Neue Dissertationen: Frische Leistungen von Doktoranden aus deutschen Landen

von Martin Rath

13.05.2012

Der tiefe Fall eines Bayreuther Doktors der Rechte hat der "Konfirmation des Geistes" im vergangenen Jahr einen schweren Rufschaden zugefügt. Weitere wissenschaftliche Minderleister, vor allem aus der Politik, beschädigen den Doktorgrad weiter. Daher soll von neuen und seriösen Arbeiten berichtet werden: ein wenig Wiedergutmachung. Eine Sammelrezension von Martin Rath.

Wenn sich Biologen nicht für philosophische Arbeiten zur Priorität von Huhn und Ei interessieren oder Atomphysiker lieber an der nächsten Höllenmaschine schrauben als theologische Bibelkommentare zur Apokalypse zu studieren (und umgekehrt), zeigt das die Grenzen der akademischen Fächer und führt zu gelegentlichen Ausflügen in die Interdisziplinarität – irgendeine evangelische Akademie wird sich schon finden, Vertreter aller Fächer zu zwanglosem, aber spätestens prüfungstechnisch irrelevantem Meinungsaustausch zusammenzuführen.

Nichts beweist bekanntlich die Überlegenheit der Rechtswissenschaft über alle anderen akademischen Fächer besser, als der Umstand, dass sie schon innerhalb der eigenen Fakultät interdisziplinär ist: Gesellschaftsrechtler züchten die Hühner, Arbeitsrechtler verteilen die Eier. Jede juristische Fakultät bebrütet viele kleine Fächer. Kommen sie zu selten in Kontakt, darf man dankbar sein, wenn ihre Perspektiven wieder zusammengeführt werden.

Strafrechtsschutz in Europa – quasi interdisziplinär

Einen interdisziplinären Ansatz innerhalb der juristischen Fakultät verfolgt Michael Schiwek in seiner Doktorarbeit über "Die zentralen und dezentralen Rechtsschutzmöglichkeiten des Einzelnen gegenüber Normen des Europäischen Strafrechts" (bibliografische Angaben unten). Der Untersuchungsgegenstand hat von den hier vorgestellten Dissertationen vielleicht die größte Zukunft, denn Schiwek hält eingangs fest, dass mit dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), die Möglichkeiten der europäischen Politik erweitert wurden, materielles Strafrecht in die Gesetzblätter der Mitgliedsstaaten zu bringen. Artikel 83 AEUV benennt mit "Terrorismus" oder "organisierter Kriminalität" Materien, die für sich genommen schon hinreichend dehnbar sind. Zudem ist die Erweiterung des Katalogs vorgesehen. Auch gibt Artikel 325 der Union Kompetenzen, sich selbst gegen "Betrügereien" zu wehren.

Schiwek stellt an dieser Schnittstelle zwischen Europa- und Strafrecht dar, welche Rechtschutzlücken bestehen. Sie bestehen namentlich aufgrund der Zurückhaltung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) bei der Prüfung von Sekundärrechtsnormen des Europarechts. Im Fall des Geldwäscheverbots nach § 261 Abs. 2 Strafgesetzbuch (StGB) sei eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Betracht gekommen.

Angesichts der Anfälligkeit des Strafrechts für symbolische Politik dürfte ihre Kompetenzerweiterung den Eurokraten noch viel Freude bereiten. Gut, dass hier bereits eine Doktorarbeit vorliegt, die den Anspruch hat, weniger die Dogmatik als die Auswirkungen für die Bürger zu thematisieren.

Landesbanken: Kein Heil, nirgendwo?

Der Gegenstand von Philipp Goys Dissertation scheint mehr Vergangenheit als Zukunft zu haben, jedenfalls möchte man es nach der Lektüre seiner Arbeit "Die Kontrolle der Landesbanken" fast hoffen. Daran, dass privatrechtlich organisierte Banken in großem Umfang Vermögenswerte vernichten, erinnert dieser Tage das US-Institut JP Morgan mit der Benchmark "2 Milliarden Dollar". Goy zeichnet im ruhigen Tonfall der juristischen Arbeit himmelschreienden Skandalgeschichten der großen öffentlich-rechtlichen Institute nach, von der fortgesetzten Selbstzerstörung der WestLB bis zu den Kreditvernichtungsaktionen des bayerischen Schwesterinstituts.

Was die Einflussmöglichkeiten der Landtage oder die Kontrolle der Rechnungshöfe angeht, gibt Goy ein düsteres Bild. Er fordert die Besetzung der Aufsichtsgremien durch externen Sachverstand. Die Dissertation wirft ein Blitzlicht auf die aktuelle Lage des Teils der öffentlichen Kreditwirtschaft in Deutschland, der gründlich Schiffbruch erlitten hat. Das ist verdienstvoll und Goy ist beizupflichten, wenn er beklagt, dass die Rolle der Landesbanken nur öffentlich diskutiert werde, wenn es zu Skandalen gekommen sei.

800 Jahre Rechtsgeschichte bis zum Riss in der Hauswand

Eine wirklich schöne Dissertation hat Jennifer Lynn Konrad vorgelegt, die ihre Leser zumindest in Nordrhein-Westfalen und im Saarland finden wird, den klassischen Bergbauregionen. "Das Bergschadensrecht im System der verschuldensabhängigen Haftung" dokumentiert, wie schon unter Kaiser Barbarossa (gest. 1190) das Recht des Bergbaus sich als eigenständige Materie entwickelte, nach Maßgabe des preußischen Allgemeinen Landrechts modernisiert wurde und in der Rechtsprechung des Preußischen Obertribunals während der 1830er-Jahre Formen annahm, die noch im Bundesberggesetz (BBergG) von 1982 fortgeschrieben werden. Dass heute zwei, gesetzlich einander nicht ganz glücklich zugeordnete Normierungen zitiert werden, um die vor allem im Ruhrgebiet und im Saarland unübersehbaren Schäden des Bergbaus zu regulieren, rührt dort her: Das Bergschadensrecht ist nach Konrad dogmatisch als Gefährdungshaftung ausgestaltet, daneben kann aber das Nachbarrecht, § 906 BGB in Betracht kommen.

Konrad schlägt de lege ferrenda eine bessere Abgrenzungen von BBergG und BGB vor, räumt aber ein, dass Häuslebauer in den betroffenen Regionen wohl keinen voll befriedigenden Ausgleich der "faktischen Brutalität" der Bergbaufolgen erwarten dürften.

700 Jahre vom pestgefährdeten Hausherrn zum Arbeitskampfrecht

Dass ein Gesetz aus der Zeit von König Edward III. (gest. 1377) im 19. Jahrhundert von englischen Richtern herangezogen wurde, um die Gewerkschaften in Schach zu halten, wäre nur eine der berüchtigten juristischen Kuriositäten, würde sie nicht illustrieren, was Alice Trabant in ihrer Dissertation über "Die Rechtmäßigkeit des Unterstützungsstreiks in Deutschland im Rechtsvergleich mit Großbritannien" herausarbeitet. 1852 machten die Richter einen Unternehmer unter Bezugnahme  auf das Gesetz von 1351 haftbar, der eine Schauspielerin zum Bruch ihres Vertrages mit einem Konkurrenten verleitet hatte. Der Schutz des Arbeitsverhältnisses gegen Dritte, einmal in der Welt, sollte sich auch gegen Streikaufrufe britischer Gewerkschaften geltend machen lassen. Alice Trabant beschreibt die britische Entwicklung des Arbeitskampfrechtes als ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen einer mitunter freigebigen Gesetzgebung und einer konservativen, mitunter geradezu reaktionären Richterschaft. Unterstützungsstreiks kann die britische Rechtsordnung wenig abgewinnen –  angesichts grundsätzlicher Rechtswidrigkeit von Streiks überhaupt.

Die in Deutschland oft beklagte Gesetzlosigkeit des Arbeitsrechts, insbesondere des Arbeitskampfrechtes nimmt sich für Trabant dagegen fast harmlos aus. Die viel beklagte Kehrtwende des Bundesarbeitsgerichts im Jahr 2007 wird, was Unterstützungsstreiks betrifft, von ihr rechtshistorisch relativiert.

Edward III. ging es übrigens darum, die Herren in seinen pestverseuchten Landen vor der Flucht ihrer knapp werdenden Dienerschaft zu schützen. Vielleicht sollten sich konservative deutsche Arbeitsrechtler mit dem Dienstrecht unter Kaiser Barbarossa befassen. Demografie ist ja fast wie Pest.

Soldatentestament der Legionäre

Eine selten gewordene Art juristischer Dissertation legt Johannes Meyer-Hermann mit "Testamentum militis – das römische Recht des Soldatentestaments" vor. Die alten Römer waren grundsätzlich, was Form und Inhalt von Testamenten betraf, einigermaßen zwanghaft: Es wurden ganz bestimmte Wortformeln vorgeschrieben, es waren wohl mehr magische Vorstellungen und das anwaltliche Kostennotenbedürfnis, die den Testamentsformalismus prägten als ein Formalismus als Freiheitsgarantie.

Für die Soldaten sah, so ermittelt Meyer-Hermann, erstmals Kaiser Augustus weniger strenge Regeln vor, spätere Cäsaren taten es ihm nach. Die jüngere archäologische Forschung behauptet, die römischen Legionäre seien wild durcheinander gekleidet gewesen, wie zufällig zusammengewürfelte Rugby-Mannschaften in einem Dorf der Dritten Welt. Wenn schon das Bild streng uniformierter Legionen aus den Sandalenfilmen ins Wanken geraten ist, verdanken wir Meyer-Hermann immerhin die Erkenntnis, dass es unter den Soldaten zumindest erbrechtlich wohlgeordnet zugegangen ist – gerade weil es weniger formstreng zuging als unter normalen Bürgern.

Und wir notieren das nicht mit Spott oder Ironie. Hier liegt eine, ausweislich des Lebenslaufs, über Jahre hinweg nebenberuflich erstellte Arbeit vor, die rechtshistorische Grundlagen aufdeckt.

Davor dürfte mancher in Demut schweigen, der sich ganz unbürgerlich zu Höherem berufen fühlt.

Bibliographische Angaben

Michael Schiwek: "Die zentralen und dezentralen Rechtsschutzmöglichkeiten des Einzelnen gegenüber Normen des materiellen Europäischen Strafrechts", Diss. Hamburg (2011, Professores Rainer Keller & Florian Jeßberger), Frankfurt u.a. (Verlag Peter Lang) 2012, 302 Seiten

Philipp Goy: 2Die Kontrolle der Landesbanken. Ein Vergleich zwischen WestLB, BayernLB und Helaba", Diss. Köln (2011, Professores Wolfgang Höfling & Stefan Muckel), Hamburg (Verlag Dr. Kovac) 2012, 151 Seiten 

Jennifer Lynn Konrad: "Das Bergschadensrecht im System der verschuldensunabhängigen Haftung", Diss. Köln (2011, Professores Ulrich Ehricke & Jürgen F. Baur), Baden-Baden (Nomos) 2012, 260 Seiten

Alice Trabant: "Solidaritätskampf oder Sozialschlacht? Die Rechtmäßigkeit des Unterstützungsstreiks in Deutschland im Rechtsvergleich mit Großbritannien", Diss. Köln (2011, Professores Christian Rolfs & Ulrich Preis), Berlin (Logos Verlag) 2012, 530 Seiten

Johannes Meyer-Hermann: "Testamentum militis – das römische Recht des Soldatentestaments. Entwicklung von den Anfängen bis zu Justinian", Diss. Köln (2011, Professores Martin Avenarius & Jens Peter Meincke), Aachen (Shaker Verlag) 2012, 218 Seiten

Martin Rath arbeitet in Köln als freier Journalist und Lektor/Korrektor. Zu den Autoren der genannten Arbeiten oder ihren Verlagen bestand kein wirtschaftliches Verhältnis.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Neue Dissertationen: Frische Leistungen von Doktoranden aus deutschen Landen . In: Legal Tribune Online, 13.05.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6183/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

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