Seit Jahren umstritten, doch selten vor Gericht: Am 18. Dezember 1917 urteilte das Reichsgericht zu einem Zweikampf, der keinen Toten hatte. Die vor-legale Sozialsphäre der Ehre unter Waffen endete wenig später ohne richterliches Zutun.
Zwei Männer, die aus Gründen der Ehre auf einander schossen oder mit Stichwaffen kämpften, mussten sich dafür nur sehr gelegentlich vor Gericht verantworten – jedenfalls kam ihre Sache selten vor die obersten deutschen Strafrichter, soweit die Herren bei der eigenhändigen Verteidigung ihrer verletzten Gefühle einer staatlich geduldeten Praxis folgten.
Zwar sollten die gesetzlichen Vorschriften zum Zweikampf erst 1969 aus dem Strafgesetzbuch (StGB) getilgt werden, doch neigte sich seine große Zeit mit dem dahinscheidenden Kaiserreich und Adel im Jahr 1918/19 ihrem Ende zu.
Als das Reichsgericht in der Vorweihnachtswoche des Jahres 1917 zu einigen bemerkenswert grundlegenden Auslegungsproblemen des Zweikampfes Auskunft gab, war sich dieses Ende der Duell-Kultur indes noch nicht abzusehen.
Neben wunderbar verstaubten Rechtsnormen erlaubt der Fall (Az. IV 646/17, RGSt 52, 64–65) einen Blick auf eine heute befremdlich anmutende Vorstellungswelt von Männlichkeit und gesellschaftlich tolerierter, wenn auch nicht erwünschter Gewalt.
Zu früh geschossen, nichts passiert?
Am 2. Februar 1916 hatte ein Leutnant der Reserve dem späteren Angeklagten eine Herausforderung zum Zweikampf übermitteln lassen, weil er die Ehre seiner Frau verletzt sah. Dieser nahm die Forderung an.
Für das Duell wurde verabredet, dass in Gesellschaft der Sekundanten und eines Unparteiischen "auf 35 Schritt Entfernung ein einmaliger Kugelwechsel aus gezogenen Pistolen stattfinden sollte". Der Schusswechsel hatte strickt ritualisiert zu erfolgen: Auf Zuruf "eins" hatten die Streitparteien die Waffen nach hinten zu führen, bei "zwei" senkrecht nach oben, auf "drei" nach vorn zu senken und bis zum Aufruf von "vier" abzufeuern.
So traf man denn unter den "Stadtratstannen" bei Weimar zusammen, damals Residenzstadt des Zwergfürstentums Sachsen-Weimar-Eisenach – und traf doch nicht wirklich aufeinander.
Denn dem Reserveoffizier ging die Waffe versehentlich schon bei "zwei" los. Sein Gegner führte das Ritual weiter aus und schoss ebenfalls – allerdings absichtlich – zwischen "drei" und "vier" in die Luft.
Das Landgericht Weimar verurteilte den Gegner des Offiziers wegen Zweikampfs mit tödlichen Waffen, nach § 205 StGB a.F. bedroht mit Festungshaft zwischen drei Monaten und fünf Jahren.
Nach über 40 Jahren unsichere Rechtsfrage
Auch nach 100 Jahren macht die seitens der Verteidigung vorgebrachte Beschwerde gegen die Verurteilung noch Freude. Denn trickreiche Wortspiele zur Abwehr staatlicher Strafansprüche mag doch beinahe jeder:
Das Landgericht Weimar, so die Verteidigung, habe den Rechtsbegriff des Zweikampfes verfehlt. Zu einem Zweikampf müssten "2 Kräfte gegeneinander tätig werden". Da aber der Angeklagte bewusst und willentlich in die Luft geschossen und auch sein Gegner keine Kampfhandlung vorgenommen habe, sei das Duell in einer Vorbereitungshandlung steckengeblieben, sodass eine Verurteilung wegen vollendeten Zweikampfes nicht in Betracht komme.
Damit wäre dann nur eine Verurteilung wegen des Tatbestands der Annahme einer Forderung zum Zweikampf mit tödlichen Waffen möglich gewesen, bedroht nur mit Festungshaft bis zu sechs Monaten, § 201 StGB a.F.
Das Reichsgericht folgte dieser Argumentation, die das Geschehen unter den Weimarer Stadtratstannen sachlich-kühl interpretierte, jedoch nicht.
Als Zweikampf werde vielmehr "ein verabredeter Kampf zweier Personen mit tödlichen Waffen nach vereinbarten oder hergebrachten Regeln" verstanden, bei dem es zur Vollendung des "Kampfes" genüge, "wenn der eine angreift, der andere sich gegen den Angriff verteidigt oder auch nur ihm standhält".
Anders formuliert: "Im Rechtssinn vollendet ist er [der Zweikampf] aber schon, sobald die Beteiligten zum Kampfe angetreten sind und der eine von ihnen mit dem Angriff auf den sich darbietenden Gegner begonnen hat."
Rituelle Bewährungsprobe für Männer
Indem sich das Reichsgericht auf "hergebrachte Regeln" des Zweikampfes berief, um dessen Vollendung zu bestimmen, erkannte es eine normative Ordnung neben bzw. vor dem Rechtsstaat an, deren sozialer Sinn sich in einer unscheinbaren Formulierung versteckte – der vom "sich darbietenden Gegner".
In Sachen Duell herrschte in Deutschland ein bemerkenswerter Doppelstandard. Der gesetzlichen Strafandrohung für die Aufforderung zum Zweikampf sowie ihrer Annahme, für den Kampf selbst und seine Organisation sowie für etwaige Tatfolgen stand die Praxis des Offizierskorps sowie des Bürgertums entgegen.
Im Offizierskorps, das bis zum Zweiten Weltkrieg überproportional mit Männern von Adel bestückt blieb, wurde regelrecht verlangt, dass man sich einer vermuteten Verletzung der Ehre mit der Aufforderung zum Zweikampf "Genugtuung verschaffte".
Indem der Status des Reserveoffiziers im Wilhelminischen Kaiserreich zum Ideal auch des bürgerlichen Mannes wurde, stieg die Zahl derjenigen, die für "satisfaktionsfähig" gehalten wurden – und die sich auch verpflichtet sahen. Wer eine Aufforderung ausschlug oder auch nur eine von seinem sozialen Milieu als Ehrverletzung gesehene Lage nicht nutzte, Befriedigung im Zweikampf zu suchen, wurde regelmäßig gemieden. Offiziere verdarben sich ihre Karriere, sollten sie sich nicht um ihre Ehre schlagen.
Dem Reichsgericht stand, in Form halboffizieller Handbücher, eine Referenz zur Verfügung, um zu definieren, wie ein Duell aussehen sollte.
2/2: Konjunktur des Duells im Kaiserreich
Eine gewisse Konjunktur erfuhr das Duellwesen im Kaiserreich nicht allein wegen der wachsenden Zahl bürgerlicher Offiziere, hinzu kam die starke Präsenz der bewaffneten Studentenschaft.
Noch zur Zeit der Weimarer Republik zählten rund 60 Prozent aller Studenten zu schlagenden Verbindungen. Hier wurde fleißig dem adelig-militärischen Konzept der leicht verletzlichen Ehre nachgeeifert.
Diese Ehre galt als männlich, Frauen blieben gleichsam selbstverständlich ausgeschlossen. Ihre Ehre war als die ihres Vaters, Bruders oder Gatten zu verteidigen. Ob Juden als satisfaktionsfähig galten, blieb davon abhängig, wie antisemitisch das Milieu der bewaffneten Ehrenmänner war. Wer nach den Gründen für die hervorragenden akademischen Leistungen deutscher Studenten jüdischer Konfession in dieser Epoche sucht, wird in der alkohol- und gewaltgeneigten Ehrenkultur ihrer 'christlichen' Kommilitonen einen Grund finden, sich intellektuell statt schlagend hervorzutun.
Ein halbes Jahrhundert Anti-Duell-Kampf
Gegen den Zweikampf wurde bereits im Kaiserreich der Vorwurf erhoben, Ausdruck der Klassengesellschaft zu sein. Dies traf unbesehen zu.
Denn neben der Bereitschaft, unter Offizieren und Akademikern Duelle zu dulden – also nur im Fall des "öffentlichen Skandals" staatlicherseits zu intervenieren – privilegierte auch das Strafgesetz die vor-legale Gewaltkultur.
Abgesehen vom Fall der absichtlichen Duell-Provokation, § 210 StGB a.F., drohten die Zweikampf-Paragraphen (§§ 201–210a StGB) nur mit Festungshaft, also der neben Zuchthaus und Gefängnis vornehmsten Form der Freiheitstrafe im dreigliedrigen Strafsystem. Statt mit Todesstrafe war die absichtliche Tötung im formal korrekten Zweikampf allein mit Festungshaft zwischen drei und 15 Jahren bedroht, § 206 StGB a.F.
Wie der Kampf gegen den Mädchenhandel, für eugenische Familienplanung oder die Alkoholabstinenz war der Kampf gegen das Duell daher eines der großen Themen sozialdemokratischer und linksliberaler Politiker schon im Deutschland des Kaiserreichs.
Ein Männlichkeitskonzept, das verlangte, sich gleichsam zum Opfer "darzubieten", rief zudem katholische Duellkritiker auf den Plan, hierin – wie stets – weniger obrigkeitstreu als der deutsche Protestantismus.
Mit dem Ende der Vorrechte des Adels entsprechend Artikel 109 Abs. 3 Reichsverfassung von 1919 und der durch den Versailler Friedensvertrag auferlegten Reduzierung des Offizierskorps erhielt die rituelle Gewaltkultur nach 1918 einen paradoxen Dämpfer: Einerseits standen nun die duellfeindlichen Kräfte, u.a. Sozialdemokraten und die katholische Zentrumspartei, in Regierungsverantwortung. Andererseits reproduzierte die Reichswehr in der Republik die zu Kaisers Zeiten inoffiziell geführten Duellhandbücher als reguläre Dienstobliegenheit.
Das männliche Waffenstudententum avancierte zudem zur Möglichkeit, sich gegen das Frauenstudium, gegen jüdische Kommilitonen und gegen individualistisch-intellektuelle Leistungsvorstellungen im akademischen Leben in Stellung zu bringen.
Erfahrung totaler Gewalt beendet Ritualkultur
Versuche der republikfreundlichen Kräfte, das Duell zurückzudrängen, blieben erfolglos. Beispielsweise scheiterte 1926 eine Reichstagsmehrheit, die eine Entlassung solcher Reichswehroffiziere verlangt hatte, die wegen Zweikampfes verurteilt wurden, am frisch gewählten Reichspräsidenten Paul von Hindenburg (1847–1934). Das seit seinem zwölften Lebensjahr militärisch dressierte Staatsoberhaupt verweigerte sich wohl aus fundamentalen Ansichten.
Warnte der preußische Ministerpräsident Otto Braun (SPD, 1872–1955) davor, Hindenburg mit dieser Sabotage der Demokratie davonkommen zu lassen, beförderten ausgerechnet die von Hindenburg an die Macht gebrachten Nationalsozialisten das Ende der alten Zweikampfkultur.
Traten sie während der Republik zugunsten ihrer akademischen Gesinnungsfreunde unter den schlagenden deutschen Studenten noch gegen jede Restriktion ein und bekannte sich auch die 1935 neu aufgestellte Wehrmacht zur alten Gewaltkultur, führte der Tod des von ihm geschätzten NS-Journalisten Roland Strunk 1937 zu einer Änderung in der Haltung Hitlers zum Duell. Nunmehr wurde jeder Verlust des "wertvollen Bluts" jedenfalls offiziell als antiquiert behandelt.
Schließlich beseitigte die totale Gewalt des Zweiten Weltkriegs, nicht zuletzt weil sie eine Terror- und Opfererfahrung von Frauen und Männern gleichermaßen bedingte, die Möglichkeit, ein gesondertes männliches Gewaltritual um die Ehre als sinnvoll zu erleben.
Eine jahrhundertealte Gewaltkultur löste sich binnen ein, zwei Generationen vollständig auf. Der Gesetzgeber hatte 1969 nur noch Aufräumarbeit zu leisten.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.
Lesetipp: Ute Frevert, "Ehrenmänner. Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft", München (dtv) 1995.
Martin Rath, Zur Hochkonjunktur des Zweikampfs: Ein Pistolenduell ohne Leichen . In: Legal Tribune Online, 17.12.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26061/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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