Ob die Pferdeliebhaber die Gleichberechtigung von Klepper und Kläffer verlangen sollten? Aus gegebenem Anlass galoppiert Martin Rath durch die Geschichte des Pferdefleischrechts. Und muss am Ende Bundeskanzler Kohl dafür loben, dass seine Regierung einen Rechtszustand hergestellt hat, der dem Propheten Mose noch selbstverständlich war.
Über dem Pferd als Gegenstand des Lebensmittelrechts liegt ein rechtshistorischer Schatten. Auskünfte von Historikern des 19. Jahrhunderts sind gerne von einiger Phantasie kontaminiert. So schoben katholische und evangelische Geschichtskundige beispielsweise der jeweils anderen Konfession die Verantwortung für die Hexenverfolgung zu. Ganz frei davon ist die Geschichte vom Pferd auch nicht. Es findet sich viel historische Kolportage.
Daher kommt man kaum schlüssig zu einer Antwort auf die Frage, warum hierzulande vergleichsweise wenig Pferdefleisch verzehrt wird. Fragt man nach dem normativen Einschlag, vergaloppiert man sich leicht.
Pferdebraten mit heidnischem Geruch
Zur Erklärung wird ungefähr diese lustige Geschichte kolportiert.
Als der heilige Bonifatius im 7. Jahrhundert durchs noch nicht so genannte Deutschland zog, um die Germanen von den Bäumen zu schütteln, auf denen diese seinerzeit wohnten, auf dass sie brave Katholiken würden, da hatte der Missionar auch die dienstliche Weisung des Papstes im Gepäck, den hiesigen Heiden nebst ihren Göttern auch das Pferdefleischessen auszutreiben.
Bis dahin sollen die Germanen (wie auch die benachbarten Slawen, eigentlich eine Mischpoche) keine Speisegesetze gekannt haben. Sie aßen alles, was nicht bei drei auf den Bäumen war, und reservierten ihren Göttern das Pferd als Opfertier. "Reservierung" ist weit auszulegen: Traditionell war man gut zu sich selbst, ein Stück Pferdebraten blieb für den Menschen vermutlich übrig, sobald der Opferhunger der Götter gestillt war.
Auch wenn frühere Historiker gern so taten, als seien sie dabei gewesen, weiß man das alles nicht so genau. Festhalten darf man wohl, dass über dem Pferdebraten ein heidnischer Geruch hing, gegen den die römische Kirche – als eine der älteren Rechtsquellen in unseren geographischen Breiten – jüdisch-christliche Speisegesetze in Front gebracht haben soll.
Unklarheit zwischen Karl dem Großen und Wilhelm II.
Archäologische Knochenfunde lassen Schlüsse auf Wirtschaftsgeschichte zu. Was flächendeckend getan wurde, war wohl auch legal. Sicher ist man aber nicht: In ihrer tiermedizinischen Dissertation "Die Entwicklung der Pferdeschlachtung und des Pferdefleischkonsums in Deutschland unter Berücksichtigung der gesetzlichen Änderungen" (München 2006) gibt Agnes Ulrike Gudehus an, dass in vorchristlicher Zeit beispielsweise in der Gegend des heutigen Bremerhavens rund "30 Prozent der Pferde zweijährig und jünger zu Ernährungszwecken getötet" worden seien.
Zur Unterdrückung des heidnischen Opferbetriebes – das Pferdefilet für den Ofen, die Knochen vom Gaul den Göttern – habe unter anderem Papst Gregor III. (im Amt 731-741 n. Chr.) eine der ersten, wenn nicht überhaupt die erste lebensmittelrechtliche Norm deutscher Lande erlassen: Pferdefleisch soll nicht gegessen werden. Der wohl aus Syrien stammende Bischof von Rom mag dafür seine normative Stütze im Mosaischen Gesetz gefunden haben. Aus 3. Mose 11 und 5. Mose 14 (m.w.N.) folgen bis heute die elaborierten jüdischen Speisegebote. Pferdefleisch ist nicht koscher, weil es unter 3. Mose 11 zu subsumieren ist: "Darum alles Tier, das Klauen hat und spaltet sie nicht und wiederkäuet nicht, das soll euch unrein sein; wer es anrühret, wird unrein sein."
Dass sich aus dem päpstlichen Norm-Import aus dem tiefen Orient ins heidnische Germanien eine jahrhundertelange Abscheu vor dem Pferdefleischkonsum ergeben haben soll, das sieht nach einer frommen Legende aus. Schließlich erklärte schon das frühe Christentum, Generationen vor Papst Gregor, die jüdischen Speisegebote für nichtig, ja sogar ketzerisch.
Plausibler scheint die "materialistische" Erklärung: Alle großen Städte des Mittelalters waren nah ans Wasser gebaut. Dem Hausgesinde wurde deshalb vielerorts Lachs aus der Flussfischerei vorgesetzt, bis es keinen Fisch mehr sehen konnte. Für Proteinversorgung war jedenfalls gesorgt. Zähes Pferdefleisch, die Tiere wurden ja in erster Linie für lebenslanges Arbeiten gehalten, dürfte eher nicht die Alternative der Wahl gewesen sein.
Auf dem flachen Land wird der Ritter die Vorfahren des heutigen Polizeipferdes, also diese Machtdemonstration aus großem Tier und bewaffnetem Reiter, weder dem Bauern zum Fraß gegeben noch selbst gegessen haben. Der Adel pflegte Wild zu jagen.
2/2: Justizvollzugsbeamte schuld an fehlender Popularität?
Für Kriegs- und Notzeiten des Mittelalters- und der frühen Neuzeit ist Pferdefleischverzehr überliefert. Für die Frage nach dem normativen Einschlag der Geschichte bietet diese Erkenntnis aber wenig: Not kennt kein Gebot und der Teufel frisst Fliegen. Unklar, von welcher Norm die Not abwich.
In den Städten unterlag das Fleischereigewerbe dem Zunftzwang. In erster Linie begutachteten die Fleischer-Zünfte das Schlachtvieh unter ökonomischen Aspekten. Die Preise wurden von den Zünften taxiert, auf die Gesundheit der Tiere nebenbei mit geachtet. Kranke und abgewirtschaftete Arbeitstiere, namentlich Pferde, waren hingegen Wirtschaftsgut für den kommunalen Justizvollzugsbeamten, den Henker, und sein soziales Umfeld – allesamt Menschen, denen der ehrliche Bürger nicht die Hand gab: neben dem Justizbediensteten also Abdecker und Schinder.
Als aber beispielsweise der preußische Staat im 19. Jahrhundert die zünftige Wirtschaftsordnung durch die moderne Gewerbefreiheit abzulösen unternahm, stieß die neue Ordnung vielerorts auf lokale Rechte zur Tierkörperverwertung in den Händen dieses sinistren Völkchens. Sie waren oft als Realgewerberechte konstruiert, möglicherweise dinglich gesichert.
Ähnliche Realgewerberechte waren beispielsweise für Apotheker vorgesehen. Derlei Rechte halten sich bekanntlich zäh. Gudehus nennt etwa einen preußischen Erlass von 1927, der vorsah, dass die "Einnahmen aus der Schlachtung eines Pferdes lediglich dann vollständig dem Besitzer zugingen, wenn es sich um ein gesundes oder heilbares Tier handelte. Bei arbeitsunfähigen oder unheilbar kranken Pferden hatte der Abdecker Anspruch auf den halben Schlachtwert".
Greifbar war der Erlass für den vorliegenden Text leider nicht, festhalten darf man daher nur so viel: Anders als das sonstige Schlachtvieh unterlag das Pferd regelmäßig nicht dem Recht der Zünfte. Einerseits wurde der Preis für Pferdefleisch deshalb nicht festgesetzt, andererseits fehlte auch die rudimentäre Gesundheitsprüfung. Den schlechten Ruf hatte das Pferdefleisch aber vermutlich auch deshalb, weil es gelegentlich die Tochter eines Henkers oder die Frau des Abdeckers gewesen sein dürfte, die das Stück Filet vom Gaul über die Ladentheke reichte.
Rechtliche Ordnung des Pferdefleischs seit Wilhelm II.
Eine Norm, die noch heute geschichtsbewusste Juristinnen, sarkasmusbegabte Juristen zitieren können, wenn sie auf der Straße auf etwas feuchter, glitschiger, jedenfalls übelriechender Materie ausgerutscht sind, verordneten "Wir Wilhelm von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen etc." mit dem Gesetz vom 3. Juni 1900, § 1 Abs. 1 Satz 1: "Rindvieh, Schweine, Schafe, Ziegen, Pferde und Hunde, deren Fleisch zum Genusse für Menschen verwendet werden soll, unterliegen vor und nach der Schlachtung einer amtlichen Untersuchung."
Das "Gesetz, betreffend die Schlachtvieh- und Fleischbeschau" (RGBl. S. 547-555) regelte nicht allein die gesundheitspolizeilichen Kontrollen vor und nach Schlachtung eines Tieres, auch um Fragen der Fleischvermarktung sorgte sich der Reichsgesetzgeber erstmals ausführlich. Die Einfuhr ausländischer Fleischkonserven war beispielsweise verboten. Bei den für die Wurstherstellung wichtigen Därmen machte man bei den Importrestriktionen hingegen damals schon eine Ausnahme.
Für die Vermarktung wurden mehrfache räumliche Trennungen vorgegeben. Taugliches und nur bedingt taugliches Fleisch waren in getrennten Räumen zu verkaufen. Bei letzterem, dem sogenannten Freibankfleisch, duldete die Justiz keine Unklarheiten: Allein die gemeinsame Aufbewahrung von gewöhnlichem und Freibankfleisch in einem Kühlschrank zog noch 1958 eine strafrechtliche Verurteilung wegen "Feilbietens" nach sich (BGH, Urt. v. 4.9.1958, Az. 1 StR 343/58).
Methodische und räumliche Abgrenzungen sah § 18 des Fleischbeschaugesetzes vor. So war die Fleischbeschau bei Pferden stets von einem approbierten Tierarzt vorzunehmen, für das gängige Vieh waren auch amtlich bestellte Nichtveterinärmediziner zugelassen. Damit baute der Gesetzgeber des Jahres 1900 dem lokalen Klüngel vor, der um die fortbestehenden Realgewerberechte des Schlachtereiwesens existierte. Pferde waren ja noch bis in die 1950er-Jahre verbreitet wie Pkw und Traktor heute, der approbierte Tierarzt sollte zumindest bei der finalen Verwertung Obacht geben.
Ähnlich wie für minderwertiges Fleisch anderer Tiere war auch für hochwertiges Pferdefleisch der räumlich getrennte Verkauf vorgeschrieben: "Fleischhändler dürfen Pferdefleisch nicht in Räumen feilhalten oder verkaufen, in welchen Fleisch von anderen Thieren feilgehalten oder verkauft wird."
Fleischhändler, Saft-, Schank- und Speisewirte hatten verbraucherschützende Standards zu wahren: "In den Geschäftsräumen dieser Personen muß an einer in die Augen fallenden Stelle durch deutlichen Anschlag besonders kenntlich gemacht werden, daß Pferdefleisch zum Vertrieb oder zur Verwendung kommt."
Was Helmut Kohl mit dem Propheten Mose verbindet
Besonders gut ist den Legislativorganen seiner Majestät Kaiser Wilhelms der fünfte Absatz der Norm geraten: "Der Bundesrath ist ermächtigt, anzuordnen, daß die vorstehenden Vorschriften auf Esel, Maulesel, Hunde und sonstige, seltener zur Schlachtung gelangende Thiere entsprechende Anwendung finden."
Seit dem 3. Juni 1900 stand sie also im Gesetz, die wunderbare Normenkette, nach der im Bedarfsfall Geschäftsräume mit dem schönen Schild "Hundemetzgerei" hätten versehen werden müssen.
Doch geschah es zur Zeit der zweiten Regierung Kohl, dass ins Bundesgesetzblatt eine Vorschrift aufgenommen wurde, die da lautete: "Fleisch von Hunden, Katzen, anderen hundeartigen und katzenartigen Tieren (Caniden und Feliden) sowie von Affen darf zum Genuss für Menschen nicht gewonnen werden." (Gesetz v. 13.4.1986, BGBl. I S. 398).
Selbst wenn es der parlamentarischen Mehrheit unter der Regierung des großen Kanzlers nicht gelang, auch Viehzeug wie "Bären, Füchse, Sumpfbiber, Dachse" vom Speisezettel zu streichen – für Hund, Katze, Affe schloss Helmut Kohl gleichsam zum Propheten Mose auf.
An der Gleichberechtigung von Gaul und Kläffer müssen künftige Generationen wohl noch arbeiten. Fragt sich nur, welche Richtung man dabei vorzieht: In den Topf hinein, aus dem Topf heraus.
Martin Rath, Rechtshistorisches zum Pferdebraten: Nur für Waldi und Cheetah ging der Ofen aus . In: Legal Tribune Online, 24.02.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8213/ (abgerufen am: 23.09.2023 )
Infos zum Zitiervorschlag