Amtsrichter Thorsten Schleif hat ein Buch über Eignungstests für Richter, "gequirlte Scheiße" am LG Duisburg und Sabine, seine "Geschäftsstelle", verfasst. Bundesrichter a.D. Thomas Fischer hat es gelesen und rezensiert in zehn Seufzern.
I. Dieselbe Sau, derselbe Name
Amtsrichter Thorsten Schleif musste es wieder tun. 220 Seiten umfasst das neue Werk des Richters Eisenfaust aus Dinslaken "Wo unsere Justiz versagt – Von Messerstechern, Kinderschändern und Polizistenmördern. Ein Richter deckt auf".
Es ist ungefähr so spannend wie das annähernd gleichnamige Buch des Autors aus dem Jahr 2019 und hat im Wesentlichen auch denselben Inhalt. Daher wird es allen eine Labsal sein, die in der "Mainstream-Presse" einfach noch nicht oft genug gelesen haben, dass die deutsche Strafjustiz ein Haufen von Weicheiern und Versagern sei. Die Bild-Zeitung ist schon mal schwer begeistert.
Der Autor, Richter am Amtsgericht Dinslaken, tritt auf den Umschlagfotos seiner Büchlein in Dienstrobe auf, diesmal dem Augenschein nach auch in dienstlichen Räumlichkeiten. Er veröffentlichte 2019: "Urteil: ungerecht. Ein Richter deckt auf, warum unsere Justiz versagt". Das neue Werk heißt: "Wo unsere Justiz versagt (...) Ein Richter deckt auf." Warum den Namen der Sau wechseln, die man durchs Dorf treibt? Zwischendurch kamen noch "Endlich richtig entscheiden" (in Robe) sowie "Der Examenscoach. So lernen Prädikatsjuristen" (mit Polohemd) vom "langjährigen Leiter zahlreicher Referendararbeitsgemeinschaften für Anfänger und Fortgeschrittene", was immer das sein mag. Jetzt also wieder Aufdeckung. Streng blickt Richter Schleif dem Feind ins Auge.
Um ein Ergebnis einmal vorwegzunehmen: Das Landgericht Duisburg, das Herrn Amtsrichter Schleif instanzmäßig übergeordnete Gericht, besteht, soweit es seine Strafkammern betrifft, durchweg aus Versagern, Feiglingen, Dummköpfen und Faulenzern. Diese produzieren "gequirlte Scheiße" ohne Unterlass, fördern das Verbrechen, statt es zu bekämpfen, und zerstören das Ansehen der Justiz. Ein letztes Bollwerk gegen das Chaos sind Richter Schleif und die ihm dankbare Polizei. Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!
II. Dienstliche Kollegenbeschimpfung
Sabine ist empört. Sie gibt Thorsten eine Strafakte und sagt, er solle nicht hineinschauen. Thorsten tut es aber trotzdem. Dann ist auch er empört. So geht es alle Tage zu beim Amtsgericht Dinslaken. Sabine ist "meine Geschäftsstelle", sagt Thorsten. Das wollen wir mal glauben, auch wenn Sabine vermutlich eher eine Justizhauptsekretärin im mittleren Dienst ist und eigentlich nicht jeder wissen muss, dass sie mit dem Herrn Richter am Amtsgericht Schleif in dessen grob herabsetzenden Ansichten über das zuständige Landgericht Duisburg komplett übereinstimmt.
Wir stellen uns mal ganz dumm und kommen dem Thorsten auf die legalistische Tour: Darf man das eigentlich? Darf ein Richter am Amtsgericht mit großem Titelfoto in Robe und im Gerichtssaal, also offenkundig "im Dienst", öffentlich verlautbaren, das ihm übergeordnete Landgericht mache "gequirlte Scheiße" (S. 65), und was der "Rabattmarkenverein" (S. 71) beim LG Duisburg "am besten" könne, sei, Strafverfahren aus Bequemlichkeit an Thorsten abzugeben, einen, wie Herr Schleif ganz neutral und unbefangen meint, über die Maßen qualifizierten und lebenserfahrenen Richter in Dinslaken? Es gibt Dienstvorgesetzte, die wegen öffentlicher Beschimpfungen solcher Art ein Disziplinarverfahren einleiten würden. In der Justiz des Landes NRW, wo der Herr Minister persönlich in Dokumentarfilmen über nicht abgeschlossene Ermittlungsverfahren ihm verbundener Staatsanwältinnen auftritt, sieht man das vielleicht anders. Außerdem geht es bei Herrn Schleif um "Messermänner" (S. 19) – auf dem Buchtitel heißen sie noch "Messerstecher", so viel Weidel-Camouflage muss sein – und sonstigen Abschaum "mit unangenehm heiserer Stimme in gebrochenem Deutsch" (S. 110). Wir kommen darauf zurück. Da sollen sich die Scheiße-Produzenten vom Landgericht Duisburg mal nicht so anstellen.
III. Der Berg ruft wieder
Herrn Schleif wurde, wie er berichtet, von seiner Leserschar gedrängt (S. 10), weitere Einzelheiten über das Versagen der Justiz mitzuteilen. Das ist schon deshalb wichtig, weil es "die Mainstream-Medien" (S. 190) nicht zugeben. Überzeugt von dem Vorhaben hat Schleif eine zufallsbekannte Bergkameradin mit blondem Pferdeschwanz und "einem offenen Lächeln auf den Lippen" (S. 9); außerdem inspirierten ihn erneut seine Tochter und seine aufopferungsvolle Gattin. Sie wissen, dass Thorsten einfach nicht anders kann als den Bürgern zu sagen, wie die Justiz, ausgenommen das Schöffengericht Dinslaken, die Gerechtigkeit mit Füßen tritt. Aus purer Faulheit und Angst! Und weil sie Schleifs Buch "Endlich richtig entscheiden" (ebenfalls in Robe!) nicht gelesen haben. Dort kann man lernen, wie man die Angst davor bekämpft, hohe Strafen zu verhängen. Carsten, Herrn Schleifs Verleger, ist total begeistert. Das wissen wir, weil der Autor das Protokoll des Telefongesprächs ebenso abdruckt wie das tolle Gespräch mit der blonden Bergfee.
Leerseiten, Vor-, Zwischen- und Nachworte, erfundene Fallgeschichten und spannende Schilderungen aus Herrn Schleifs Leben in Dinslaken umfassen geschätzte 70 der 220 Seiten. Der Rest ist in Schriftgröße für Leseschwache (1.800 Zeichen pro Seite) ausgeführt. Auch der Eilige wird also nicht überfordert. Das gilt erst recht für Satzbau und Vokabular. Wer das Bild-Zeitungs-Niveau halbwegs beherrscht, wird mit Schleif keine Rezeptionsprobleme haben.
IV. Eignungstests, aber nicht für Rentner
Das Elend mit der Strafjustiz fängt schon ganz am Anfang an: Ungeeignete Leute, charakterliche Krüppel, ungefestigt, konfliktscheu, überflüssig. Zwei wichtige Abhilfe-Vorschläge hat Herr Schleif bereit, und er meint sie wirklich ernst:
Zum einen: Charaktertest vor der Einstellung als Richter: Sind Sie, Frau Bewerberin, willens und in der Lage, harte Strafen an der Höchstgrenze des Strafrahmens zu verhängen? Zum anderen: Weisungen des Landesjustizministers an die Staatsanwaltschaften zu Anklage-, Strafantrags- und Rechtsmittelpraxis. Ob Schleif seine Vorschläge aus einer Tagung mit chinesischen Kollegen mitgebracht hat, weiß ich nicht.
Für jeden anständigen Dinslakener Strafrichter muss die Frage lauten: Ekeln Sie sich hinlänglich vor dem Betrachten kinderpornografischer Fotos? Herrn Schleif, "immerhin" seit 14 Jahren Richter, fällt es "immer noch schwer", eine Strafakte wegen § 184b StGB anzuschauen (S. 68). Es wird ihm übel, und mehrere Wochen benötigt er, um sich zu erholen. Da möchte jemand, so könnte man vermuten, via "riva Verlag" dem örtlichen Anwaltsverein ein paar liquide Befangenheitsgründe mitteilen und/oder beim OLG-Präsidenten den vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand vorbereiten. Denn ein Richter, der bei der Fallbearbeitung in wochenlange psychosomatische Traumatisierungen verfällt, ist entweder evident befangen oder dienstunfähig, vermutlich sogar beides.
Aber zurück zum Fall: Wie stets, wenn es besonders spannend wird, war Schleif dabei, als man beim Verbrecher Mario im Jahr 2019 durchsuchte und 106 kinderpornografische Dateien fand, die er sich verschafft hatte. Deshalb weiß er auch, dass Mario bei der Festnahme "wütend zischte" wie folgt: "Und ich werde auch in Zukunft so weitermachen" (S. 62). Mario L. ist nämlich viermal vorbestraft. Das Zitat ist, wie alle Schleifschen Zitate, extrem lebensnah. Ihre Authentizität so überzeugend wie die von Old Shatterhand persönlich belauschten Indianergespräche.
Sachkenntnis und Lebenserfahrung des Richters Schleif werden überdies dadurch bewiesen, dass er die verzerrten Gesichter, die böse glühenden Augen und die fratzenartige Mimik der jeweils handelnden Verbrecher haargenau beschreiben kann. So wird, beispielhaft, "Rüdiger", ein Rentner mit Kleinwagen und Freude an einem Schlager "aus den 80ern", der bedauerlicherweise beim Ausparken einen SUV beschädigt und dann eine Unfallflucht begeht, mit dem beim AG Dinslaken üblichen Tätertyp konfrontiert: "Ein großer, breitschultriger Mann mit kurzem Armeehaarschnitt und dunkler Lederjacke. Seine braunen Augen verengen sich zu Schlitzen. Betont langsam holt er eine verspiegelte Sonnenbrille hervor und setzt sie auf. Mit sicherem Schritt bewegt er sich… direkt auf seinen schwarzen Geländewagen zu. Der Nacken des Mannes versteift sich. Seine Augen sind starr... Wie aus dem Nichts ertönt ein markerschütternder Schrei: 'Mein Auto!', schluchzt Thomas M." (S. 121).
Nein, liebe LTO-Leser, das stammt nicht aus dem Wettbewerb "schlechtester Film des Jahres". Es handelt sich um die Schilderung eines vom AG Dinslaken entschiedenen Falles durch Herrn Richter Schleif persönlich.
Rüdiger war nämlich, wie wir das von der Unfallflucht beschuldigten Rentnern ("55 Jahre unfallfrei") nicht anders kennen, total unschuldig. Das wissen wir, weil er es Herr Schleif selbst gesagt hat, und "eine junge Amtsanwältin" meinte es dann auch. Wegen Schneematsch (!) und Schlager im Radio (!) konnte Rüdiger weder spüren noch hören, dass er das fremde Fahrzeug zentral vorne rammte und beschädigte. Ergebnis: Triumph der Gerechtigkeit mittels Freispruch durch Richter Schleif, welcher der Justiz die verdiente Rüge für die unverantwortliche Verfolgung von Unfallflüchtigen erteilt.
Na ja. Wir empfehlen Fahrversuche zur taktilen Wahrnehmbarkeit von Pkw-Anstößen bei Radiobetrieb. Aber darum geht es ja hier nicht. Die Sachverhalte sind, so verrät uns der Autor, ein bisschen "modifiziert" (S. 16). Das Herannahen "rasender" Autos zum Beispiel erkennen die Fußgänger daran, dass sie die "Druckwelle spüren, die die Fahrzeuge vor sich herschieben" (S. 133). Ein physikalisches Wunder! Insgesamt also: Kunst! Das ist schon deshalb naheliegend, weil bald (Juli) "mein erster Kriminalroman" erscheinen soll (S. 14).
V. Rechtsstaatsuntergang als Dauerereignis
Der Pornofall vom Anfang ist schnell erzählt: Wie gewohnt hat das pflichtvergessene Landgericht das Hauptverfahren bei Herrn Schleif eröffnet, weil der Strafrahmen des Amtsgerichts (bis vier Jahre) ausreiche. Klarer Fall von gequirlter Scheiße, meinen Thorsten plus Kollegin, aber was will man machen. Besonders ekelhaft ist nach des Amtsrichters Ansicht, dass viele Fälle des Verbreitens von Kinderpornografie im Strafbefehlsverfahren erledigt werden. Da "darf der Angeklagte dann entscheiden", ob er Einspruch einlegt oder nicht (S. 67). Unerhört! Und er bleibt "weitestgehend anonym" sogar in der Hauptverhandlung, falls er sich vertreten lässt (und zufällig alle Zuschauer taub sind). Will sagen: Die Scharfrichter von der Bildreporterfront haben schlechte Karten, was als Niederlage des Rechtsstaats gelten muss. Der Fall selbst geht dann so weiter: Am Ende verurteilt das Schöffengericht "unter meinem Vorsitz" (da wären wir nicht draufgekommen) den Mario zu vier Jahre "ohne Bewährung". Auf seine Berufung gibt’s bei den Betschwestern vom Landgericht dann (mit – wie sonst? – abwegiger Begründung) zwei Jahre sechs Monate. Unfassbares Versagen!
Überflüssig zu erwähnen: Selbstverständlich wird alles immer schlimmer, da die Zahl der Missbräuche wie des Sich Verschaffens von Kinderpornografie ständig zunimmt. Ebenso wie das "Kinderschänden". Sollte sie einmal nicht zunehmen, zählt das wegen Corona nicht, und sollte die statistische Zunahme auf intensivere Fahndung zurückzuführen sein, ist das umso schlimmer, weil es zeigt, dass es früher auch schon schlimm war (S. 63). Die Polizeiliche Kriminalstatistik ist Herrn Schleif stets zur Hand, wenn es ihn zum "immer schlimmer" drängt. Kriminologisch-kritische Analyse ist nicht so sein Ding.
VI. Mitgefühl, auch bei schlechter Sicht
"Inkompetenz" (S. 47) ist das Kennzeichen deutscher Strafrichter, die unter einem schrecklichen Mangel an Empathie leiden. Das sieht man daran, dass ein Strafrichter "in einem Nachbarbezirk" einer Polizeibeamtin, die durch einen Schlag verletzt wurde, vorgeworfen habe, das sei "ihre eigene Schuld", weil sie den Schlag nicht abgeblockt habe, und die Täter "mit blauen Augen davonkommen" ließ. Herr Schleif weiß das aus dem Supermarkt, wo seine Brille beschlagen war und es ihm ein Polizist erzählte (S. 46). Die Geschichte ist, wie die anderen auch, albern und erkennbar "modifiziert". Unappetitlich wird sie dadurch, dass Schleif sie unmittelbar mit der brutalen Tötung von zwei Polizeibeamten im Januar 2022 verbindet (S. 48) und diese wiederum zum befremdlichen Anschleimen nutzt: "Zwei Menschen, die fehlen, um einer Frau zu helfen (…). Die fehlen, um den Schulweg zu sichern (…) All das und noch viel mehr leisten unsere Polizeibeamten. Haben Sie vielen Dank!"
Wie kommt es, dass man von dieser Art Mitgefühl angewidert ist? Weil es ein Missbrauch von Opfern eines schweren Gewaltverbrechens für eine wohlfeile populistische Diffamierung ist.
VII. Strafrechtskritik: "Sowohl-als-auch"
Nächstes Untergangskapitel: Betäubungsmittel. Ganz furchtbar. Schleif weiß: Deutschland hat ein Drogenproblem, und "der Ruf gewisser zum Glück ehemaliger Richter, man müsse nur alle Drogen legalisieren, dann würden sich die Probleme von selbst lösen, ist mit ‚grenzenlos naiv’ noch wohlwollend umschrieben" (S. 79). Ein argumentativer Volltreffer gegen den Rezensenten und andere "gewisse" Richter! Darauf, dass den behaupteten Unsinn niemand gesagt hat, kommt es dabei nicht an. Es kommt auf das Gefühl an, und da weiß der Richter Schleif einfach, wie der Hase läuft: Es könnte entweder so sein, oder auch anders (S. 89). Toll!
Gleich noch ein kritisches Sowohl-als-auch: Schwarzfahren (§ 265a StGB) muss Ordnungswidrigkeit werden, sagt Herr Schleif (S. 106). Ich weiß nicht, wieviel in Dinslaken schwarzgefahren wird; viel wird da nicht anfallen beim Schöffengericht. Aber fortschrittlich, wie der Dinslakener Populist nun mal ist, findet er, dass ein Durchschnittsschaden von 15 Euro auch per Bußgeldbescheid erledigt werden könnte. Klingt irgendwie kritisch. Beim Ladendiebstahl und Bagatellbetrug fragt allerdings auch niemand nach dem Durchschnittsschaden. Die eigentlich wichtige dogmatische Frage ist allerdings, welcher mit dem Bestimmtheitsgrundsatz vereinbare Impetus eigentlich dafür spricht, das bloße Nichtzahlen einer Schuld sowie ein "Tat"-Verhalten, das vollständig identisch ist mit dem von Nichttätern, zumindest als Ordnungswidrigkeit zu verfolgen. Diese Frage ist in Dinslaken, trotz anfangender und fortschreitender Referendare, noch nicht angekommen. Aber wir wollen nicht kleinlich sein.
VIII. Hauptsache hart!
Das Strafgesetzbuch, liebe Studenten, hat die die Mindeststrafe für schweren Raub (§ 250 StGB) "deshalb" auf fünf Jahre festgesetzt, weil dann die Strafe nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann (S. 114). Diese Schleif-Theorie ist zwar das Gegenteil dessen, was BGH und BVerfG über den zulässigen Zusammenhang von Strafe und Strafaussetzung sagen, aber in Dinslaken muss es halt auch mal anders gehen.
Herr M. ist angeklagt, zwei Taten des Raubes mit gefährlichen Werkzeugen begangen zu haben. Das Schöffengericht ("unter Vorsitz" von Schleif, nicht von Sabine) verurteilt ihn "zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten" (S. 114). Herr M. legt Berufung ein. Das Berufungsgericht (wir tippen: kleine Strafkammer, § 74 Abs. 3 GVG) stellt das Verfahren ein, weil M. wegen paranoider Schizophrenie verhandlungsunfähig ist. Nun erstrebt die StA – offenbar mittels Sicherungsverfahren – eine Unterbringung nach § 63 StGB. Das Landgericht: (wir tippen: Große Strafkammer, § 25 Abs. 1 Nr. 2 GVG) hält bei der ersten Tat (erstinstanzlich?) die Täterschaft, bei der zweiten Tat einen Zustand i.S. von § 63 StGB zum Zeitpunkt der Tat für nicht bewiesen.
Richter Schleif kommentiert: "In vielen LG-Bezirken hat sich eine unangemessen milde Rechtsprechung bei Raubdelikten verfestigt (S. 117)." Der Staat versagt bei der Aufgabe, für eine angemessen harte Bestrafung zu sorgen. Das "potenziert sich, wenn, wie (in diesem) Fall, das Gericht den Täter ganz ohne jede Strafe davonkommen lässt". Das ist, mit Verlaub, entweder grober Unfug oder üble Wirrnis. Es gelingt dem Leser jedenfalls nicht, die Geheimnisse dieses Herrn Schleif empörenden Verfahrens zu durchdringen, das sich zwischen § 250 StGB, § 416 StPO und der Strafzumessungspraxis der "vielen Landgerichtsbezirke" abspielt, welche der Kontrolle des Autors unterliegen.
Überhaupt sollte jemand dem Autor einmal sagen, dass es etwas arg kleinkariert wirkt und peinlich ist, das angeblich notorische Versagen aller anderen zu 90 Prozent mit Beispielen aus selbst entschiedenen Fällen zu illustrieren, in denen jemand anderer Ansicht war als man selbst.
IX. Befangenheit, unterbewusst
Es folgen zum Ende hin Schleifs Erkenntnisse zu Corona-Entscheidungen von bayerischen Verwaltungsgerichten und zur selbstverständlich völlig irrationalen Pandemie-Regierungspolitik. Sie gipfeln in der Gleichsetzung eines Kollegen, der, statt alle Verhandlungstermine wegen Corona-Infektionsgefahr vorab aufzuheben, eine Richtlinie des Justizministeriums abwarten wollte, mit den willfährigen Justizknechten des NS-Staats (S. 169). Schleif diagnostiziert "ein erschreckendes Verständnis von der Unabhängigkeit eines Richters… Leider kein Einzelfall." (S. 171). Darüber kann man streiten. Im Fall soll dann eine "Empfehlung" des Ministeriums ergangen sein. Schleif teilt uns leider nicht mit, ob und mit welchem Ergebnis er gegen diesen illegalen Eingriff in seine Unabhängigkeit das Richterdienstgericht angerufen hat.
Es folgen acht Seiten über die verwerfliche Hetzjagd auf den Familienrichter des AG Weimar, der – obwohl gar nicht zuständig – bekanntlich am 8. April 2021 einen erstaunlich elaborierten Beschluss zu Corona-Schutzmaßnahmen von Schulen erließ, welcher die Propaganda der AfD unverfälscht in die Sphäre des § 1666 BGB transportierte. Die Sache hat, so Schleif, dem Land Thüringen sehr geschadet: nicht der Beschluss, sondern der Umstand, dass der Richter beschuldigt wurde, das Recht gebeugt zu haben! Dieser Vorwurf ist, so Schleif, "der klassische Racheversuch der kleinen beleidigten Leberwurst" (S. 182). Man ist erstaunt.
Bleiben die Versager von ganz oben: Der Präsident des BVerfG war, so hat Schleif herausgefunden, vor seiner Wahl Mitglied des Bundestags. Er muss also, so schließt der Autor messerscharf, bei allen Fragen, die Bundesgesetze betreffen, befangen sein. Das kommt, so Schleif, vom "Unterbewusstsein" (S. 191). Klarer Fall: Den "ehrenwerten" Verfassungsrichtern geht "die Meinung der rechtstreuen Bürger … am Allerwertesten vorbei"; sie produzieren "pseudoakademische Blubberblasen" (S. 200), so dass das BVerfG "endgültig in der Bedeutungslosigkeit (zu) verschwinden droht". Das hätte Richterkollege Jens Maier nicht schöner sagen können. Richter Schleif missbraucht zum Überfluss noch den armen Herrn King und "hat einen Traum" (S.198), wonach niemand Verfassungsrichter werden darf, der "zu den Duzfreunden der Kanzlerin gehört". Über diesen Schleifschen Erlösungstraum könnte man intensiver nachdenken, wenn der Autor weniger von seinen Gesprächen übers "richtige" Strafrichten erzählen würde, die er mit Duzkumpeln von der Staatsanwaltschaft führt.
X. Wutreden in AfD-Sprech
Was ist das Narrativ? Man kann sich, wenn man will, 213 Seiten sparen und es auf Seite 214 nachlesen: Vor zwei Jahren, so Schleif, stand die Justiz "vor dem Abgrund. Heute steht sie nicht mehr dort. Sie ist bereits einen Schritt weiter." Das ist der Tonfall rechtsradikaler Populisten. In Deutschland wird er derzeit bevorzugt von der Partei AfD verbreitet. Deren Beschreibungen, Begründungen und Verdrehungen übernimmt Schleif streckenweise fast komplett. Seine im Gewand von "Warnung“ und pseudo-"mutiger" Aufklärung daherkommende Beschimpfung der Justiz ist eine aus rechtpopulistischen Pamphleten bekannte Wutrede gegen Eliten, "Elfenbeintürme", "Mainstream", "Regierungen" und Etablierte.
Man kann das als Skurrilität abtun. Das Leben als Schriftsteller mit mutmaßlichem Prädikatsexamen (S. 210) ist ja nicht einfach. Vielleicht hat er auch einfach nur eine richtig gute Meinung über sich und möchte, dass alle anderen davon erfahren: Er bricht unter der Last des ihn umgebenden Versagens mental schier zusammen und hat "die Schnauze gestrichen voll von schlecht ausgebildeten, arroganten, ignoranten und mutlosen Kollegen" (S. 215). Das klingt so besorgniserregend, dass wir gar nicht wissen, ob wir hoffen oder befürchten sollen, dass über all seinen Empörungen noch Kraft für ein amtsgerichtliches Dezernat übrigbleibt. Jedenfalls sollte der Präsident des Landgerichts Duisburg ihn bitten, einmal ein Grundlagenwerk über die segensreiche Wirkung seines Schaffens im Amtsgerichtbezirk Dinslaken zu veröffentlichen. Dort müsste, wenn wir es richtig deuten, die Kriminalität nach 14 Jahren Schleifscher Urteilskunst auf dem Nullpunkt angekommen sein.
Man kann es auch ernster nehmen. Herr Richter Schleif, der den Großteil seiner Kollegen für Versager, die Obergerichte für unfähig, die Bundesgerichte für politisch korrumpiert und das Rechtssystem für "im Abgrund" hält, sagt zusammenfassend: "Ich glaube nicht, dass sich etwas Wesentliches zum Guten wenden wird" (S. 213). Das ist ein klares Wort, das den Autor mit der Analyse seiner Zielgruppe einen dürfte. Frage: Was tut man als Richter eines Staates, den man für gescheitert erklärt? Und was tut der Staat? Vielleicht findet sich in Duisburg ein mitfühlendes Präsidium, das für Herrn Schleif ein Plätzchen im Nachlassgericht frei macht. Als Strafverteidiger in Dinslaken jedenfalls würde ich, ehrlich gesagt, ein Formblatt für Befangenheitsanträge entwerfen.
"Wo unsere Justiz versagt – Von Messerstechern, Kinderschändern und Polizistenmördern. Ein Richter deckt auf" von Thorsten Schleif, 220 Seiten, erscheint im riva Verlag (20 Euro, ISBN 978-3-7423-2045-2)
Der Rezensent Prof. Dr. Thomas Fischer ist Rechtsanwalt in München und Rechtswissenschaftler. Er war von 2013 bis 2017 Vorsitzender Richter des 2. Strafsenats am Bundesgerichtshof.
* Die Titelnennung der Bücher von Herrn Schleif (I, III) wurde am 4. Mai korrigierend überarbeitet.
Thomas Fischer rezensiert "Wo unsere Justiz versagt": . In: Legal Tribune Online, 30.04.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48291 (abgerufen am: 09.12.2024 )
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