Nach Venedig, London und Paris widmet die Autorin Barbara Sternthal nun auch Wien einen Reiseführer speziell für Juristen. Darin erfährt man, wo in Wien Juristen tanzen, wie es zum Sachertortenstreit kam und wie das berühmteste Salzfass der Welt gestohlen wurde. Gegenüber LTO erzählt sie von ihren Recherchen und weshalb sie als Theaterwissenschaftlerin Reiseführer für Juristen schreibt.
LTO: Frau Sternthal, Sie sind promovierte Theaterwissenschaftlerin. Woher rührt Ihre besondere Beziehung zu Jura und wie entstand die Idee, Reiseführer speziell für Juristen zu verfassen?
Sternthal: Meine erste Liebe war Jus-Student und ist heute erfolgreicher Notar. Meine Bücher zum Thema schätzt er sehr! Und das, obwohl ich nicht einmal im Ansatz Juristin bin, den Bereich jedoch gerade in historischen Zusammenhängen ungeheuer interessant finde. Auf die Idee kam ich, als ich ein anderes Buch über Venedig schrieb und mir dachte, da könnte doch etwas Interessantes für Juristen drinnen stecken. Von der Idee bis zur Verwirklichung war mein Kollege Dr. Christopher Dietz ein unschätzbarer und grandioser Begleiter. Wie die Ideen entstehen? Wer kann schon Inspiration beschreiben?
LTO: Welchen Reiz hat Wien für Sie ausgemacht?
Sternthal: Wien ist besonders spannend, da es lange Zeit die Haupt- und Residenzstadt der Habsburger war. Das bedeutet, dass die Geschichte Wiens, auch jene der Verwaltung, der Rechtsprechung etc., eng mit dem Heiligen Römischen Reich zusammenhing und damit mit ganz Europa. Aber natürlich gibt es sie in Wien, die speziellen Plätze, an denen Recht gesprochen wurde und von denen heute kaum noch jemand weiß.
"Juristische Spurensuche in Architektur, Tanz und Torte"
LTO: Können Sie beispielhaft ein paar Sehenswürdigkeiten in Wien nennen, die gerade für Juristen besonders interessant sind?
Sternthal: Gerne. Da gibt es zum Beispiel den Juristenball, ein Fixpunkt innerhalb der Wiener Ballsaison, der jedes Jahr am Faschingssamstag stattfindet und das wahrscheinlich bereits seit dem Wiener Kongress von 1815. Verbürgt ist der Ball auf jeden Fall seit 1875, jenem Jahr, in dem Eduard Strauß - Bruder des Walzerkönigs Johann Strauß -, den Walzer "Aus dem Rechtsleben" für eben diesen Ball komponierte.
Auch die beiden Institutionen im "Wiener Mehlspeishimmel", das Café Sacher und der Demel, sind für Juristen (natürlich nicht nur für diese!) interessant; der Grund liegt in einem langjährigen Rechtsstreit, der um die "echte" Sachertorte geführt wurde. Die heiteren Hintergründe dafür sind detailliert im Buch nachzulesen.
In architektonischer Hinsicht gibt es eine Reihe von Sehenswürdigkeiten mit juristischer Bedeutung. In einem der schönsten Barockpalais der Stadt, der ehemaligen Böhmischen Hofkanzlei, hat heute der Österreichische Verwaltungsgerichtshof seinen Sitz. Der Justizpalast ist ein hervorragendes Beispiel der Wiener Gründerzeit, des historistischen Ringstraßenstils also, aber auch ein Schauplatz dramatischer historischer Ereignisse. Das von Adolf Loos entworfene Portal einer juristischen Fachbuchhandlung in der Innenstadt schließlich ist eine architektonische Kostbarkeit der Moderne aus dem frühen 20. Jahrhundert. Und das sind nur ein paar Beispiele für die gleichermaßen anregenden wie schönen Streifzüge durch Wien.
LTO: Aber nicht alles, was sich im Recht abspielt, überdauert als Bauwerk oder Ball die Jahrhunderte…
Sternthal: Das stimmt natürlich, weshalb es wie immer auch Biografien berühmter Persönlichkeiten sowie Anekdoten und Hintergründe im Buch gibt. Beispielsweise über das gesetzlich verordnete Holzsparen in der Ära des Reformkaisers Joseph II., das den bei den Wienern höchst unbeliebten Sparsarg zeitige - der Grund dafür, warum wir das Grab Wolfgang Amadeus Mozarts nicht kennen. Über Maria Theresias Keuschheitskommission, über die sich Giacomo Casanova in seiner Autobiografie bitterlich beschwerte. Oder über einen falschen Grafen mit kriminellen Energien, dessen Verbrechen zu einem Skandal führten, in den auch der Dichter Ferdinand Raimund verwickelt war. Und last but not least die Geschichte der Saliera, des berühmtesten Salzfasses der Welt, das einer raubte, der erst aus den folgenden Zeitungsberichten erfuhr, was er da eigentlich unter seinem Bett versteckte ...
2/2: "Reiseführer könnten gut und gerne doppelt so dick sein"
LTO: Wie gehen Sie bei der Recherche für Ihre Reiseführer vor?
Sternthal: Für Venedig, London und Paris habe ich jeweils insgesamt rund einen Monat in diesen Städten verbracht. Der Grund ist nicht allein die Recherche, sondern auch die von Ort zu Ort unterschiedliche Atmosphäre, die der "Musik" des Buches, wie ich denke, gut tut. In diese Städte reise ich intensiv vorbereitet und mit einem elastischen, aber im Prinzip mit dem Verlag vereinbarten Buchkonzept. Ich schreibe in den Städten nicht nur, sondern nehme mir Zeit, bestimmte, für das Buch relevante Stadtteile zu erkunden, zu erleben, zu erwandern. Meistens entdecke ich dann Neues, etwas, das ich noch nicht wusste, das es aber wert ist, es genauer zu betrachten. Von vielen Plätzen, Häusern und Gassen mache ich Schnappschüsse, die ich mit Notizen versehe. Sie bieten mir oft die Basis, um weiter zu recherchieren und Details herauszuarbeiten.
Interviews und Gespräche führe ich, wo sie mir notwendig erscheinen. Und manchmal, wenn sie sich ergeben. Zum Beispiel in London, wo ich sehr viel Zeit im wunderschönen Innenhof des Inner Temple verbrachte und mit einem Barrister auf Mittagspause ins Gespräch kam. Er hat mir ein paar Details zum englischen Rechtssystem auseinandergesetzt (und ein paar "ridiculous rules" der Inns of Court), die mir bis dahin unbekannt waren. Oder in Paris, wo in einem der schönen Hotels im Marais eine Ausstellung mit Notariatsakten aus fünf Jahrhunderten stattfand, wo im Ausstellungstitel mit Recht behauptet wurde, hier würden juristische Exponate gezeigt, die Geschichte schrieben (unter anderem war die Hochzeitsurkunde Napoleon Bonapartes mit Joséphine Beauharnais von 1796 zu sehen). Da versuche ich dann sehr spontan mit einem Ausstellungskurator zu sprechen und noch ein paar weitere und tiefergehende Informationen zu bekommen. Meistens ist man sehr freundlich zu mir und "füttert" mich mit so vielen Fakten, dass die Juristen-Reiseführer gut und gerne auch den doppelten Umfang bekommen könnten.
"Berlin wäre eine Herausforderung"
LTO: Welches Feedback haben Sie von der Zielgruppe Ihrer juristischen Reiseführer bislang bekommen?
Sternthal: Positives Feedback gab es mehrfach und hat mich stets sehr gefreut. Glücklich bin ich immer, wenn "mein" Verlag zufrieden ist, was im Vorjahr durch einen sehr schönen Preis, den man mir überreichte, ausgedrückt wurde.
LTO: Welchen Metropolen wollen Sie sich außerdem noch widmen?
Sternthal: Ach Gott, es gibt so viele interessante Orte! Rom beispielsweise. Berlin wäre eine großartige Aufgabe. Istanbul als Kreuzungspunkt unterschiedlichster Kulturen oder Athen, das ich sehr spannend fände. Zur Zeit bin ich im Cilento, also noch ein Stück südlich Neapels. Kein Thema für einen Juristen-Reiseführer, wohl aber eines für allerlei andere Bücher, die ich ja ebenfalls schreibe.
LTO: Frau Dr. Sternthal, wir danken für das Gespräch!
Dr. Barabara Sternthal ist Theaterwissenschaftlerin und Autorin der Reiseführer für Juristen für die Städte Venedig, London, Paris und Wien sowie zahlreicher weiterer Werke.
Der Wien-Führer für Juristen "Habsburg, Hofrat, Heuriger" erscheint im Oktober beim C.H. Beck Verlag.
Das Interview führte Constantin Körner.
Constantin Körner, Wien-Reiseführer für Juristen: "Habsburg, Hofrat, Heuriger" . In: Legal Tribune Online, 05.10.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9738/ (abgerufen am: 28.03.2024 )
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