Tempelhofer Park: 380 Hektar Nüscht

Nina Anika Klotz

25.06.2010

Berlin ist um eine Attraktion reicher: Der Tempelhofer Park auf dem ehemaligen Flughafengelände ist eine der größten innerstädtischen Grünflächen der Welt. Schön ist er deshalb noch lange nicht. Aber was ist schon wirklich schön in Berlin, wa!?

"Wat willste denn da?" fragt der eine Kreuzberger. "Da is’ nüscht los", sagt der Zweite.

Na toll. Jetzt haben die Berliner so lang und aufgeregt für ihren Tempelhofer Park gekämpft: Erst haben sie gegen die Aufrechterhaltung des Flugverkehrs und den "Flughafen für Besserverdienende" protestiert und erreicht, dass im Oktober 2008 zum letzten Mal ein Flugzeug hier startete. Dann haben sie gegen den Bau von Wohnanlagen und schicken Stadtvillen auf dem Ex-Flugfeld gewettert. Also wurde dieser Plan verworfen.

Nun gehört Tempelhof den Berlinern. Und jetzt will sie keiner, die freie Fläche. Niemand will "das neue Tempelhofgefühl" oder gar die "neue Freiheit" erleben, die Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer anlässlich der Eröffnung des 380 Hektar großen Parks am 8.Mai 2010 so wortschön angepriesen hat.

380 Hektar – das ist so groß wie 517 Fußballplätze. 142mal so groß wie das Passagierdeck der Queen Mary II. Und fast doppelt so groß wie der ganze Staat Monaco. Oder, um etwas näher bei der Sache zu bleiben: Der neue Volkspark auf dem Gelände des stillgelegten Flughafens ist um 40 Hektar größer als der Central Park in Manhattan.

Und so liegen sie nun da im Südosten der Stadt, zwischen Autobahn A 100 und dem Kiez Kreuzberg, die 380 Hektar Nüscht, wie der Berliner kaltschnäuzig urteilt.

Es ist ein bisschen so, wie auf einen großen See hinaus zu schwimmen, wenn man vom Tempelhofer Damm her kommend das Flughafengelände betritt. Die Luft rauscht, ein bisschen Autobahnlärm, ein bisschen Großstadtschummer, ein bisschen Wind. Selbst an eigentlich windstillen Tagen fegt ein Lüftchen über den weit offenen Platz. Nach den ersten hundert Metern hinein ins Nichts, in die Mitte des Feldes, beginnt es ein wenig nach Wiese zu riechen, nach wilder Natur mitten in der Metropole. Grillengezirpe und Vögelgezwischter mischt sich in das laue Rauschen.

Im Sommer flirrt die Luft über den Runways

Sich vom Rand wegbewegen heißt los zu lassen. Trau ich mich noch ein Stück weiter? Kann ich noch? Komme ich denn auch wieder zurück?

Als Spaziergänger vergeht die Zeit furchtbar langsam hier. Das muss die Eintönigkeit machen. Erst eine Viertelstunde unterwegs aber trotzdem irgendwie Angst, sich zu weit vom Ausgang entfernt zu haben und es nicht mehr zurück zu schaffen.

Bei alldem ist man auf der abnorm großen und abnorm freien Fläche dem Himmel irgendwie ganz nah – bedrohlich nah. Als könnte er einen schier erdrücken. So fühlt sich wohl ein leichter Anfall Agoraphobie an.

An einem heißen Sommertag (und Berliner Sommertage können bekanntlich sehr, sehr heiß sein) ist es im Tempelhofer Park auch ein bisschen wie in der Wüste. Über den Runways flirrt die Luft. Noch weiter und noch weiter – und dann? Kein Baum, kein Busch, kein Schatten. Kein Kiosk, keine Dönerbude, niemand, der einem Eis oder Wasser oder sonst irgendetwas verkaufen will. Das ist selten in Berlin. Es sind, je weiter man sich der Mitte des Feldes nähert, auch kaum noch Gassigeher, Sonnenlieger und Rollerbladesausprobierer unterwegs. Die alle sind am Rand zurückgeblieben. Hier in der Mitte ist es unheimlich still und einsam, wie irgendwo in der Sahara oder mitten auf dem Ozean.

Es gibt es keine Abbiegung, keine Abkürzung, keine wirkliche Alternative. Man läuft die Startbahn entlang – und irgendwann wieder zurück. Die einzige Querverbindung zwischen den beiden Start- und Landebahnen taucht nach etwa einem Kilometer, ungefähr auf der Hälfte der Bahn, auf. Dort führt ein kleiner Weg durch das kniehohe, grüne Gras, das – ganz treffend – "Wiesenmeer" heißt.

Fast alles ist erlaubt

"Nä, am Wochenende war hier schon richtig wat los", erzählt die junge Frau von der Parkaufsicht. "War ja auch richtig dolles Wetter, hamse alle jegrillt und so." Ja, ja, das darf man hier! Offenes Feuer ist – zumindest auf den ausgewiesenen BBQ-Flächen – erlaubt, Hunde an der Leine ebenfalls. Radfahren, Rollerbladen und joggen soll man auf der asphaltierten Straße, die rings um den Flughafen führt und auf den Start- und Landebahnen natürlich. Auf den Wiesen dazuwischen kann man seine Picknickdecken ausbreiten – zumindest auf den Teilen davon, die gemäht sind, und auf denen nicht die pinkfarbenen Schilder mit der Aufschrift "Hier brütet die Feldlerche von April bis Juli" stehen.

Das hätten die Feldlerchen sich wohl auch nie gedacht, dass sie eines Tages auf einer der größten innerstädtischen Grünflächen der Welt nisten. Dabei waren sie ja schon hier, als Tempelhof noch das Westberliner Tor zur Welt war. Sie waren sogar schon da, als der Flughafen zum Symbol des beginnen Kalten Krieges wurde und als alle drei Minuten eine Transportmaschine der Alliierten zu Start oder Landung ansetzte, um die von der Berlin-Blockade eingeschlossene Bevölkerung mittels der Luftbrücke zu versorgen.

Wahrscheinlich waren die Feldlerchen sogar schon hier, als Adolf Hitler 1935 den Architekten Ernst Sagebiel beauftragte, das gigantischste Flughafengebäude zu bauen, das die Welt je gesehen hatte. Über 1250 Meter erstreckt sich der bogenförmige Bau im Norden des Platzes. Tempelhof sollte damals zum globalen Luftkreuz werden. Heute wird das neoklassizistische Flughafengebäude für Modeschauen, Partys und andere Hip-Events genutzt. Die Feldlerche hat vermutlich schon hier genistete, als Kaiser Wilhelm II seine Soldaten hier exerzieren ließ und als Otto Lilienthal und Graf Ferdinand von Zeppelin in den goldenen 1920er Jahren hier ihre ersten Flugversuche starteten.

Heute starten nur noch ganz kleine Maschinen hier. Zwei ferngesteuerte Modellflugzeuge ziehen schnurrend ihre Kreise über dem löchrigen Asphalt der Rollbahnen. Zwei junge Männer in bunten Shorts und Hipster-Sonnenbrillen üben Start- und Landemanöver. Das klappt ziemlich gut. Und da plötzlich, schau! Der eine kann sogar Loopings fliegen! Das ist ja wild. Da sag noch mal einer, hier im Tempelhofer Park sei nüscht los.

Nina Anika Klotz arbeitet als freie Autorin in den Bereichen Gesellschaft, Leben und Reise. Sie lebt in Berlin.

Zitiervorschlag

Nina Anika Klotz, Tempelhofer Park: 380 Hektar Nüscht . In: Legal Tribune Online, 25.06.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/815/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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