Die Netflix-Serie "Partner Track" handelt vom Großkanzleialltag und den großen Fragen der "Gen Y": Gleichberechtigung, Selbstverwirklichung, der Angst vorm Scheitern und dem Sinn von Arbeit – oder auch nicht, meint Katharina Reisch.
Ich verpasste "den Track" gleich am ersten Tag meines Praktikums. Aufgeregt wartete ich im Konferenzraum einer internationalen Großkanzlei, ließ vom 44. Stock aus den Blick über die Frankfurter Skyline schweifen und war bereit; bereit, dass mein inneres Raubtier mit einem Brüllen erwachte und mich auf den "Partner Track" schickte.
Doch nichts geschah. An meinem letzten Tag fuhr ich mit dem Fahrstuhl einfach wieder runter. Ganz anders lief es bei Ingrid Yun, der ambitionierten Anwältin im Mittelpunkt der aktuell beliebten Netflix-Serie "Partner Track". Nachdem der Serien-Trailer auf meine Startseite gespült wurde, ließ mich eine Frage nicht mehr los: Was treibt diese junge Frau an? In den folgenden zehn Episoden suchte ich nach Antworten.
Auf dem "Partner Track" durch die gläserne Decke?
Von der Verfilmung des gleichnamigen Romans von Helen Wan erhoffte ich mir im Spannungsfeld von "Due Diligence" (Folge 5) und "Out of Office" (Folge 6) das ebenso unterhaltsame wie ermutigende Porträt einer modernen Partnerschafts-Aspirantin. Ich erwartete eine starke Frau, die mit verstaubten Großkanzlei-Klischees aufräumt, die gläserne Decke durchbricht und sich von Geld und Macht nicht korrumpieren lässt.
Auf den ersten Blick ist sie auch eine beeindruckende Persönlichkeit: Ingrids Eltern sind aus Korea in die USA eingewandert. Sie schloss ihr Harvard-Studium als Zweitbeste ihres Jahrgangs ab und arbeitet nun seit sechs Jahren in der renommierten Kanzlei "Parsons Valentine & Hunt" in New York. Dort widmet sie sich mit größtem Engagement komplexen Rechtsfragen im Zusammenhang mit Unternehmenstransaktionen, dem so genannten M&A-Geschäft. Dabei hat Ingrid eine Mission: Sie möchte in die höchste Führungsriege der Kanzlei aufsteigen und Partnerin werden. Sie ist auf dem "Partner Track" und bereit, alles zu geben.
Wer will was von wem?
Während Ingrid in einem rosafarbenen Kostüm durch New York stöckelt und eine Detailaufnahme ihre Spende an einen Obdachlosen fokussiert, offenbart sie mir, warum sie eigentlich Rechtsanwältin geworden ist: "Ich liebe Gesetze, in der Physik und im Leben." Ein erstes Stirnrunzeln stellt sich ein.
In den nächsten fünf Folgen lerne ich eine betont karrierebewusste Frau kennen, die stets auf der Jagd nach dem nächsten "Deal" ist, die ihre Arbeitsleistung im Sechs-Minuten-Takt abrechnet und scheinbar für jene Momente lebt, in denen ein älterer Herr im grauen Nadelstreifenanzug ihr zufrieden zunickt und sagt "Gut gemacht, Mädchen".
Ingrid lebt aber auch für jene 15 Minuten, in denen sie beim Sushi-Date mit Nick Larron, dem "begehrtesten Junggesellen New Yorks", zwischen Aktenbergen über die Schriftsteller Virginia Woolf und Marcel Proust und die Phallusähnlichkeit des Eiffelturms sinniert. Das spannungsgeladene Liebesdreieck komplettiert schließlich ihr Kollege Jeff Murphy.
Gefangen in nostalgischen Twilight-Flashbacks oszilliere ich ein paar Folgen lang zwischen "Team Nick" und "Team Jeff" hin und her, bis ich schließlich die Komplexität des stetig unübersichtlicher werdenden Sachverhalts durch einen alten Trick aus der Examensvorbereitung reduzieren muss. Mit einer Skizze bringe ich Ordnung in die zentrale Frage der "herzergreifende[n] Drama-Serie": Wer will was von wem?
Dabei verfolgt das Liebesdrama konsequent einen trashig-rührseligen Ansatz, der getreu dem Motto "viel hilft viel" in melodramatischen Szenen wie dieser kulminiert: Während hinter ihrem Hochglanzbüro die Skyline von New York in einem farbenfrohen Sonnenuntergang versinkt, haucht Ingrid mit einem theatralischen Seufzen in die Kamera: "Der Glaube an die wahre Liebe ist wie der Glaube an Gott, denn man glaubt an das Schicksal".
Systemkritik im Hintergrundrauschen
Der juristische Arbeitsalltag in der internationalen Großkanzlei Parsons Valentine & Hunt manifestiert sich lediglich im Hintergrundrauschen des Liebesdramas. Wer sich authentische Einblicke in die Mandatsarbeit, spannende Rechtsfragen oder gar Erkenntnisse zum "Partner Track" erhofft, wird mit einem großen Fragezeichen zurückbleiben. Zwar bemüht sich "Partner Track" um kritische Schlaglichter auf das System Großkanzlei; gleichwohl aber werden brisante Themen wie Rassismus, Queerfeindlichkeit, Sexismus, Konkurrenz und Leistungsdruck auf dem schmalen Grat von Selbstverwirklichung und Selbstausbeutung lediglich oberflächlich und schematisch abgearbeitet.
Enttäuscht wird, wer erwartet, die Serie sei "tiefgründiger, als sie zunächst wirkt". Dieser Eindruck mag entstehen, wenn man sich von Ingrids pseudo-intellektuellem Posing blenden lässt. So beginnt zum Beispiel jede Folge mit einem kleinen physikalischen Bildungserlebnis. Auch veranlassen ihre bei jeder Gelegenheit lässig aus dem Ärmel geschüttelten Kalendersprüche aus der Kategorie "Gerechtigkeit heißt Befreiung von Unrecht" nicht nur ihre koketten Verehrer zu der sarkastischen Frage: "Bist du eine Philosophin oder eine Anwältin?" (Ingrids Antwort: "Ja"…).
Wir-gegen-die-Rhetorik im Haifischbecken
Die Systemkritik am "weißen Establishment" kommt mit einem maximal undifferenzierten Vorschlaghammer. Mit inflationärer Häufigkeit fällt das Wort "Konkurrenz", damit auch wirklich alle verstehen, was wir, Bernd Stromberg sei Dank, längst wissen: Büro ist Krieg und Karriere kein Nonnenhockey.
Da überrascht es wenig, dass der weiße Rechtsanwalt Dan Fallon auf einer kanzleiinternen Abendveranstaltung eine rassistische "Comedy-Nummer" zulasten seines Schwarzen Kollegen Tyler Robinson aufführt. In der anschließenden Aufarbeitung des Skandals sind die Rollen dann klar verteilt: Es gibt die Guten und die Bösen. Diese simplifizierende Wir-gegen-die-Rhetorik multipliziert bestehende Konflikte mehr, als sie einfühlsam und differenziert für Ressentiments sensibilisiert.
"Wieso verplemperst du deine Zeit bei Parsons Valentine?"
An den unscharfen Rändern des juristischen Hintergrundrauschens geht es auch um die großen Fragen der so genannten Gen Y, auch Generation "Why". Gemeint ist die Generation derer, die zwischen 1980 und den späten 1990er Jahren geboren wurden. Sie ist anspruchsvoll, hinterfragt tradierte Strukturen ("why") und priorisiert eine ausgewogene Work-Life-Balance vor beruflichem Erfolg.
Auf dem "Partner Track" wird sie repräsentiert von Justin, einem Praktikanten, der seine Mentorin Rachel mit unbequemen Fragen konfrontiert: "Warum bist du Anwältin, Rachel? Anwältin sein kotzt dich an, also wieso verplemperst du deine Zeit bei Parsons Valentine […]?". Kleiner Spoiler: Mögliche Antworten müssen wir uns selbst herleiten.
Was von "Partner Track" bleibt, passt auf ein Post-it
Nach zehn Folgen "Partner Track" bleibt nicht viel, wohl aber Frust: über ein nur allzu oft im Versuch stecken gebliebenes Serienerlebnis; über die auf einer nach oben und unten offenen Skala von "trivialkulturell" und "pseudo-intellektuell" einzuordnenden "Denkanstöße".
Einzig die Worte von Nick Larron hallen in meinem Kopf noch ein wenig nach: "Das Leben ist kurz und wir haben nur einen Versuch. Man muss alles Gute schätzen, wenn man es hat." Geistesabwesend schreibe ich sie auf einen Klebezettel und hefte ihn in meinem Büro an die Pinnwand. Alles, was vom "Partner Track" bleibt, ist ein Kalenderspruch auf einem Post-it.
Die Autorin Dipl. Jur. Katharina Reisch ist Doktorandin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Kriminologie und Rechtssoziologie an der Universität Leipzig bei Prof. Dr. Katrin Höffler.
Netflix-Serie "Partner Track": . In: Legal Tribune Online, 15.10.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49890 (abgerufen am: 03.12.2024 )
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