Science-Fiction & Strafrecht: Die Zukunft des Verbrechens

von Martin Rath

07.12.2014

Science-Fiction für Repetitoren

An der Subsumtionsarbeit kann der Leser sich also versuchen, darf es aber auch bleiben lassen. Vielleicht schadet aber etwas Übung in der juristischen Bewertung künftiger Handlungspotenziale nicht, auch wenn das Wechselspiel aus technischer und sozialer Bewegung noch nicht den Punkt erreicht hat, der in diesem Band beschrieben wird: Über die straf-, polizei-, zivil- und verfassungsrechtlichen, vor allem prozessrechtlichen Konsequenzen, die sich zum Beispiel aus der Technik des Gedankenlesens ergeben könnten.

Das  "Neuroimaging" hat es immerhin schon in die tief seriösen Nachrichten des Vereins Deutscher Ingenieure gebracht. Welche rechtlichen Konsequenzen hätte es, wenn diese Technik serienreif wird? Bei Behrend geht die Phantasie zur Schnittstelle von Gehirn und Technik etwas weiter: Was folgt aus der unmittelbaren Vermittlung von Lerninhalten, direkt ins Schülergehirn? Das ließe sich straf- und verfassungsrechtlich, aber gern auch schulrechtlich diskutieren. Vielleicht beim Repetitor, dort sollte Neugier auf neue Lerntechniken ja vorhanden sein.

Von solchen Nutzwert-Interessen abgesehen bieten die 16 Geschichten, insgesamt rund 360 Seiten, auch schlicht gute Unterhaltung. Der 1967 in Hilden bei Düsseldorf geborene Arno Behrend zählt zu den preisgekrönten Autoren der deutschen Science-Fiction. Diesem Genre hat die fehlende Aufmerksamkeit seitens der halbamtlichen Feuilletons von "Zeit", "FAZ" und Co. vermutlich ganz gut getan – in der kritischen Beurteilung etwa ihrer erzähltechnischen Fähigkeiten springen die Autoren der deutschen Phantastik-Szene jedenfalls erfreulich leistungsförderlich miteinander um. Die Resultate lesen sich heutzutage oft überraschend gut, so auch hier.

Utopia als Juristentestgelände

Ein wenig Orientierung an populärer Literatur könnte auch den juristischen Ausbildungsbetrieb ein bisschen erträglicher gestalten. In der rechtssoziologischen Bewertung der Juristenausbildung wird beispielsweise von Zeit zu Zeit ein Blick auf die mitunter haarsträubenden Fälle geworfen, die den Studenten zur Subsumtionsübung vorgesetzt werden.

Anlass zur Kritik sah beispielsweise Vera Finger an den mit Stammtischhumor gewürzten Stereotypen in  jenen "Sachverhalten", in denen einfältige Prostituierte auf Drogenhändler mit hübschen Namen wie "Albaner Toni und Kongo Bongo" treffen (myops Nr. 14, 2012, S. 27-31). Finger schlug vor, den von "Diskriminierungen und Rassismus" geprägten "Beispiele(n) von traditionellem Juristenhumor" mit ethischen Leitlinien zur Gestaltung von juristischem Studienmaterial zu begegnen.

Gegen Geschmacklosigkeiten mit moralischer Sauertöpfigkeit vorzugehen, ist vielleicht nicht der beste Weg. Wie wäre es, der juristischen Ausbildungsliteratur ein Mindestmaß an Unterhaltungswert dadurch zu geben, dass mancher Sachverhalt in einer sozialen bzw. technologischen Zukunft liegt?

Beispielsweise wäre die strafrechtsdogmatische Abgrenzung von Anstiftung und mittelbarer Täterschaft vielen Juristen sicher weit weniger präsent, würde im berühmten "Sirius-Fall" der nicht ganz ernstzunehmende "Außerirdische" fehlen.

Staatlich geförderte Verbrechensphantasie

Womöglich könnten professorale Rechtsgelehrte, die in ihrer Ausbildungsliteratur den Anschluss an zeitgenössische Science-Fiction suchten, sogar mit Fördergeldern der Europäischen Union rechnen.
Im Rahmen eines Projekts der Europäischen Kommission wurden utopische Spekulationsgeschäfte auf die Zukunft des Verbrechens durchaus schon gefördert. Dazu legte etwa der Schriftsteller und Unternehmensberater Karlheinz Steinmüller im Rahmen der FESTOS (Foresight of evolving security threats posed by emerging technologies) eine Anzahl kleiner Science-Fiction-Geschichten vor, von denen sich der europäische Staatenverbund offenbar Aufschluss über künftige Themen der Kriminalitätsbekämpfung verspricht.

Wem an juristischen Subsumtionsübungen gelegen ist, könnte sich – gleichsam mit dem Segen der Europäischen Kommission – beispielsweise an einem hübschen Schnittmengenverbrechen aus Körperverletzung mit Todesfolge, Computersabotage, Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation sowie Wahlbehinderung versuchen, zu finden in den Steinmüller-Wildcards, Beispiel ab S. 17).

Wer durcherzählte Verbrechens-Science-Fiction bevorzugt, greift vielleicht zu "Schuldig in 16 Fällen".
Salvatorischer Hinweis: § 12 Strafgesetzbuch ist bekannt. Der Artikel verwendet einen literarischen Begriff von "Verbrechen".

Tipp: Arno Behrend: „Schuldig in 16 Fällen“. Verlag p.machinery, ISBN 978-3-95765-007-8, 360 Seiten, 12,90 Euro

Zitiervorschlag

Martin Rath, Science-Fiction & Strafrecht: Die Zukunft des Verbrechens . In: Legal Tribune Online, 07.12.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14040/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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