Die amerikanische Supreme Court-Richterin Ruth Bader Ginsburg wird von US-Liberalen und -Feministinnen bewundert und verehrt. Derzeit läuft ein Film über sie sogar in deutschen Kinos. Christian Rath hat ihn gesehen.
"RBG - Ein Leben für die Gerechtigkeit" heißt der Film, der in Deutschland vor allem in Arthouse-Kinos zu sehen ist. RBG ist das Kürzel der heute 85-jährigen Ruth Bader Ginsburg. Sie ist derzeit die älteste Richterin am Supreme Court und will weitermachen, solange sie noch "voll unter Dampf" steht, wie sie sagt. Viele wünschen ihr lange Gesundheit, denn wenn sie aufhören würde, könnte Präsident Donald Trump einen konservativen Nachfolger für sie vorschlagen.
"RBG" ist kein Spielfilm, sondern eine Dokumentation von Ginsburgs Leben und ihrer juristischen Karriere. Sie kommt oft selbst zu Wort, noch mehr sprechen Zeitzeugen und Fans (meist sehr wohlwollend) über sie. Vereinzelt sind sogar Original-Audio-Aufnahmen aus Supreme Court Verhandlungen zu hören. Der Film läuft in Deutschland in der englischen Originalsprache mit deutschen Untertiteln.
Heldin der strategischen Prozessführung
Derzeit ist Ginsburg vor allem als Richterin bekannt. Der Film arbeitet aber gut heraus, dass sie in die Geschichtsbücher eher in ihrer Rolle als Prozessanwältin (Litigator) für Frauenrechte eingehen wird. Der Film ist daher auch ein interessanter Beleg dafür, was strategische Prozessführung bewirken kann.
In den 1970er-Jahren war Ginsburg als Rechtsprofessorin von der großen US-Bürgerrechtsorganisation ACLU beauftragt worden, im so genannten "women's rights project" die Gleichberechtigung der Frau im US-Recht durchzusetzen. Bis dahin gab es eine Vielzahl von Gesetzen, die auf den Mann als Ernährer der Familie abstellte und Frauen zu Bürgern zweiter Klasse machte. Unter Führung von Ginsburg führte die ACLU hunderte von Diskriminierungs-Prozessen, sechs davon auch am Supremce Court, von denen Ginsburg fünf gewann.
Wichtig war für Ginsburg dabei, Schritt für Schritt vorzugehen. Jeder gewonnene Prozess war Grundlage für weitere Klagen. Als besonders klug werteten Zeitzeugen, wie sie auch die Diskriminierung von Männern durch die gängigen Rollenbilder thematisierte. So vertrat sie im Supreme Court-Fall Weinberger vs. Wiesenfeld (Urt. v. 19. 3. 1975) einen jungen Witwer, der sich als Hausmann um den kleinen Sohn kümmerte und feststellen musste, dass bestimmte Sozialleistungen nur für Witwen zur Verfügung standen. Sie nahm den Witwer mit in den Gerichtssaal, damit sich die damals neun männlichen Supreme Court-Richter gut mit ihm identifizieren konnten. Den Fall gewann sie dann einstimmig.
Ginsburgs Tätigkeit als Litigator endete 1980, als Präsident Jimmy Carter sie zur Bundesrichterin am US Court of Appeals for the District of Columbia Circuit ernannte. 1993 folgte der nächste Karriereschritt zum Supreme Court. Diesmal war es Präsident Bill Clinton, der sie nominierte. Ihre Ernennung wurde auch von den Konservativen mitgetragen. Im US-Senat erhielt sie 93 von 96 Stimmen. Ginsburg galt damals als Moderate. Anfangs konnte sie am Supreme Court ihr Werk mit den Stimmen der Mehrheit fortsetzen, zu der auch gemäßigt-konservative Richter wie Sandra Day O'Connor zählten. So entschied der Supreme Court 1996, dass das staatliche Virginia Military Institute auch Frauen offen stehen muss (Urt. v. 26. 6. 1996).
Von der Dissenterin zum Popstar
Doch unter Präsident George W. Bush rückte der Supreme Court nach rechts. Kompromisse wurden schwieriger, Ginsburg fand sich immer häufiger in der Minderheit und schrieb Sondervoten. Im besten Fall wurden diese später von der Politik aufgegriffen, wie im Fall Ledbetter vs. Goodyear (Urt. v. 29. 5. 2007). Hier hatte Ginsburg 2007 argumentiert, dass Frauen gegen ungleiche Bezahlung oft deshalb nicht fristgerecht klagen können, weil sie gar nicht wissen, was ihre männlichen Kollegen verdienen. Am Supreme Court konnte sie sich damit nicht durchsetzen, doch der US-Kongress nahm ihr Anliegen 2009 im "Lilly Ledbetter Fair Pay Act" auf.
Die meisten ihrer Dissenting Opinions hatten aber keine vergleichbare Wirkung - obwohl diese zunehmend im Internet und den sozialen Netzwerken gefeiert wurden. In den vergangenen Jahren wurde Ginsburg so immer mehr zu einer popkulturellen Ikone der liberalen und feministischen Juristen. Hierzu gehört, dass ihr Kürzel RBG zu einem "Notorious RBG" erweitert wurde - eine Anspielung auf den Gangsta-Rapper "Notorious B.I.G.". Ginsburg, die ursprünglich eher scheu und spröde wirkte, hat inzwischen Spaß an ihrer Rolle als juristischer Popstar gefunden und verschenkt bei Gelegenheit selbst "Notorious RBG"-T-Shirts. Musikalisch bevorzugt sie aber die Oper und hat schon mehrere (Sprech)-Rollen in Opernaufführungen eingenommen.
Lungen-OP: Nach 25 Jahren die erste mündliche Verhandlung verpasst
Der RBG-Film identifiziert zwei Personen, die für den nachhaltigen Erfolg Ginsburgs verantwortlich sind. Zunächst natürlich Ginsburg selbst. Ihr werden neben intellektueller Brillanz auch großer Fleiß und eiserne Disziplin attestiert. Regelmäßige Nachtarbeit, wenig Schlaf und konsequentes Fitness-Training gehören für Ginsburg bis heute dazu. Als über 80-Jährige schaffte sie noch zwanzig Liegestütze. Im Dezember 2018 allerdings musste sie sich einer Lungenoperation im Krankenhaus unterziehen und verpasste nach 25 Jahren erstmals eine mündliche Verhandlung am Supreme Court.
Die zweite wichtige Person für Ginsburgs Karriere war ihr Mann Martin, den sie 1954 geheiratet hatte. "Er war der erste Mann, der sich auch für mein Gehirn interessierte", erinnert sich die Richterin. Er stellte später seine eigene Karriere als erfolgreicher Steuer-Anwalt zurück und zog mit ihr von New York nach Washington. Auch in der Erziehung und Betreuung der beiden Kinder engagierte er sich für die damalige Zeit ungewöhnlich stark. Die Frage, ob sich das Juristenpaar oft gegenseitig Ratschläge gibt, verneinte Martin Ginsburg selbstironisch: "Sie gibt mir keine Ratschläge beim Kochen. Und ich gebe ihr keine Ratschläge für die Rechtsprechung".
Wäre ein vergleichbarer Film auch über einen deutschen Verfassungsrichter möglich? Wohl eher nicht. Erstens werden in Deutschland für solche Positionen eher Teamplayer und keine Superhelden ausgesucht. Zweitens läuft der Nominierungsprozess in Deutschland eher diskret ab und nicht als politisches Spektakel wie in den USA, weshalb die BVerfG-Richter von Beginn an deutlich weniger bekannt sind. Drittens ist für deutsche Verfassungsrichter spätestens nach 12 Jahren Schluss. Das ist zwar eine relativ lange Periode. Die unbegrenzte Amtszeit eines Supreme Court-Richters aber gibt noch viel länger Gelegenheit, zum ikonischen Symbol zu werden.
"RBG - Ein Leben für die Gerichtigkeit" (Originaltitel: "RGB - Hero,
Icon, Dissenter."), 2018, 97 Minuten, Regie: Betsy West/Julie Cohen.
Ruth Bader Ginsburg: . In: Legal Tribune Online, 12.01.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33163 (abgerufen am: 12.10.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag