Die Reichsfluchtsteuer: Eine Bitte an die Politik

von Martin Rath

21.07.2013

Mit dem "Gesetz zur Aufhebung überholter steuerrechtlicher Vorschriften" wurde 1953 die sogenannte Reichsfluchtsteuer beseitigt. Schon in der Weimarer Republik geschaffen, diente sie seit 1933 dazu, Flüchtlinge und Emigrationswillige von Staats wegen auszurauben. Ein anstößiges Kapitel in der Geschichte der Kapitalflucht verbunden mit einer Bitte an die Politik von Martin Rath.

Im Juli 1918, kurz bevor Kaiser Wilhelm II. selbst die Flucht in die Niederlande antrat, erließ seine Majestät noch ein Gesetz gegen Steuerflucht – die Finanzlast der Kriegswirtschaft machte sie attraktiv. Die Weimarer Nationalversammlung verschärfte das Gesetz am 24. Juni 1919 (RGBl I, S. 583): Bei Verdacht, dass "Vermögenswerte des Steuerpflichtigen dem inländischen Steuerzugriff entzogen werden sollen", konnte das Finanzamt nun "Sicherheitsleistung" in Höhe von 50 Prozent des Vermögens verlangen.

Nachdem diese kriegswirtschaftlich bedingten Steuergesetze ausgelaufen waren, erließ Reichspräsident Hindenburg per Notverordnung vom 8. Dezember 1931 erneut eine "Reichsfluchtsteuer". Diese Steuer, die in den Jahren des NS-Regimes mit dazu diente, Flüchtlinge aus Deutschland wirtschaftlich auszubeuten, war also keine Erfindung der Diktatur.

In ihrem Werk zu "Bürokratie und Verbrechen" hält Christiane Kuller, Professorin für Zeitgeschichte in Berlin, fest, dass die Reichsfluchtsteuer in der Bevölkerung sowie unter Finanzexperten Zuspruch erfuhr – anders als die zeitgleich in Kraft gesetzten Belastungen von Lohnempfängern und der Beamtenschaft.

Vermögensabgabe von 25 Prozent, im Zweifel Zuchthaus

Die zunächst bis zum 31. Dezember 1932 befristete Reichsfluchtsteuer, später bis Ende 1934 verlängert und dann in einem bizarren Gesetzgebungsprozess unbefristet gestellt, belastete das Vermögen von Steuerpflichtigen, die Deutschland verließen, mit einer einmaligen Zahlung von 25 Prozent. Herangezogen wurden zunächst Vermögen ab einer Größe von 200.000 Reichsmark beziehungsweise von Steuerpflichtigen, die über ein jährliches Einkommen in dieser Höhe verfügten.

Die Abgabe dramatisch als "Reichsfluchtsteuer" zu bezeichnen, statt neutral als "Auswanderungssteuer", war nach Kuller System, denn die Steuer hatte auch symbolische Funktion: "Sie sollte zum einen abschreckend auf vermögende Personen wirken, die ihr Geld ins Ausland bringen und damit dem deutschen Fiskus dauerhaft entziehen […]." Zum anderen sollte sie – angesichts der Reparationspflichten aus dem Versailler Vertrag – zeigen, dass das hochverschuldete Deutsche Reich alle Mittel zur Haushaltskonsolidierung ergriff.

Die Strafandrohungen waren nicht zimperlich: Es drohten Gefängnisstrafen nicht unter drei Monaten, in schweren Fällen Zuchthaus bis zu zehn Jahren, Vermögensbeschlagnahme, Geldstrafen in unbegrenzter Höhe.

Weiterentwicklung zu einem antisemitischen Instrument

Eingeführt wurden des Weiteren 1931 "Steuersteckbriefe", die zur Inhaftierung von Reichfluchtsteuerflüchtigen führen sollten, sobald man ihrer habhaft wurde. Ebenfalls erwogen wurde die Einführung von Sondergerichten, die neben der Reichsfluchtsteuerflucht Straßenkrawalle und Terrorakte bearbeiten sollten.

In der NS-Zeit entwickelte die Finanzverwaltung die Reichsfluchtsteuer nach und nach zu einem Instrument eines antisemitischen Steuerrechts aus. Weil das rassistische Regime nun auch Bezieher kleinerer Einkommen und Inhaber kleinerer Vermögen in die Emigration trieb, wurden die Tarife angepasst: 1934 wurde die Freigrenze für Vermögen von 200.000 auf 50.000 Reichsmark gesenkt. Zu zahlen war die Steuer auch, wenn der Emigrant zurückkehren sollte.

Bald wurden Schenkungen herausgerechnet, mit denen insbesondere jüdische Eltern ihre zuvor ausgewanderten Kinder bedacht hatten. Neben immensen Sicherheitsleistungen, die beim Verdacht auf Auswanderungswilligkeit gefordert wurden, war dies für ältere Emigrationswillige in den späten 1930er-Jahren ein Grund mehr, nicht rechtzeitig vor dem mörderischen Staat fliehen zu können.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Die Reichsfluchtsteuer: Eine Bitte an die Politik . In: Legal Tribune Online, 21.07.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9180/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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