Jurist und Anti-Apartheid-Aktivist Albie Sachs: Süd­a­fri­ka­ni­sche Ver­wick­lungen

von Martin Rath

11.06.2023

Deutsche Juristen zählen sich nicht grundlos zum erweiterten Geburtshelferteam der Verfassung Südafrikas. Fall abgeschlossen? Nein. – Die Biografie des bekanntesten südafrikanischen Verfassungsrichters führt in eine Politikthriller-Welt. 

Die Krankenschwester betupft eine von vielen Wunden des Patienten mit einem Salzwattebausch, sie stutzt, bemerkt einen Fremdkörper unter der Haut. Sie nimmt eine Pinzette zur Hand, führt sie in die Wunde, zieht ein wenig und hält dem Patienten schließlich das Fundstück vors Auge, einen Metallsplitter. – Ihr Kommentar: "Wieder ein Stück Schrott weniger." – Er antwortet: "Das ist kein Schrott, das ist mein Auto." 

Am 7. April 1988 war der südafrikanische Jurist Albert "Albie" Sachs (1935–) in Maputo, der Hauptstadt von Mosambik, durch eine Autobombe schwer verletzt worden, platziert von Mitarbeitern des militärischen Geheimdienstes seines Heimatlands. Sachs verlor seinen rechten Arm, erblindete auf einem Auge, ein Fuß wurde schwer beschädigt. 

In seinem autobiografischen Werk "The Soft Venegance of a Freedom Fighter", das – wie die deutsche Übersetzung – bereits im Jahr 1990 erschien, erzählte Sachs in einer bemerkenswert heiteren Stimmung vor allem von seiner Genesung. Überlebt zu haben und wieder auf die Beine zu kommen, verstand er als seine "sanfte Rache" am südafrikanischen Apartheidstaat, der in dieser Zeit ein absehbares Ende noch nicht gefunden hatte. 

Jurist, Kommunist, ANC-Genosse und Verfassungsrichter 

Maputo, tief im Süden von Mosambik, findet sich auf der Karte auf nahezu gleicher Höhe wie Pretoria und war für südafrikanische Oppositionelle ebenso reizvoll wie gefährlich. 

Mosambik, 1975 nach der Nelkenrevolution in Portugal unabhängig geworden, verstand sich als sozialistischer Staat. Bis in die 1980er Jahre konnten bewaffnete Kämpferinnen und Kämpfer des African National Congress (ANC) einerseits über die gemeinsame Nachbarschaft, das kleine Swasiland (seit 2018 amtlich "Eswatini"), insbesondere die südafrikanische Provinz Natal infiltrieren.  

Albie Sachs war nach Exil- und Studienjahren im Vereinigten Königreich 1977 als Jura-Professor an die Universität zu Maputo berufen worden. So sehr von Not geprägt das akademische Leben in Maputo auch war – der Versuch, eine Nation aufzubauen, während es sogar an Papier für die Druckerpresse fehlte –, war es nah der Heimat, kein kaltes Asyl auf einem fremden Kontinent. 

Andererseits bestand die Gefahr von Anschlägen durch südafrikanische Geheimdienste. Zu den bekanntesten Opfern dieses Staatsterrorismus zählte Ruth First (1925–1982), eine international anerkannte Soziologin, die – wie ihr Mann, der Jurist Yossel "Joe" Slovo (1926–1995), und Albie Sachs – Mitglied der verbotenen Kommunistischen Partei Südafrikas war. Sie starb bei der Explosion einer Briefbombe. 

Sachs, als Sohn jüdischer Emigranten aus Litauen in Südafrika geboren, hatte schon als junger Mann eine tiefe Abneigung gegen die Apartheid entwickelt, die seit 1948 vom Gesetzgeber ihre modernere, die alten Methoden kolonialstaatlicher Rassentrennung übersteigende juristische Form erhielt. Zu den Mitteln der Repression zählte etwa der "Suppression of Communism Act" aus dem Jahr 1950, ein Gesetz, das auf seiner Tatbestandsseite erlaubte, bei Bedarf auch Einzelpersonen und Organisationen bis ins linksliberale Spektrum zu unterdrücken, das zudem in seinen Handhaben maßlos in Grund- und Menschenrechte eingriff, ohne richterliche Kontrolle die Freizügigkeit vollständig aufhob, faktische Berufsverbote erlaubte und die Erwähnung der von der "Bannung" betroffenen Personen in der Presse verbot. 

Als bekannter oppositioneller Rechtsanwalt von Inhaftierungen und "Bannung" betroffen, war Sachs 1966 ins Vereinigte Königreich geflohen. 

Spätestens durch das Attentat im Jahr 1988 wurde er einem internationalen Publikum bekannt. Wichtig genug, dass britische Diplomaten ihn am Krankenbett besuchten, war er allerdings zuvor schon, eine Angehörige der US-Gesandtschaft erklärte gar, für seine Genesung zu beten. Sachs bildete daran, wie er schreibt, seine konfessionelle Toleranz aus. 

Nach der Wahl von Frederik Willem de Klerk (1936–2021) zum Präsidenten der Republik Südafrika im Jahr 1989 begann der Übergang vom Apartheitsrecht zur heutigen Verfassung aus dem Jahr 1996. Nicht nur zum Glanz ihres Grundrechtsteils trugen juristische Berater aus Deutschland bei. 

Albie Sachs gehörte dem Constitutional Court of South Africa in den Jahren 1994 bis 2009 an. In diese Zeit fielen einige Entscheidungen, die international ein sehr starkes Echo fanden, darunter die Strafsache Makwanyane und Mchunu (1995), die zum Ende der Todesstrafe seitens der bis dahin recht hinrichtungsfreudigen südafrikanischen Justiz führte, das Urteil zur Weigerung der – esoterisch versponnenen – Regierung Südafrikas, antiretrovirale Medikamente zur Behandlung der zahlreichen HIV-Infizierten einzusetzen (2002) und der von Sachs formulierte Beschluss des Gerichts, das Parlament zur Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Verlobte zu verpflichten (2005). 

Man hätte – auch in ruhigeren Ländern – gerne mehr davon: Richterbiografien 

Ein emeritierter Verfassungsrichter, der seine früheren Parteigenossen notorisch als "comrade" anspricht – viele deutsche Juristen werden sich wohl bei dieser Vorstellung, aus teils spezifischen Gründen der deutschen und europäischen Geschichte bekreuzigen, als sei ihnen der Leibhaftige erschienen. 

Von grundlegendem Interesse – gerade in einer Zeit radikaler gesellschaftlicher Polarisierungen wegen jeder dummen Wärmepumpe, rhetorischen Fehlleistung oder Ernährungsempfehlung – ist, was Albie Sachs zum Wandel seiner Einstellungen erzählt, aber auch der öffentliche Zweifel, der an ihm laut wurde. 

Als junger Mann wie als Jurist in seinen mittleren Jahren war Sachs der linken Lehre von der Parteilichkeit des Rechts nicht abgeneigt, auch wenn sie bei ihm wohl nie in der Härte ausgeprägt war, mit der Kommunisten überall dort, wo sie an die Macht kommen, dem rechtlichen Zwangsapparat jedes liberale Prinzip austreiben. Doch das Liebäugeln mit der "sozialistischen Gerechtigkeit" wurde spätestens in den 1980er Jahren ohnehin abgelöst vom Glauben an das überragende Prinzip menschlicher Würde, ohne taktische Abstriche. 

Die Schreie der "schwarzen" Gefangenen aus der Nachbarzelle, die bis zum Ende des Apartheitstaats der gesetzlich vorgesehenen Prügelstrafe ausgesetzt wurden, prägten den Wunsch nach einer menschenwürdigen Justiz mit. Eines Auges und seines rechten Arms beraubt, fragt Sachs 1988 einen "Genossen" vom militärisch-geheimdienstlichen Flügel des ANC, ob die gemeinsame Heimat denn im Bombenterror verkommen solle wie der Libanon oder Nordirland, nachdem die wichtige Hafen- und Industriestadt Durban zu einem Zentrum dieser ANC-Aktivitäten geworden war. 

Die persönliche Redlichkeit des humanistisch und menschenrechtlich motivierten Juristen wird in Südafrika kaum in Zweifel gezogen, die heikle Rolle von Albie Sachs als juristischer Berater und als Teil des ANC-Netzwerks vor dem Ende des Apartheitstaats aber durchaus. 

Im Jahr 1985 hatte sich der ANC einen "Code of Conduct" gegeben, der im Kampf gegen den Apartheitstaat – der auf beiden Seiten auch bewaffnet, mit terroristischen und geheimdienstlichen Mitteln geführt wurde –, grundlegende Verfahrensrechte etwa für den Fall sichern sollte, das "Genossen" als Verräter verdächtigt wurden. 

Die Folter und Misshandlung von Gefangenen verbot das Dokument, ein führender "Officer of Justice" hatte in der ANC-Organisation für die Rechtmäßigkeit der disziplinarischen und der – für revolutionsfeindliche Staatsrechtler natürlich angemaßten – Strafgewalt zu sorgen. 

Das sei, so der Vorwurf auch aus der linken Öffentlichkeit des Landes, dem ANC in den Jahren des "bewaffneten Kampfes" allerdings gründlich misslungen. 

Berichtet wird etwa, dass dem "Officer of Justice" Zola Skweyiya (1943–2018), später einer der führenden ANC-Politiker des demokratischen Südafrikas, der Zugang zu den militärischen Einrichtungen des ANC in Angola und Uganda nicht nur verwehrt geblieben sei. Sein Bruder, der spätere Verfassungsrichter Thembile Skweyiya (1939–2015) sei sogar selbst beim Versuch, in Angola eine Untersuchung nach dem "Code of Conduct" durchzuführen, in seiner Freiheit und Sicherheit bedroht worden. 

Nach dem Tod eines mutmaßlichen Verräters, Muziwakhe Ngwenya (alias Thami Zulu, ca. 1954–1989), der möglicherweise einem Giftanschlag seiner ANC-Kameraden mit sowjetischer Expertise zum Opfer fiel, blieb – wie dem Juristen bis heute gelegentlich vorgeworfen wird – die Untersuchung unter federführender Mitwirkung von Albie Sachs dürftig, so weit der öffentlich zugängliche Stand. 

Viele Vorgänge aus der gewaltreichen Geschichte Südafrikas sind bis heute nicht gesichert aufgedeckt worden, auch nicht durch die international viel beachtete "South African Truth and Reconciliation Commission" (SATRC). 

Und was geht uns das alles an? 

Die jüngere Rechts- und Gesellschaftsgeschichte Südafrikas hat, wie ein Albie Sachs sehr kritisch sehender Journalist zu Recht behauptet, die Qualität eines John-le-Carré-Thrillers. Ihr mit Skepsis zu begegnen hilft, weniger kitschige Vorstellungen von der Realität der Macht zu entwickeln – was gerade dann wichtig wird, wenn man mit der Biografie von Albie Sachs ein schönes Beispiel eines redlichen Juristen findet, der dieser nackten Macht durchaus mit Erfolg Grenzen setzen konnte. 

Wer in diesem John-le-Carré-Thriller an einem Faden zu ziehen beginnt, wird gelegentlich mit überraschenden Erkenntnissen belohnt, zum Beispiel jener, dass sich der wegen seiner Korruption justizbekannte Ex-Präsident Jacob Zuma (1942–) als ANC-Geheimdienstchef schon vor der berühmten Wahrheits- und Versöhnungskommission nicht zu Vorgängen wie der mutmaßlichen Tötung möglicher Verräter äußerte. Sinn und Leistungsfähigkeit von Verfahren jenseits des klassischen Justizbetriebs mag man vielleicht daran messen. Die SATRC wird ja oft als vorbildlich gehandelt. 

Schließlich führen viele Wege aus dem südlichen Afrika nach Deutschland. 

Sam Nujoma (1929–) zum Beispiel, der als Widerstandskämpfer jedenfalls politisch verantwortlich für ein berüchtigtes "Lager" in Angola und dann, als Präsident von Namibia, ähnlicher Kritik ausgesetzt war wie sein Kollege Zuma, wurde von der Universität Bremen mit dem Titel eines Ehrensenators ausgezeichnet.  

Es heißt, mindestens ein Parteitag der illegalen Kommunistischen Partei Südafrikas habe in Berlin (Ost) stattgefunden, die DDR soll an der militärischen Ausbildung von ANC-Kämpfern beteiligt gewesen sein. Kontakte nach Moskau spielen bis heute eine Rolle. 

Südafrika stand schließlich auch im Zentrum eines der letzten, nie wirklich zufriedenstellend aufgeklärten politischen Skandale der alten Bundesrepublik vor der Wiedervereinigung, der Kontroverse um die Lieferung von U-Booten bzw. U-Boot-Konstruktionsunterlagen an den Apartheitstaat. Juristen begegnet dazu ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, kaum je aber der politische Hintergrund.  

Im Grunde bot das alles schon in den 1980er Jahren einen Vorgeschmack auf die komplizierte Welt, in der wir heute leben. Einfacher wird sie nicht mehr. 

Und warum sollte man beim Aufschlüsseln nicht mit Juristenbiografien vom anderen Ende des Planeten einen Anfang machen

Zitiervorschlag

Jurist und Anti-Apartheid-Aktivist Albie Sachs: . In: Legal Tribune Online, 11.06.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51960 (abgerufen am: 12.12.2024 )

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