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Thomas Dehler: Ein Grantler als Jus­tiz­minster

von Ass. jur. Jürgen Seul

20.09.2011

Dr. Thomas Dehler

© Schafgans Archiv

Er war der unbestrittene Star unter den politischen Sonntagsrednern. Mit liberaler Offenheit und fränkischer Sturheit wies Thomas Dehler auf Missstände hin und machte sich Feinde. Zu seinen Verdiensten zählt die Abschaffung vieler nationalsozialistischer Elemente in der deutschen Gesetzeslandschaft. Am 20.09.1949 trat Dehler sein Amt als erster Justizminister der BRD an.

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Die Szene im Herbst 1949 erinnert – mit umgekehrten Vorzeichen – ein wenig an Hape Kerkelings legendären Comedy-Auftritt als Königin Beatrix bei einem Empfang des Bundespräsidenten auf dem Vorplatz von Schloss Bellevue: Ein Volkswagen hält auf dem Parkplatz vor dem Bonner Bundeshaus.

"Heda", ruft ein Schutzmann dem Fahrer zu: "Da darfst du nicht parken." Dabei weist er auf eine schwarz-weiße Verbotstafel, auf der zu lesen steht: "Nur für Minister." "Eben", sagt der Volkswagenfahrer, zieht mal kurz die Handbremse seines Gefährtes an, zupft seine Krawatte zurecht und erklärt trocken: "Ich bin doch Minister ...!" Der Bonner Ordnungshüter wird barsch: "Und ich bin der Kaiser von China. Und jetzt schwirr' ab."

Die Bundesrepublik Deutschland ist noch neu; seine Minister sind es auch – so wie der etwas beleibte Fahrer jenes Volkswagens. Sein Name lautet Dr. jur. Thomas Dehler, er ist bis vor kurzem noch Präsident des Oberlandesgerichts Bamberg gewesen und wurde von Konrad Adenauer soeben zum ersten Justizminister des neuen westdeutschen Staates ernannt. Bevor die Szene in ihrer Peinlichkeit weiter eskalieren kann, klärt eine zufällig vorbeikommende Journalistin den diensteifrigen Polizisten über die Identität des Volkswagenfahrers im einfachen Anzug auf. Der Justizminister darf seinen Volkswagen parken.

Ein Franke auf dem Weg nach Bonn

Der im oberfränkischen Lichtenfels am 14. Dezember 1897 geborene Thomas Dehler war der Sohn eines Gastwirts und Metzgers. Nach einem Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Würzburg, Freiburg und München promovierte er 1920 in Würzburg mit einer Arbeit über "Die Begründung des Strafurteils" zum Dr. jur. Anschließend begann er sein Referendariat. Schon früh engagierte er sich auch politisch. So war Dehler zwischen 1920 bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei (DDP), beziehungsweise ab 1930 der Deutschen Staatspartei. Aus jener Zeit rührte auch seine Bekanntschaft mit Theodor Heuss.

Hauptberuflich arbeitete Dehler ab 1924 als Rechtsanwalt in München und ab 1926 in Bamberg. In der Zeit des Dritten Reiches lebte Dehler eher zurückgezogen, hatte aber Kontakt zum Widerstand. Aus diesem Grunde wurde er 1938 und 1944 von der Gestapo vorübergehend verhaftet. Nach Kriegsende wurde er im Juni 1945 durch die US-Militärregierung zum Landrat in Bamberg ernannt. Nur wenig später übernahm der politisch unvorbelastete Jurist das Amt des Generalstaatsanwaltes in Bamberg, zwei Jahre später folgte die Ernennung zum Oberlandesgerichtspräsidenten in Bamberg.

Im Eiltempo vollzog sich auch Dehlers politische Karriere vom bayerischen Landesvorsitzenden der von ihm mitgegründeten Freien Demokratischen Partei (FDP) in Bayern zum  Mitglied des Deutschen Bundestages. Im ersten Kabinett Adenauers folgte dann die höchste Sprosse seiner politischen Leiter: Thomas Dehler wurde zum Bundesjustizminister ernannt.

Juristischer Erneuerer und rhetorischer Feuerkopf 

In Dehlers Amtszeit als Justizminister wurden die Obersten Bundesgerichte eingerichtet. "Ich will keine loyalen Richter", so Dehler bei der Eröffnung des Bundesgerichtshofs, "sondern Richter, die den Mut haben, illoyal zu sein gegen das Unrecht."

Weitere Eckpfeiler des workaholics auf dem Ministersessel bildeten die Schaffung und Vereinheitlichung des Bundesrechts. Insgesamt 120 Gesetze und Rechtsverordnungen wurden unter Dehlers Federführung verabschiedet, wobei die meiste Arbeit in der Ausmerzung von NS-Gesetzen und dem Ersetzen durch demokratisches Recht bestand. Im Rahmen einer Strafrechtsreform wurden die bedingte Strafaussetzung und die Bewährung in das deutsche Strafrecht eingeführt. In einer der brillantesten Reden vor dem Bundestag wandte sich Dehler zudem gegen die beantragte Wiedereinführung der Todesstrafe.

Im politischen Alltag erwies sich der rhetorisch hochbegabte Dehler als permanenter Grantler und Polterer gegen Adenauers Politik. Wenn der Justizminister den Mund auftat, rauschte es im Blätterwald und klingelten die Amtstelefone. Vor allem Dehlers zunehmende Kritik an der Deutschland- und Außenpolitik des Kanzlers ließen Adenauers rheinischen Frohsinn gefrieren und sorgten für die Abseitsstellung des rhetorischen Frontmanns der FDP. Dem 2. Kabinett von Adenauer gehörte Thomas Dehler deshalb schon nicht mehr an.

Am 21. Juli 1967 starb der Jurist, der zu diesem Zeitpunkt Vizepräsident des Deutschen Bundestages war.

Der Autor Jürgen Seul lebt als freier Publizist und Redakteur in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Er verfasste zahlreiche Publikationen u. a. zum Architektenrecht, Arbeitsrecht sowie zu rechtshistorischen Themen.

 

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Jürgen Seul, Thomas Dehler: Ein Grantler als Justizminster . In: Legal Tribune Online, 20.09.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4334/ (abgerufen am: 23.03.2023 )

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