Belletristik: Ein Hand­buch für Ver­s­tor­bene

von Martin Rath

13.11.2016

Von Staat und Kirchen wird der November dem Totengedenken gewidmet. Vermutlich, weil im Sommer niemand freiwillig auf den Friedhof käme. Was sich ein Jurist zum Nachleben der Toten ausgedacht hat: eine späte Erinnerung an Hanno Kühnert.

Wenn ein Rechtsanwalt aus dem südwestdeutschen Eck der Republik ein "Handbuch für Verstorbene" schreibt, sollte das eine natürliche Abwehrreaktion auslösen. Zugegeben, auch Normalsterbliche leiden unter Bedienungsanleitungen, Manuals, Handbüchern. Doch allein die zum Richteramt Befähigten haben, zumal in Deutschland, auf Handbüchern gleich eine ganze Wissenschaft gebaut.

Das reicht eigentlich fürs Leben. Ein Handbuch für Verstorbene setzt sich hingegen dem Verdacht aus, als Grabbeigabe für Juristen herausgebracht zu werden, die nicht mehr von dieser Welt sind.

Und zu Lebzeiten, nun ja: So verzweifelt, was den Mandantenstammt angeht, wird auch kein Rechtsanwalt sein wollen. Mandanten hat man zu haben. Diesen Satz hat man – so ählich jedenfalls – schon im ersten Semester gehört. Niemand möchte es bei der Mandantensuche den US-Republikanern aus den "Simpsons" nachtun, die ihre Klientel gelegentlich vom Friedhof holen (in "Sideshow Bob Roberts", Staffel 6, Folge 5).

Ein "Handbuch für Verstorbene", geschrieben von einem Anwalt aus Freiburg im Breisgau – das möchte man nicht einmal mit der Grabschaufel anfassen.

Einmal Trauerflor im Jahr muss sein

Doch gemach. Im vergangenen Jahr stellten wir an dieser Stelle die "Diktate über Sterben und Tod" vor. Ein deutlich unangenehmeres Werk: In den Monaten vor seinem Tod, bedingt durch Blasenkrebs, zeichnete der zu Lebzeiten sehr bekannte Strafrechtslehrer Peter Noll (1926–1982) seine Auseinandersetzung mit der Krankheit, dem Leben und dem Tod, nicht zuletzt mit dem juristischen Tagesbetrieb auf. Traurig, manchmal garstig, hellsichtig.

Und das ist nur die Fortsetzung, jedenfalls auf dem Zeitstrahl: Mit seinem "Handbuch für Verstorbene" legte Hanno Kühnert, der als Rechtsanwalt in Freiburg zugelassen war und durch seine "Karlsruhe"-Berichterstattung in der Süddeutschen Zeitung, später im Wochenblatt Die Zeit einige Aufmerksamkeit erregte, ein erzählerisches Werk der Reflexion vor: Gedanken über das Leben und den Tod und die Moral. 1991 wurde sein Werk publiziert, 25 Jahre später immer noch ein hübsches Stück Herbst-Literatur.

Gedanken vor dem Verschwundensein

Es ist ein braves Märchen. Jedenfalls angesichts der immer noch anhaltenden Konjunktur von "Zombie"-Filmen und -Serien, in denen die Untoten wie frisch aus der Düsseldorfer Altstadt oder dem ubiquitären Oktoberfest umher schlurfen: Nach seinem Herztod macht Heinrich Eder eine merkwürdige Entdeckung. Kühnerts Buchfigur löst sich von seinem Körper, stellt aber fest, dass etwas von ihm auf merkwürdige Art und Weise noch am Leben ist.

Wie es einem wahren Juristen angemessen ist, stellt Kühnert fest, dass es sich bei Eders Existenz um einen Restlebensanteil von einem Siebtel handelt – ein für die Lebenden, nicht aber für die anderen Untoten unsichtbares Wesen, eine Quote auf zwei Beinen, die sich auf den Weg zur Lebensinsolvenz macht. Eder muss essen, trinken, zur Toilette gehen - als "Siebtelexistenz" aber eben in wesentlich kleinerem Maße als zu Lebzeiten.

Auf seinen Wegen durch die Welt der Lebenden, der Vortödlichen, widerfahren Kühnerts Held etliche Unannehmlichkeiten, die auch auf die merkwürdige Existenzform zurückzuführen sind: von der Kälte in der Welt bis zum Ärgernis, dass die Ex-Gattin eine grausliche Todesanzeige voll alberner Formulierungen veröffentlicht hat.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Belletristik: Ein Handbuch für Verstorbene . In: Legal Tribune Online, 13.11.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21130/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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