"Smart Contracts" und das Blockchain-Prinzip: Das Ende der Juristen?

von Martin Rath

30.08.2015

Wer Juristen und Banker eh für überflüssige Berufsgruppen hielt, könnte durch diese gar nicht so unrealistische Idee neue Inspiration bekommen. Martin Rath über SciFi-artige Software und Datenbanken als neue Kontrollinstrumente des Rechts.

Unter Juristen ist bereits im Hörsaal ein allgemeines Phänomen zu beobachten: Die Aufmerksamkeit steigt, wenn es um prüfungsrelevante Themen wie die dogmatischen Verschrobenheiten und feinen Unterschiede der Tatbestände von Diebstahl, Unterschlagung oder Betrug geht, die für Normalsterbliche gänzlich unsinnig erscheinen. Und die Aufmerksamkeit mancher Anwälte bezüglich ihrer Aufgaben scheint in gleicher Weise mit dem Honorar zu korrelieren wie zuvor mit der Prüfungsrelevanz gewisser Themen.

So hatten bislang sicherlich beide Juristen-Gruppen wenig Interesse an § 265a Strafgesetzbuch (StGB), dem Erschleichen von Leistungen. Darunter fällt zum Beispiel dieser Fall: Täter T überlistet Münzfernsprechautomaten M, gegenleistungsfrei nach Neuseeland zu telefonieren. Nicht aber dieser: Täter T überlistet Schokoladenautomaten S, gegenleistungsfrei einen Schokoladenriegel freizugeben - hier müsste die Aufmerksamkeit der Prüflinge wieder steigen, denn da ist § 242 StGB einschlägig*. Doch wer schon im Hörsaal sein Herz generell an den Automatendiebstahl verlor, dem winkte nicht nur der Prüfervermerk "Schwerpunkt verfehlt", sondern vielleicht auch eine armselige Zukunft als Strafverteidiger von Schwarzfahrern.

Obwohl sich also aus derlei dürftigen Tatbeständen weder Prädikatsnoten noch immense Honoraransprüche herleiten lassen, könnte nun ein dritter Aspekt den Automaten zu einer neuen Aufmerksamkeit verhelfen: Automatenroutinen könnten immer öfter den Tatbeständen selbst und damit auch den Honoraransprüchen den Garaus machen.

Denn aus den Tiefen des Netzes erlangt eine utopische, wenn nicht gar dystopische Idee praktische Relevanz: Das "Blockchain-Prinzip" und die damit einhergehende Idee "smarter" Verträge. Für ihren Erfinder funktioniert die Idee eines intelligenten Vertragskontrollsystems ähnlich wie bisher der einfache Warenautomat: Man wirft eine Münze ein und das gewünschte Gut wird freigegeben. Insbesondere für die Nutzung von Kraftfahrzeugen und für das liebe Geld sind inzwischen Fantasien im Umlauf, die neue staats-, wenn nicht gar rechtsfreie Räume versprechen und Anwälte, Richter, Gerichtsvollzieher und sogar die Banken überflüssig machen könnten.

Staatsfreie Räume durch Technik?

Bislang überwacht der Staat, ob privatrechtlich geschlossene Verträge eingehalten werden oder nicht, Banken kontrollieren den Geldfluss. Zukünftig sollen die Leute sollen ihr Geld jedoch selbst schöpfen und das, was sie bisher per schriftlichem Vertrag geregelt haben, in Smart Contracts "verdinglichen", so die zunächst eher kryptische Beschreibung der Visionäre.

Anstelle also den Justizapparat zu bemühen, der mühselig die Einhaltung der Gesetze kontrollieren und durchzusetzen muss, könne man auch einfach eine Software programmieren, die diese Aufgabe automatisch übernimmt und die in Echtzeit auf riesige, intelligente, dezentrale Online-Datenbanken zugreifen kann. Dieser Algorithmus könnte zum Beispiel Verträge in Echtzeit zuverlässig überwachen und die Rechte der Vertragspartner automatisch durchsetzen. Alle relevanten digitalen Transaktionen zwischen Computern würden genau erfasst, gespeichert, sodass das System zuverlässig auf Veränderungen reagieren kann.  

Informationswissenschaftlich setzt die schöne neue Welt aber voraus, dass diese so ermittelten Protokolle absolut verlässlich sind. Schließlich müssen die "tatbestandlichen" Voraussetzungen fehlerfrei ermittelt werden und die digitalen Befehle missbrauchssicher verschlüsselt gegeben werden können. Hier kommt das Blockchain-Prinzip ins Spiel: Vereinfacht gesagt soll dabei die dezentrale und transparente Speicherung der Datenbanken garantieren, dass die Informationen nicht manipulierbar und objektiv richtig sind.

Privat organisierte und auf viele Tatbestände des täglichen Lebens ausgeweitete Routinen könnten so gänzlich ohne Kontrollinstanzen wie den Staat und seine Privatrechtsordnung auskommen. Man denke an Autos, die per Fernsteuerung stillgelegt werden, wenn man seine Raten nicht bedient, bis hin zum "sich selbst protokollierenden Verkehrsunfall".

Der Autokauf mit "verdinglichtem" Vertrag

Bereits im Jahr 1997 formulierte der US-amerikanische Jurist und Informatiker Nick Szabo, der in einschlägigen Kreisen als der unter einem Pseudonym agierende Bitcoin-Erfinder verdächtigt wird, am Beispiel eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug, wie sich der technische Fortschritt in Form von "Smart Contracts" niederschlagen könnte. In seinem Aufsatz "Formalizing and Securing Relationships on Public Networks" , der im Journal "first Monday" erschienen ist, zeigte Szabo, wie man die Nutzungsbefugnis an einem Auto über ein elektronisches, im Fahrzeug verdinglichtes Protokoll von den zeitnah abrufbaren Zahlungsverhältnissen abhängig machen und damit die Interessen zwischen den Vertragsparteien abschließend regeln kann.

Man darf annehmen, dass es ein starkes Interesse daran gibt, ein Auto dauerhaft zu besitzen, weniger es auch wirklich zu fahren. Das erkennt man daran, dass so wenige Kraftfahrzeuge als Taxi- oder im Carsharing unterwegs sind und die Leute ihr Automobil die längste Zeit des Tages ungenutzt herumstehen lassen. Es besteht also weiterhin Interesse, ein Auto zu kaufen.

Dieser Kauf könnte künftig unter den Bedingungen eines elektronisch aufgerüsteten und online vernetzten Kraftfahrzeugs folgende Elemente enthalten: 1. Der Vertrag verschafft dem Eigentümer den ausschließlichen Zugang zum Fahrzeug und schließt andere Personen aus. 2. Im Programm der Fahrzeugelektronik ist eine Hintertür vorgesehen, die es erlaubt, das Fahrzeug unter Einhaltung gewisser Sicherheitsstandards stillzulegen. 3. Im Fall des kreditfinanzierten Fahrzeugkaufs kann der Kreditgeber den Stilllegungsbefehl geben, wenn ein seriöser Zahlungsrückstand vorliegt. 4. Mit der Schlusszahlung wird die Hintertür im Programm dauerhaft geschlossen.

* geändert am 31.08.2015, 08.22: Zuvor wurde hier nicht explizit darauf hingewiesen, dass gerade der Schokoladenautomat-Fall nicht unter § 265 StGB fällt, sondern subsidiär zum Diebstahl ist. Durch Hinzufügen des Abgrenzungsbeispiels wurde dies korrigiert.  

Zitiervorschlag

Martin Rath, "Smart Contracts" und das Blockchain-Prinzip: Das Ende der Juristen? . In: Legal Tribune Online, 30.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16747/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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