Auch den okkultesten Fragen kann man sich mit Ernst und Wissenschaftlichkeit widmen, wie frühere Schriften gelehrter Juristen eindrucksvoll belegen. Mit Sorgfalt wird dort etwa diskutiert, ob ein von Geistern befallenes Haus zum Rücktritt berechtigt, und ob gespenstische Heimsuchungen der Ehefrau einen Scheidungsgrund darstellen. Martin Rath führt durch die akademische Geisterbahn.
Prüfungsschemata zum Kaufvertragsrecht pauken zu müssen, zählt sicher nicht zu den erfreulichsten Entwicklungsphasen eines Menschen, der zum Juristen heranreifen will. Die Dogmatik ist spröde, die Fälle sind zäh. Dieser Befund ist erstaunlich, denn die Lehrer der ödesten Schuldrechtsprobleme haben seit über 300 Jahren Fallbeispiele zur Hand, mit denen sie die Hörer ihrer Vorlesungen noch aus dem todesähnlichsten Tiefschlaf aufschrecken könnten. Fallbeispiele wie das Folgende.
"Wenn z.B. dem Titius von dem Sempronius ein Haus verkauft und übergeben ist, dasselbe auch schon anfängt bewohnt zu werden, dann aber wiederholt Gespenster in demselben auftreten, so ist die Frage, ob der Titius an den Vertrag gebunden sein soll oder ob er auf völlige Lösung desselben klagen kann. Da diese Frage ziemlich unklar ist, so sind die Fälle gesondert zu betrachten. Wenn das Haus schon vor dem Verkauf von Gespenstern besucht war, der Verkäufer dies aber verschwiegen hat, so zweifle ich nicht, dass auf Lösung des Vertrags geklagt werden kann, sobald in der Tat nach Abschluss des Vertrags die Geister auch dem Käufer und seiner Familie sich zeigen."
Geisterhaus im Kaufmangelrecht
Nicht nur auf die materiell-rechtliche Frage, ob ein Kaufvertrag über ein von Gespenstern heimgesuchtes Haus Bestand verdient, erhalten wir aus einer rechtswissenschaftlichen Dissertation Aufschluss. Das beweisrechtliche Problem wird leichter Hand gleich mitgelöst: "Aber wie soll ein Käufer feststellen, dass ein Haus schon vorher von Gespenstern heimgesucht war und dass dies dem Verkäufer nicht unbekannt gewesen ist?", fragte Andreas Becker, Nachwuchsjurist an der Friedrichs-Universität Halle, um die durchaus nachvollziehbare Antwort zu geben: "Ich gestehe, dass eine solche Feststellung oft sehr schwierig sein wird; aber das bequemste Mittel wird sein, dies dem Gewissen des Verkäufers zu überlassen und die Wahrheit durch Zuschieben des Eides herauszubringen."
Enthalten ist dieses Beispiel, das auch nach den Spielregeln des heutigen Zivilprozessrechts Freude bereiten könnte, in der Dissertation "De Jure Spectrorum, Oder: In wie weit Jemand aus Furcht vor Gespenster sich ein Recht anmassen könne", die am 25. Juni 1700 unter dem Vorsitz des Dekans Johannes Samuel Stryk (1668-1715) verhandelt wurde und 1738 in den Druck ging (Digitalisat lateinisches Original; die Übersetzung von 1913 ist hier orthografisch angepasst).
Gespenster, allenthalben ein Rechtsproblem
Selbstverständlich setzte sich Becker als angehender Jurist auch mit der Frage auseinander, wie es zu beurteilen sei, wenn sich die Gespenster erst später zeigen sollten: "Denn mag auch auf diese Weise dem Verkäufer nichts nachteiliges angerechnet werden können, so will es mir doch nicht einleuchten, weshalb deswegen der Käufer so auffallend geschädigt werden soll. Zumal im Gesetz steht, dass der Grund zur Lösung eines Vertrages nicht immer von der Kenntnis des Verkäufers abhänge. Wenn z.B. ein Verkäufer den innerlichen Fehler eines Pferdes nicht kennt, soll es dann deswegen dem Käufer nicht gestattet sein, von dem Kaufvertrag zurückzutreten? Ich denke, doch wohl."
Nicht allein im Kaufvertragsrecht geisterten im Jahr 1700 die Dämonen umher: "Wenn also nun ein Verlöbnis eingegangen worden ist mit einer Frau, die beständig von Gespenstern heimgesucht wird, so fragt es sich, ob ein solches Verlöbnis gelöst werden kann", diskutiert Becker auch den familienrechtlichen Einfluss des Geister-Lebens: "Es ist nämlich erfahrungsmäßig festgestellt, dass gewisse Personen ohne Unterlass von bösartigen Geistern gequält werden; weshalb allerdings, das zu untersuchen ist nicht unsere Sache. Wer vermöchte auch die göttlichen Ratschläge zu erforschen? Dagegen müssen wir eingehender betrachten: wenn dem Bräutigam oder der Braut etwas derartiges zustoßen sollte, ob dann der andere Teil zum Vollzug der Ehe wider Willen gezwungen werden könne."
Becker verneint dies, befürwortet aber, dass nach der Trauung die Eheleute es solidarisch hinnehmen müssten, wenn ihr Gatte dann erst durch Gespenster heimgesucht wird. Als personenstandsrechtliches Nebenproblem diskutierte Becker auch die hübsche Frage, ob das Auftauchen eines Gespenstes in Gestalt eines verschollenen Ehegatten als Beweis für dessen Versterben dienen könnte, was dem überlebenden Gatten dann eine neue Eheschließung erlaubte.
Kein esoterischer Juristen-Spuk
So komisch das klingt, es wäre falsch, die Gedankengänge zur juristischen Würdigung von Gespenstern als rein esoterischen Ulk an einer Provinzuniversität abzutun. Die Friedrichs-Universität zu Halle galt als Zentrum protestantischer Gelehrsamkeit in Deutschland, Dekan Johannes Samuel Stryk war ein angesehener Jurist, wenn auch nicht ganz so bekannt wie sein Vater und Doktorvater, Samuel Stryk (1640-1710), oder der berühmte, ebenfalls dort lehrende Christian Thomasius (1655-1728), dem wegen seiner "frühaufklärerischen" Lehren das Ende der Hexenverfolgungen in Preußen zugeschrieben wird.
Auch wenn die Dissertation von Andreas Becker Anfang des 20. Jahrhunderts in esoterischen Kreisen dankbar aufgegriffen wurde – im Wilhelminischen Deutschland durchliefen Vegetarismen aller Art, Spiritismus, Anthroposophie und Esoterik ihre ersten großen Konjunkturwellen und ihre Anhänger kämpften mit alten Geister-Studien um Anerkennung – so war doch Beckers Vortrag im Jahr 1700 keine esoterische Übung. Ein Hauch von Ghom, dem theologischen Zentrum des heutigen Iran, lag noch über der akademischen Lehre im protestantischen Halle.
Johannes Samuel Stryk vertrat noch 1702 ein Programm der akademischen Freiheit der Lehre mit dem Gedanken, dass die Menschheit, verkörpert in Adam und Eva, von Satan in den biblischen Sündenfall und damit in geistige Sklaverei geführt worden sei – aus der herauszukommen der menschliche Verstand als Werkzeug dienen könne, aber nur unter höchster Demut und Vorsicht. Allzu weit von orthodoxen protestantischen Dogmen entfernt zu argumentieren, wurde leicht als neue satanische Einflüsterung, ja als Atheismus gebrandmarkt – und Atheismusverdacht führte zwar nicht überall zur physischen, wohl aber zur intellektuellen Vernichtung des Beschuldigten.
Martin Rath, Esoterik im Recht: . In: Legal Tribune Online, 25.05.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12077 (abgerufen am: 12.12.2024 )
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