Zur Hochkonjunktur des Zweikampfs: Ein Pis­to­len­duell ohne Lei­chen

von Martin Rath

17.12.2017

2/2: Konjunktur des Duells im Kaiserreich

Eine gewisse Konjunktur erfuhr das Duellwesen im Kaiserreich nicht allein wegen der wachsenden Zahl bürgerlicher Offiziere, hinzu kam die starke Präsenz der bewaffneten Studentenschaft.
Noch zur Zeit der Weimarer Republik zählten rund 60 Prozent aller Studenten zu schlagenden Verbindungen. Hier wurde fleißig dem adelig-militärischen Konzept der leicht verletzlichen Ehre nachgeeifert.

Diese Ehre galt als männlich, Frauen blieben gleichsam selbstverständlich ausgeschlossen. Ihre Ehre war als die ihres Vaters, Bruders oder Gatten zu verteidigen. Ob Juden als satisfaktionsfähig galten, blieb davon abhängig, wie antisemitisch das Milieu der bewaffneten Ehrenmänner war. Wer nach den Gründen für die hervorragenden akademischen Leistungen deutscher Studenten jüdischer Konfession in dieser Epoche sucht, wird in der alkohol- und gewaltgeneigten Ehrenkultur ihrer 'christlichen' Kommilitonen einen Grund finden, sich intellektuell statt schlagend hervorzutun.

Ein halbes Jahrhundert Anti-Duell-Kampf

Gegen den Zweikampf wurde bereits im Kaiserreich der Vorwurf erhoben, Ausdruck der Klassengesellschaft zu sein.  Dies traf unbesehen zu.

Denn neben der Bereitschaft, unter Offizieren und Akademikern Duelle zu dulden – also nur im Fall des "öffentlichen Skandals" staatlicherseits zu intervenieren – privilegierte auch das Strafgesetz die vor-legale Gewaltkultur.

Abgesehen vom Fall der absichtlichen Duell-Provokation, § 210 StGB a.F., drohten die Zweikampf-Paragraphen (§§ 201–210a StGB) nur mit Festungshaft, also der neben Zuchthaus und Gefängnis vornehmsten Form der Freiheitstrafe im dreigliedrigen Strafsystem. Statt mit Todesstrafe war die absichtliche Tötung im formal korrekten Zweikampf allein mit Festungshaft zwischen drei und 15 Jahren bedroht, § 206 StGB a.F.

Wie der Kampf gegen den Mädchenhandel, für eugenische Familienplanung oder die Alkoholabstinenz war der Kampf gegen das Duell daher eines der großen Themen sozialdemokratischer und linksliberaler Politiker schon im Deutschland des Kaiserreichs.
Ein Männlichkeitskonzept, das verlangte, sich gleichsam zum Opfer "darzubieten", rief zudem katholische Duellkritiker auf den Plan, hierin – wie stets – weniger obrigkeitstreu als der deutsche Protestantismus.

Mit dem Ende der Vorrechte des Adels entsprechend Artikel 109 Abs. 3 Reichsverfassung von 1919 und der durch den Versailler Friedensvertrag auferlegten Reduzierung des Offizierskorps erhielt die rituelle Gewaltkultur nach 1918 einen paradoxen Dämpfer: Einerseits standen nun die duellfeindlichen Kräfte, u.a. Sozialdemokraten und die katholische Zentrumspartei, in Regierungsverantwortung. Andererseits reproduzierte die Reichswehr in der Republik die zu Kaisers Zeiten inoffiziell geführten Duellhandbücher als reguläre Dienstobliegenheit.

Das männliche Waffenstudententum avancierte zudem zur Möglichkeit, sich gegen das Frauenstudium, gegen jüdische Kommilitonen und gegen individualistisch-intellektuelle Leistungsvorstellungen im akademischen Leben in Stellung zu bringen.

Erfahrung totaler Gewalt beendet Ritualkultur

Versuche der republikfreundlichen Kräfte, das Duell zurückzudrängen, blieben erfolglos. Beispielsweise scheiterte 1926 eine Reichstagsmehrheit, die eine Entlassung solcher Reichswehroffiziere verlangt hatte, die wegen Zweikampfes verurteilt wurden, am frisch gewählten Reichspräsidenten Paul von Hindenburg (1847–1934). Das seit seinem zwölften Lebensjahr militärisch dressierte Staatsoberhaupt verweigerte sich wohl aus fundamentalen Ansichten.

Warnte der preußische Ministerpräsident Otto Braun (SPD, 1872–1955) davor, Hindenburg mit dieser Sabotage der Demokratie davonkommen zu lassen, beförderten ausgerechnet die von Hindenburg an die Macht gebrachten Nationalsozialisten das Ende der alten Zweikampfkultur.

Traten sie während der Republik zugunsten ihrer akademischen Gesinnungsfreunde unter den schlagenden deutschen Studenten noch gegen jede Restriktion ein und bekannte sich auch die 1935 neu aufgestellte Wehrmacht zur alten Gewaltkultur, führte der Tod des von ihm geschätzten NS-Journalisten Roland Strunk 1937 zu einer Änderung in der Haltung Hitlers zum Duell. Nunmehr wurde jeder Verlust des "wertvollen Bluts" jedenfalls offiziell als antiquiert behandelt.

Schließlich beseitigte die totale Gewalt des Zweiten Weltkriegs, nicht zuletzt weil sie eine Terror- und Opfererfahrung von Frauen und Männern gleichermaßen bedingte, die Möglichkeit, ein gesondertes männliches Gewaltritual um die Ehre als sinnvoll zu erleben.

Eine jahrhundertealte Gewaltkultur löste sich binnen ein, zwei Generationen vollständig auf. Der Gesetzgeber hatte 1969 nur noch Aufräumarbeit zu leisten.

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.

Lesetipp: Ute Frevert, "Ehrenmänner. Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft", München (dtv) 1995.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Zur Hochkonjunktur des Zweikampfs: Ein Pistolenduell ohne Leichen . In: Legal Tribune Online, 17.12.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26061/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

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