Ästhetik im juristischen Geschäftsverkehr: Pro­bieren Sie doch mal die Schrif­tart "Voll­korn"

von Martin Rath

31.01.2016

Bei Hausarbeiten könnte schon lange Umdenken notwendig sein, doch auch eine gruselige Praxis deutscher Behörden und Gerichte müsste sich ändern, wenn sich eine leise aufkeimender Trend aus den USA auch hierzulande entfalten sollte.

Reden wir nicht vom Inhalt, reden wir von der Form. Was wären rechtswissenschaftliche Hausarbeiten, wie sähen anwaltliche Schriftsätze und Gerichtsentscheidungen ohne beliebte Schriftarten wie "Times New Roman" oder "Arial" aus?

In jedem Fall besser, meint der US-Rechtsanwalt und studierte Schrift-Designer Matthew Butterick, der sich mit seinem Buch "Typography for Lawyers" einen Namen gemacht hat. Seine Forderung "Schafft Times New Roman ab, wo immer ihr könnt!" stößt in der juristischen Öffentlichkeit seines Landes auf Interesse und dient ihrem Urheber als Geschäftsmodell. Butterick berät Kanzleien in Layout-, vor allem aber Typografie-Fragen. Die Lizenz für eine nicht allzu konservative Schrift lässt sich bei Butterick ebenfalls erwerben.

Doch steht hinter der Forderung, juristisches Schreiben in schönen Formen zu betreiben, mehr als das geschäftliche Interesse von Mediengestaltern und Typografen.

US-Justiz liebt die Schreibmaschinen-Fiktion

Anlass, sich mit der Ästhetik von Schriftsätzen zu beschäftigen, insbesondere mit der Schrift, in der sie abgefasst sind, gibt in den USA die ausgeprägte Kirchturmpolitik der Bundesstaaten und ihrer Gerichte.

Der Massachusetts Supreme Judical Court, das oberste Gericht des Bundesstaats, hierzulande vielleicht bekannt durch seine liberale Rechtsprechung zur Heirat Homosexueller, gibt beispielsweise für schriftliche Eingaben ausdrücklich die Verwendung einer nichtproportionalen Schriftart vor. Bei einer solchen "monospaced" Schrift fällt die Breite (Dickte) jedes Zeichens gleich aus, inklusive der Abstände zwischen den eigentlichen Buchstaben. Das Gericht schlägt dazu konkret die Schrift "Courier" vor. Auch die Revisionsgerichte von Alabama und New Jersey wünschen "Courier", die jedem Schriftsatz den Charme einer alten Schreibmaschinen-Seite gibt.

Der Wunsch dient nicht allein dem justiztypischen Konservatismus. Die Layout-Vorgabe sorgt auch dafür, dass bei der Textmenge je Seite kaum gemogelt werden kann. Da die Gerichte die englische Bezeichnung für Schriftsatz, nämlich "brief" – vom lateinischen "breve", also "kurz" –, in Form von Textmengenbeschränkungen mitunter sehr streng nehmen, steckt auch ein justizökonomischer Zweck hinter der Schreibmaschinen-Ästhetik: Die üblichen Seitenzahlenbegrenzungen können kaum unterlaufen werden.

Die US-Bundesbehörden wechselten vor rund zehn Jahren zur Times New Roman, die ein wenig schöner sein mag. Doch wirkt sie in der Masse der von Staats und Rechts wegen produzierten Texte kaum weniger öde und ermüdend. Schön ist das alles nicht.

Was gehen uns US-Typografieprobleme an?

Halten wir kurz inne: Der deutsche Justizbetrieb kennt keine Todeszellen und spricht keinem Verbraucher bloß deshalb Geld zu, weil ihn die Gebrauchsanweisung nicht davor abhielt, dem Hamster in der Mikrowelle das Fell zu trocknen.

Nach dieser kurzen Minute, in der wir der Überlegenheit der deutschen gegenüber der US-amerikanischen Justiz eingedenk wurden, lässt sich der merkwürdigen Aufmerksamkeit der US-Juristen für die ästhetischen Fragen der juristischen Schreibarbeiten durchaus etwas abgewinnen: Butterick, der Typografie-Ästhet mit der juristischen und schriftgestalterischen Doppelausbildung, weist unter anderem darauf hin, dass die juristischen Berufsträger der USA in statistischen Größen mit ihrer Textproduktion die Schriftsteller und Journalisten in den Schatten stellten. Das dürfte hierzulande kaum wesentlich anders sein.

Die Masse an Schriftsätzen, Verträgen, Beschlüssen und Entwurfstexten unterliegt damit den gleichen Gesetzen wie Texte der literarischen Tradition oder der journalistischen Arbeit.

Was Aufmerksamkeit wünscht, sollte über den Inhalt hinaus auch in der Schrift- und Seitengestaltung gefallen. Dabei gilt es nicht allein, echte Sünden zu vermeiden. Als LTO-Leser sind Sie eingeladen, dem Link zu Kai Engelbrechts "Typografie für Juristen" zu folgen. Danach können Sie zurückkehren, um das Sündenregister unter diesem Artikel zu füllen: die Kommentarfunktion.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Ästhetik im juristischen Geschäftsverkehr: . In: Legal Tribune Online, 31.01.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18313 (abgerufen am: 12.11.2024 )

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