Bei Hausarbeiten könnte schon lange Umdenken notwendig sein, doch auch eine gruselige Praxis deutscher Behörden und Gerichte müsste sich ändern, wenn sich eine leise aufkeimender Trend aus den USA auch hierzulande entfalten sollte.
Reden wir nicht vom Inhalt, reden wir von der Form. Was wären rechtswissenschaftliche Hausarbeiten, wie sähen anwaltliche Schriftsätze und Gerichtsentscheidungen ohne beliebte Schriftarten wie "Times New Roman" oder "Arial" aus?
In jedem Fall besser, meint der US-Rechtsanwalt und studierte Schrift-Designer Matthew Butterick, der sich mit seinem Buch "Typography for Lawyers" einen Namen gemacht hat. Seine Forderung "Schafft Times New Roman ab, wo immer ihr könnt!" stößt in der juristischen Öffentlichkeit seines Landes auf Interesse und dient ihrem Urheber als Geschäftsmodell. Butterick berät Kanzleien in Layout-, vor allem aber Typografie-Fragen. Die Lizenz für eine nicht allzu konservative Schrift lässt sich bei Butterick ebenfalls erwerben.
Doch steht hinter der Forderung, juristisches Schreiben in schönen Formen zu betreiben, mehr als das geschäftliche Interesse von Mediengestaltern und Typografen.
US-Justiz liebt die Schreibmaschinen-Fiktion
Anlass, sich mit der Ästhetik von Schriftsätzen zu beschäftigen, insbesondere mit der Schrift, in der sie abgefasst sind, gibt in den USA die ausgeprägte Kirchturmpolitik der Bundesstaaten und ihrer Gerichte.
Der Massachusetts Supreme Judical Court, das oberste Gericht des Bundesstaats, hierzulande vielleicht bekannt durch seine liberale Rechtsprechung zur Heirat Homosexueller, gibt beispielsweise für schriftliche Eingaben ausdrücklich die Verwendung einer nichtproportionalen Schriftart vor. Bei einer solchen "monospaced" Schrift fällt die Breite (Dickte) jedes Zeichens gleich aus, inklusive der Abstände zwischen den eigentlichen Buchstaben. Das Gericht schlägt dazu konkret die Schrift "Courier" vor. Auch die Revisionsgerichte von Alabama und New Jersey wünschen "Courier", die jedem Schriftsatz den Charme einer alten Schreibmaschinen-Seite gibt.
Der Wunsch dient nicht allein dem justiztypischen Konservatismus. Die Layout-Vorgabe sorgt auch dafür, dass bei der Textmenge je Seite kaum gemogelt werden kann. Da die Gerichte die englische Bezeichnung für Schriftsatz, nämlich "brief" – vom lateinischen "breve", also "kurz" –, in Form von Textmengenbeschränkungen mitunter sehr streng nehmen, steckt auch ein justizökonomischer Zweck hinter der Schreibmaschinen-Ästhetik: Die üblichen Seitenzahlenbegrenzungen können kaum unterlaufen werden.
Die US-Bundesbehörden wechselten vor rund zehn Jahren zur Times New Roman, die ein wenig schöner sein mag. Doch wirkt sie in der Masse der von Staats und Rechts wegen produzierten Texte kaum weniger öde und ermüdend. Schön ist das alles nicht.
Was gehen uns US-Typografieprobleme an?
Halten wir kurz inne: Der deutsche Justizbetrieb kennt keine Todeszellen und spricht keinem Verbraucher bloß deshalb Geld zu, weil ihn die Gebrauchsanweisung nicht davor abhielt, dem Hamster in der Mikrowelle das Fell zu trocknen.
Nach dieser kurzen Minute, in der wir der Überlegenheit der deutschen gegenüber der US-amerikanischen Justiz eingedenk wurden, lässt sich der merkwürdigen Aufmerksamkeit der US-Juristen für die ästhetischen Fragen der juristischen Schreibarbeiten durchaus etwas abgewinnen: Butterick, der Typografie-Ästhet mit der juristischen und schriftgestalterischen Doppelausbildung, weist unter anderem darauf hin, dass die juristischen Berufsträger der USA in statistischen Größen mit ihrer Textproduktion die Schriftsteller und Journalisten in den Schatten stellten. Das dürfte hierzulande kaum wesentlich anders sein.
Die Masse an Schriftsätzen, Verträgen, Beschlüssen und Entwurfstexten unterliegt damit den gleichen Gesetzen wie Texte der literarischen Tradition oder der journalistischen Arbeit.
Was Aufmerksamkeit wünscht, sollte über den Inhalt hinaus auch in der Schrift- und Seitengestaltung gefallen. Dabei gilt es nicht allein, echte Sünden zu vermeiden. Als LTO-Leser sind Sie eingeladen, dem Link zu Kai Engelbrechts "Typografie für Juristen" zu folgen. Danach können Sie zurückkehren, um das Sündenregister unter diesem Artikel zu füllen: die Kommentarfunktion.
2/2: Typografie und Layout – Zeichen von Respekt
Was ästhetisch eine Sünde ist, kann moralisch ein Defizit sein: Denn in guter Typografie drückt sich der Respekt der schriftproduzierenden Berufe gegenüber den Leserinnen und Lesern aus. Dazu zählen neben Schriftstellern, Juristen oder Journalisten natürlich auch Richter, Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes. Vermutlich wird zwar der Inhalt eines Steuer- oder Sozialhilfebescheids, eines Bußgeldbescheids oder eines Strafurteils nicht angenehmer, wenn er in einem Schriftstück daherkommt, das den ästhetischen Regeln voll entspricht.
Doch dem naheliegenden Gedanken, dass alles, was der Rechts- und Verwaltungsstaat zu Papier bringt, aus ökonomischen Gründen auf minderwertigem Recyclingpapier gedruckt werden müsse, in oft unfassbar schlechter Textgestaltung – die Schrift zu klein, die Seiten zu eng bedruckt, die Schriftauswahl eine ästhetische Zumutung – sollte man nicht unbedacht folgen. Wäre es nicht denkbar, dass auch unangenehme Post vom Amt oder vom Gericht viel mehr Akzeptanz erführe, wenn sie in einer schönen Form gestaltet wäre? In lesbarer Schrift, mit gutem Durchschuss, angenehmer Textmenge je Seite?
Legt man beispielsweise eine Ausgabe des Bundesgesetzblatts aus dem Jahr 2015 neben eine 100 Jahre alte Ausgabe des Reichsgesetzblatts, sieht man, dass zu Kaisers Zeiten das ästhetische Empfinden bei der Ausfertigung staatstragender Texte eine größere Rolle spielte als heute.
Ganz so weit wird sich das Rad nicht zurückdrehen lassen. Inhaltlich will man das schon gar nicht. Ästhetisch hindern heutige Textmengen daran: Es fehlt schon beim Gesetzgeber die Fähigkeit zur sinnwahrenden Kürze, zur Didaxe. So schön die Idee ist, die Richter am Bundesverfassungsgericht müssten ihre Entscheidungen handschriftlich, in publikationsfähiger Kalligraphie abfassen, um ihrer Weisheit auch die Würze der Kürze zu verleihen – realistisch ist ein solches Gedankenspiel leider nicht.
Es prüfe sich, wer mit Zeichen blendet
Wo aber frei schaffende Juristen an den Leser ihrer Texte denken müssen, lässt sich vieles tun. Entspricht die Kanzlei-Homepage den Gesetzen guter Bildschirmästhetik? Wann hat man sich zuletzt mit der Schriftart auseinandergesetzt, mit der die Mandantenpost oder das Schreiben ans Gericht gestaltet sind?
Dazu zählt nicht nur die Bitte ans Sekretariat, in "Word" einmal eine andere Typo auszuprobieren. Juristen, die viel mit Mandanten aus Wissenschaft und Technik kommunizieren, werden vielleicht serifenfreie, modern wirkende Schriften bevorzugen. Fragen zum Familien- oder Landwirtschaftsrecht wollen womöglich in "Vollkorn" beantwortet werden.
Hauptsache, das Wechselspiel von Form und Inhalt wird bedacht. Ein wertvolles Papier, das gut zur neuen Kanzleischrift passt, mag einerseits dazu animieren, etwas mehr Gedankenschärfe in der Formulierung an den Tag zu legen. Wer, andererseits, als Student sein Zweitsemester-"Gutachten" in edelster Schrift auf einem teuren 100-Gramm-Papier ausdruckt, schafft vielleicht nur einen unliebsamen Kontrast zu einer überschaubar schlauen Argumentation.
Noch eine Chance, Recht zu haben
Wer aber durch die Kraft der zwei Staatsexamen gestärkt durchs Leben schreitet und vielleicht mit der Gabe gesegnet ist, juristische Gedanken prägnant zu Papier (oder auf den Bildschirm) zu bringen, sollte nicht hinter seinen Möglichkeiten zurückbleiben, ob nun durch die Nutzung schlechter Schriften, ein überhaupt unzureichendes Satzbild oder die unreflektierte Nutzung von Standard-Software. Die Betonung liegt auf "unreflektiert", denn anders, als mancher Mediengestalter behauptet, gibt diese fast alles her, was für ästhetisch gute Geschäfte benötigt wird.
Darüber, ob ein Text typografisch gut oder ob er misslungen ist, lässt sich übrigens gut streiten. Typografisch versierte Menschen zeigen oft eine Tendenz, Recht zu haben. Eigentlich ist es schon ein Wunder, dass sich Juristen hierzulande nicht viel öfter über ästhetische Fragen zanken.
Empfehlenswert für den Einstieg: Hans Peter Willberg: "Wegweiser Schrift. Erste Hilfe für den Umgang mit Schriften: was passt – was wirkt – was stört". Mainz (Verlag Hermann Schmidt) 4. Auflage 2001, 104 Seiten, ISBN: 978-3874395694 – 12,80 Euro.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.
Martin Rath, Ästhetik im juristischen Geschäftsverkehr: Probieren Sie doch mal die Schriftart "Vollkorn" . In: Legal Tribune Online, 31.01.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18313/ (abgerufen am: 07.12.2023 )
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