Sumpf und Moor sind Orte der Verderbnis und des Niedergangs, darüber war man sich lange einig. Der Morast stand zudem für moralische Verkommenheit und geriet früh auch in den parlamentarischen Schimpfwortschatz.
Einen "dämonischen Machtbereich" sah der preußische Offizier Fedor Maria von Donat (1847–1919) völlig zutreffend in einem italienischen Sumpfgebiet. In dieser Region lebten nach seiner Beobachtung Menschen, die aufgedunsen und kraftlos und "von allen Merkzeichen der Armut und des Elendes niedergedrückt" seien.
In seinem Bericht an die "Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin" wusste von Donat im Jahr 1892 im Einzelnen mitzuteilen:
"Im Innern der Sümpfe steigern sich die vorhin geschilderten körperlichen Zustände bei längerem Aufenthalte derartig, daß die gelb-graue Haut, obgleich durch das aufgedunsene Fleisch und Fett scheinbar angespannt, alle Elasticität verloren hat und z. B. von einem kurzen Druck mit dem Finger eine fast minutenlange Vertiefung zurück behält. Die Menschen haben in diesem Zustande bereits alle Energie, namentlich auch die zu einem Aufenthaltswechsel verloren, und bei irgend einer sie ermüdenden Beschäftigung im Hause oder auf dem Wege schlafen sie, ohne irgend eine besondere Veranlassung, unversehens in den ewigen Schlummer hinüber."
Von Donat beschrieb hier die Verhältnisse in den Pontischen Sümpfen, südlich von Rom. Dass die Menschen unter "mal'aria" litten, wörtlich übersetzt also "schlechter Luft", war die hergebrachte Begründung. Die Sumpfluft allein musste man aber am Ende des fortschrittlichen 19. Jahrhunderts nicht mehr für das Elend haftbar machen. Der Nachweis des einzelligen Parasiten Plasmodium falciparum war dem Militärarzt Alphonse Laveran (1845–1922) im französischen Algerien bereits gelungen. Seinem preußischen Offizierskollegen ging es aber mehr darum, wie man die Gefahr abwenden könnte:
"Sumpfboden wird fieberfrei, wenn das Grundwasser auf 1 m unter die Erdoberfläche gedrückt wird." – Fedor Maria von Donat und seine Pontischen Sümpfe werden später noch einmal aufzugreifen sein.
Sumpf als Ort, über den und mit dem geschimpft wird
Zwar ist auch das kühle Moor des Nordens ein Ort der Unsicherheit und Unordnung, doch wurde es seit der Romantik derart gründlich ästhetisiert, dass sich sogar eine Künstliche Intelligenz einen Reim darauf machen kann, wie der Medienrechtler Eric W. Steinhauer (1971–) assoziationssicher gezeigt hat.
Auf den Sumpf, wo geografischer Süden und menschlicher Unterleib gelegentlich zusammengedacht werden, wird hingegen kein schönes Lied gesungen. Er bleibt auch vor Gericht ein eher dämonisches Gebiet.
Gegen die Frauenzeitschrift "Constanze", Vorgängerin der "Brigitte", die sich seit 1947 in Westdeutschland zur Marktführerin mauserte, bestanden von kirchlicher Seite moralische Vorbehalte. Zudem ging es katholischen Publizisten darum, dass sie sittlichen Einfluss auf lesewütige Frauen behielten. Unter anderem wegen des Vorwurfs, die "Constanze" beruhe kaufmännisch auf der "gewissenlosen Spekulation auf die primitiven Instinkte eines müde gewordenen Volkes", die Zeitschrift sei "eine Blüte aus dem Sumpf der fragwürdigen Kulturerzeugnisse," klagten die Verleger erfolgreich gegen ein Kirchenblatt. Die "Constanze"-Urteile zählen zu den frühen wettbewerbsrechtlichen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH, Urt. v. 06.07.1954, Az. I ZR 38/53).
Ein Offizier der Bundeswehr, dem u. a. wegen der ehebrecherischen Beziehung zu einer Prostituierten die Entfernung aus dem Dienst ins Haus stand, suchte sich damit zu verteidigen, dass er zwar um diese freiberufliche Tätigkeit seiner Geliebten nicht gewusst, sie aber aus anderen Gründen für sittlich gefährdet gehalten habe – ihm sei es darum gegangen, die Frau "aus dem Sumpf" zu retten. Vor dem Bundesdisziplinarhof drang er damit nicht durch (BDH, Urt. v. 29.12.1957, Az. WD 14/58).
Ein gekränkter Gatte wähnt seine zum Schuldenmachen neigende Frau in den Fängen einer lesbischen Freundin und tötet beide Frauen beim erklärten Versuch, seine Gattin "aus dem Sumpf zu ziehen" (BGH, Urt. v. 10.05.1988, Az. 4 StR 127/88).
Ein Mediziner schimpft über das Krankenhaus, in dem er beschäftigt wird, sieht "alkoholkranke Kollegen in leitenden Positionen … sowie eine betäubungsmittelabhängige Stationsschwester mit Zugang zum Giftschrank", wünscht sich "Fachleute in der Leitung des Hauses …, aber keine Tunten und Trampel" – in Summe sei das Haus "ein Sumpf von Mißständen, personellen Unfähigkeiten, Betrügereien und Unehrlichkeiten". Die Sache führte ihn bis zum Bundesarbeitsgericht und wieder zurück zum Landesarbeitsgericht (BAG, Urt. v. 18.11.1999, Az. 2 AZR 903/98).
Kulturwissenschaftlicher Hintergrund der Angst vor dem Sumpf
Die Liste von Verfahren, in denen – auch – der Vorwurf, ein Betrieb, eine Dienststelle oder sogar die ganze Republik sei ein "Sumpf" verhandelt oder eine moralische Gefährdung von Menschen durch Morast angeführt wurde, ließe sich ausführlich fortsetzen.
Mit der historischen Furcht vor der "mal'aria" allein lässt sich die negative Sumpfmetaphorik schlecht erklären, schon gar nicht ihre oft sexuelle Komponente.
Tatsächlich hat der französische Historiker Alain Corbin (1936–) in seiner epochalen Studie "Pesthauch und Blütenduft" (dt. 1984) beschrieben, wie im Lauf des 18. Jahrhunderts die Vorstellungsbilder aus der hergebrachten Abneigung gegen den Morast von Mutter Natur, etwa an den Ufern der Seine, gleichsam mit den Exkrementen einer modernen Großstadt zusammenflossen: "Der verrufenste Ort der Stagnation und Akkumulation ist der palus, der Sumpf. … Schon die kleinste Lache ist bedrohlich; aus diesem Grund wird davor gewarnt, überflüssiges Wasser zu vergießen. Die stehenden Pfützen, die sich in den Ritzen zwischen Pflastersteinen bilden, sind lauter kleine Sümpfe. Das Unheil, das von dem modernen Wasser der städtischen Abzugsgräben und dem mehr oder weniger spontan entstehenden Tümpeln auf dem Lande ausgeht, liefert Stoff für ein unerschöpfliches Klagelied."
Es wurde die Fantasie der Gelehrten vom "übelriechenden Schlick" angeregt. Krankheit und Kriminalität lagen nach sozialtheoretischer Spekulation in der Metropole gemeinsam im Nebel. "Zwischen dem Untergrund, der stinkenden Masse, die ihn bedeckt, und dem Wasser vollzieht sich ein dauernder Austausch von Dämpfen." – Nicht schwer lässt sich noch ein Reim darauf machen, dass Patrick Süskind (1949–) in seinem berühmten Kriminalroman "Das Parfum" (1985) die Hauptfigur Jean-Baptiste Grenouille, einen Serienmörder, auf einem stinkenden, glitschigen Pariser Fischmarkt zur Welt kommen lässt.
Von politischen Fröschen und ihren Sümpfen
Die frühe Frauenrechtlerin Olympe de Gouges (1748–1793) kritisierte die französischen Revolutionäre, weil sie das englische Vorbild sklavisch nachahmten: Hatten die Briten im Jahr 1649 ihrem König den Kopf abgeschlagen, müsse ihn der royale Kollege in Paris 1793 auch verlieren. Dass es de Gouges bald darauf nicht anders erging, gilt manchen heute wohl als der eigentliche verfassungspolitische Skandal der Epoche.
Parlamentsgeschichtlich folgten die Franzosen ebenfalls dem Londoner Vorbild. Während sich dort die gegnerischen politischen Lager als Viehtreiber ("whigs") und Strauchdiebe ("tories") beschimpften, wurde aus der Sitzordnung im Nationalkonvent der französischen Revolution nach hohen und niedrigen Plätzen im Sitzungssaal der Gegensatz von progressiv-jakobinischen Bergbewohnern ("montagnards") und dem gemäßigten Sumpf ("marais") abgeleitet – die sittliche und pathogene Assoziation ließ sich angesichts der verbreiteten Furcht vor dem Morast kaum vermeiden.
Auch die in jüngerer Vergangenheit namentlich von Wolfgang Schäuble (1942–2023), Friedrich Merz (1955–) und Donald J. Trump (1946–) wieder in den politischen Umlauf gebrachte Phrase, wer einen Sumpf austrocknen wolle, dürfe nicht die Frösche fragen, hat ihren Ursprung vermutlich im Pariser Parlamentarismus, allerdings rund eine Revolution später.
Die in gebildeten Kreisen viel gelesene Salonière Delphine de Girardin (1804–1855) beschrieb kurz vor der 1848er-Revolution den unaufhebbaren Gegensatz zwischen konservativen Parlamentariern, die sich als privat-egoistische Nutzenmaximierer erwiesen hatten und vom Missbrauch ihrer Position lebten, und ihren idealistischen, aber naiven Kollegen, die gegen diese Verhältnisse vorgehen wollten, mit dem pessimistischen Satz: "Quand on veut dessécher un marais, on ne fait pas en voter les grenouilles!" ("Wenn man einen Sumpf austrocknen will, lässt man nicht die Frösche darüber abstimmen!")
Ob die Bewässererinnen und Bewässerer etwas von den Entwässerern lernen?
Der Plan, die Moore in Deutschland durch Zufuhr von Wasser bzw. durch das Beenden von Entwässerung wieder zum Wachstum zu bringen, wird derzeit – wie nahezu jeder Aspekt des Klimawandels – zwar mit einiger Penetranz durch die Öffentlichkeit getragen, spiegelt sich bisher aber noch kaum in einer belastbaren Ausweitung von Sumpfgebieten wider.
Ein Blick zurück in die Epoche, als man den Morast samt der "mal'aria" mit erheblicher Energie loswerden wollte, vermittelt ein bedrückendes Bild unserer Gegenwart. Kehren wir damit also zurück ins zwar ungeliebte und ungeläufige, gelegentlich aber gut geordnete Preußen.
Fedor Maria von Donat, der eingangs zitierte preußische Offizier, der von den erschütternden Lebensumständen der Einwohner im Dunstkreis der Pontischen Sümpfe bei Rom berichtet hatte, beließ es nicht dabei, als Influencer oder Diashow-Reisender avant la lettre aufzutreten.
Auf seine Initiative hin bildeten zu Beginn des 20. Jahrhunderts tatkräftige Unternehmer aus Berlin ein Syndikat, um deren Entwässerung in Angriff zu nehmen, darunter der preußisch-jüdische Maschinenbau-Unternehmer Emil Rathenau (1838–1915), Gründer der AEG, und der nach Italien ausgewanderte Bankier Otto Joel (1856–1916) aus Danzig.
Ihr Projekt scheiterte vor dem Ersten Weltkrieg zwar noch am Finanzierungsbeitrag aus Italien, von Donats Pläne wurden jedoch gut zehn Jahre später unter Benito Mussolini (1883–1945) wieder aufgegriffen. Dabei stützte sich der italienische Staat neben einer adäquaten nationalen Gesetzgebung auch auf internationale medizinische Diskurse und Gremien. Das mag dazu beigetragen haben, dass die italienische Diktatur anfangs auch in liberalen und sozialdemokratischen Kreisen Deutschlands einiges Ansehen genoss.
Erstaunlich ist, wie detailliert Fedor Maria von Donat seine ausgearbeiteten Pläne vorstellte, beispielsweise am 8. März 1897 vor dem "Verein für Naturkunde zu Kassel", also in der tiefsten hessischen Provinz. Offenbar fand von Donat sogar dort hinreichend gelehrte Zuhörer, die seinem Vortrag zu den topografischen und ingenieuralen Voraussetzungen des ehrgeizigen Projekts geistig folgen konnten, die Pontischen Sümpfe trockenzulegen (Abhandlungen und Bericht des Vereins für Naturkunde XXXXIII, 1898, teilweise online).
Über die intellektuellen und institutionellen Bedingungen historischer Projekte dieses wie auch kleineren Formats lohnt es sich heute nachzudenken, bevor mit womöglich kleinem Nutzen erhebliches volkswirtschaftliches Vermögen vernichtet wird – jedenfalls, wenn man sich nicht als parlamentarischer Frosch beschimpfen lassen will.
Der "Sumpf" in Geschichte und Rechtsprechung: . In: Legal Tribune Online, 09.06.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54726 (abgerufen am: 04.12.2024 )
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