Unterhaltszuschuss: Un(ter)versorgte Referendare

von Martin Rath

08.06.2014

2/2: Otto Palandts sagenhaftes Reichsreferendariat

Einen tiefen Bruch mit der 1878 etablierten Juristenausbildung brachte der NS-Staat nach 1933. Zur neuen Justizausbildungsverordnung des Reiches (JAO) brachte der Präsident des Reichs-Prüfungsamtes, Dr. Otto Palandt – bekannt, weil er bis heute einem grauen Kommentarbackstein seinen Namen leiht, einen Kommentar heraus, der allenthalben von der Kameradschaftlichkeit des Juristennachwuchses im neuen Staate schwärmte. Wandern, Jugendherbergen und Lagerleben standen auf dem Programm, junge Richter sollten als kameradschaftliche Führer ihrer Referendare dienen. Für das Entree zum Referendariat gab die JAO vor:

"(1) Wer sich zur ersten juristischen Staatsprüfung meldet, soll mit Volksgenossen aller Stände und Berufe in enger Gemeinschaft gelebt, die körperliche Arbeit kennen und achten gelernt, Selbstzucht und Einordnung geübt und sich körperlich gestählt haben. Er soll sich im Arbeits- und Wehrdienst bewährt haben. […] (3) Es wird erwartet, daß er das SA-Sportabzeichen erwirbt."

Der JAO-Kommentar gibt, da hatte die Gemeinschaft ihre Grenzen, Ratschläge, wie der Ausschluss sogenannter Nichtarier vom Vorbereitungsdienst zu leisten sei: Die Taufscheine aller vier Großelternteile bzw. der "Ahnenpass" waren beizubringen, bei einem "jüdisch klingenden Nachnamen" sei den Herren Oberlandesgerichtspräsidenten als Ausbildungsbehörden besondere Aufmerksamkeit zu empfehlen. Seitenweise offenbaren sich Otto Palandts leicht groteske Züge: Der junge Richter solle neben "Zivilcourage" lernen, seine Mitmenschen zu lieben.

Dazu passt die für einen juristischen Kommentar ungewöhnliche, eher onkelhafte Ich-Form, wenn es um das Wohl der "jungen Rechtswahrer" geht. "Im übrigen bitte ich", heißt es im Palandt-Richter-Stagel mehr als einmal. Gegenstand der Bitte ist die Gewährung von Unterhaltszuschüssen in der einen oder anderen Lebenslage. Die Höchstsätze für den "Unterhaltszuschuß" liegen zwischen 140 Reichsmark (Ortsklassen B-D, 1. Jahr des Referendariats) und 170 Reichsmark (Ortsklassen S und A, 3. Jahr). Ein Rechtsanspruch besteht nicht. Fehlt der Leistungswille, kann der Zuschuss gekürzt oder verweigert werden. Leistungswillen lässt erkennen, wer eine gefestigte NS-Weltanschauung unter Beweis stellt.

Mit Bayern zurück ins Kaiserreich?

Beim Ministerialdirigenten bleibt von alldem 1954 nur die Einsicht, dass der Referendar ein Beamter ist. Damit sei es Aufgabe der Exekutive (!), über die Zulassungsvoraussetzungen zum Vorbereitungsdienst zu entscheiden. Überhaupt sei es der hohen Qualität der beschränkten Zulassung zum Referendariat zu verdanken, dass auch der außerhalb des eigentlich anzustrebenden Staatsdienstes tätige "Volljurist" – Rößler setzt dies in die Anführungszeichen des Anstößigen – überhaupt zu etwas tauge.

Im Kaiserreich mussten angehende Juristen aus vermögenden Familien stammen, der NS-Staat bezahlte seine Referendare, aber nur die "rassisch" und nach Möglichkeit weltanschaulich Lupenreinen. In den Anfangsjahren der Bundesrepublik sah man im Unterhalt für Referendare – jedenfalls aus einer bayerischen Perspektive –  eine Bedrohung für die staats- bzw. regierungsdienlichen Auslese des Juristennachwuchses. Wer weiß, was ohne den allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung im Westdeutschland der 1950er-Jahre geschehen wäre. Die strikte Staats- bzw. Regierungsorientierung der Juristenausbildung hatte jedenfalls noch ihre Anhänger.

Ist es heute vielleicht ein Vorzeichen dafür, dass im Vergleich zu Ingenieurs- oder Wirtschaftsberufen die juristischen Professionen weiter an Bedeutung verlieren, wenn bei der Unterhaltsfrage meist auf das Portemonnaie der Referendare fokussiert wird – und weniger auf die historische und politische Dimension der "Fähigkeit zum Richteramte" (§ 2 GVG 1878)?

Zitiervorschlag

Martin Rath, Unterhaltszuschuss: Un(ter)versorgte Referendare . In: Legal Tribune Online, 08.06.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12200/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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