks- und Ingenieurskunst sei unübertrefflich. Als Teilnehmer an Hitlers Putschversuch im Jahr 1923 war Lang ein überzeugter Nationalsozialist und hatte bereits Material zum Zielgerät nach Berlin geliefert.

Im Zuge der für das FBI typischen PR-Arbeit sollte der deutsche Spionagering – eigentlich gingen gleich mehrere in die Falle – nach einer zweiten Kontaktperson Sebolds benannt werden: Frederick "Fritz" Joubert Duquesne (1877–1956).

Duquesne, gebürtiger Südafrikaner, war durch seinen Hass gegen die Vertreter des britischen Imperialismus motiviert. Er hatte bereits im Buren-, dann im Ersten Weltkrieg auf deutscher Seite entsprechend agiert. Als Großwildjäger in Afrika war er unter anderem mit Theodore Roosevelt (1858–1919) vertraut, der nach seiner Tätigkeit als US-Präsident dieses blutige Hobby betrieb. Duquesne hatte unter anderem für die Film-Firma des berüchtigten Senators Joseph P. Kennedy (1888–1969) gearbeitet und war – weil ihm die Briten die heimtückische Tötung von Seeleuten im Ersten Weltkrieg vorwarfen – bereits 1932 einmal in den USA verhaftet worden, erfolgreich vertreten vom bekannten Anwalt Arthur Garfield Hays (1881–1954), dem ACLU-Mitbegründer und US-Beobachter im Leipziger Reichstagsbrandprozess.

Nicht die unprofessionelle Rekrutierung dieses Abenteurers und Tricksers – Duquesne war für die Lügengeschichte berühmt, er habe 1916 die Tötung des britischen Kriegsministers Herbert Kitchener durch ein deutsches U-Boot orchestriert – zog jedoch die Netze der FBI-Spionageabwehr immer enger zusammen, sondern das starke Vertrauen, das die "Abwehr" in Hamburg auf William Sebold setzte. Dass er mit Hilfe der amerikanischen Bundespolizei eine gut laufende Funkstation betreiben konnte, machte ihn für die überwiegend in New York tätigen Agentenkreise zum interessanten Mittelsmann. In einem von Sebold betriebenen Büro für Dieseltechnik-Beratung fanden sich viele der späteren Angeklagten ein, wurden systematisch fotografiert, die Gespräche aufgezeichnet.

Vermutlich erstmals vor einem US-Gericht vorgeführt wurde beispielsweise ein hier aufgenommener Überwachungsfilm. Er zeigte, wie sich Duquesne im Büro von Sebold allerlei verdächtige Papiere aus einer Socke zog.

Die meisten deutschen Agenten kamen mit mildem Urteil davon

Im Verfahren, das vor dem US-Bezirksgericht in Brooklyn am 3. September 1941 begann, wurden 30 Männer und drei Frauen angeklagt, gegen den "Espionage Act" aus dem Jahr 1917 bzw. den "Foreign Agents Registration Act" (FARA) verstoßen zu haben.

Während der "Espionage Act" vor allem klassische Bedrohungen der US-Landesverteidigung unter Strafe stellte, war der FARA im Jahr 1938 als Reaktion auf die Influencer-Tätigkeit kommunistischer, faschistischer und nationalsozialistischer Parteien und Regierungen in den USA erlassen worden – im Wesentlichen verlangt er, dass deren Mitarbeiter eine im weitesten Sinn politische Tätigkeit der US-Regierung anzeigen.

Die Mehrzahl der 33 Angeklagten – anfangs 16, am Ende 19 – bekannte sich schuldig, überwiegend wurden beachtliche Geldstrafen und relativ kurze Haftstrafen verhängt. Nach dem Kriegsende in Europa (Victory E-Day) wurden aber vielfach jene, die keine gebürtigen US-Bürger waren, nach Deutschland oder Österreich ausgeschafft.

Es blieb also im Vergleich zu späteren Verfahren bei milden Urteilen. Langjährige Haftstrafen bis zu 20 Jahren erhielten vor allem Angeklagte wie der exponierte Fritz Duquesne oder der Norden-Mitarbeiter Herman W. Lang. Dass der militärische Technologie-Vorsprung des Norden-Zielgeräts bedroht war, galt in den USA als nationaler Skandal. Die – kontrafaktische – Idee, es lasse sich ein Bombenkrieg mit chirurgischer Präzision veranstalten, war für die Motivation der Amerikaner wichtig, denn man wollte keine Kriege gegen Zivilisten führen, zumal nicht jene in der alten Heimat.

William Sebold, der vom FBI in einem Zeugenschutzprogramm avant la lettre betreut wurde, starb 1970.

Tipp: Peter Duffy: "Double Agent: The First Hero of World War II and How the FBI Outwitted and Destroyed a Nazi Spy Ring", New York (Simon & Schuster) 2014, 352 Seiten.


Zitiervorschlag

Deutsche Spionage: . In: Legal Tribune Online, 02.01.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47094 (abgerufen am: 12.12.2024 )

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