Zum 175. Jahrestag der Revolution von 1848 blickt Martin Rath auf ein kurzes, aber interessantes Kapitel der Polizei: nämlich deren "Verein" bis 1866. Zunächst konspirativ, hatte er später sehr präsent sogar die Presse im Griff.
Mit der Kunst der politischen Konspiration kannten sich die in Vergessenheit geratenen Väter der modernen deutschen Polizei besser aus als mancher heutige Vollblutpolitiker – auch wussten sie, wer sich dank seiner Eigeninitiative als echter Leistungsträger ihres Faches erweisen würde.
Anfang April 1851, zwei Jahre nach dem gescheiterten Versuch, den Deutschen Bund staatsrechtlich unter die liberale "Paulskirchen"-Verfassung eines neuen deutschen Reichs zu bringen, tauschten einige hohe Herren diskret amtliche Schriftstücke aus, die zur Bildung eines "Polizeivereins" der deutschen Staaten führen sollten. "Verein" ist dabei natürlich als "suprastaatlicher Verbund" zu übersetzen, nicht bieder, wie in "Sportverein".
Mit Datum vom 3. April 1851 teilte etwa der Polizeipräsident von Berlin, Karl Ludwig Friedrich von Hinckeldey (1805–1856), seinem Kollegen im Königreich Sachsen, Friedrich Eberhardt (1795–1852), mit, dass man sich nicht in Prag würde treffen können.
Eberhardt, ein tüchtiger Bürokrat, der aus eigener Initiative ein weit verbreitetes polizeiliches Fahndungsblatt, den "Allgemeinen Polizei-Anzeiger", herausgebracht hatte, wird von Hinckeldey daher gebeten, für ein konspiratives Zusammentreffen von führenden Verwaltungsleuten der politischen Polizei in Dresden zu sorgen.
Zwei Tage zuvor hatte Hinckeldey, der als Polizeipräsident derart unbeliebt war, dass er 1856 in einer regelrechten Verschwörung der besseren Kreise Berlins bei einem Duell zu Tode gebracht wurde, eine amtliche Note aus Wien erhalten, die hier einmal mit einem kurzen Auszug zitiert sein will, um sich in den Behördenstil der Epoche hineinzufinden:
"Als Zusammenkunftsort für die vorgenannten Herren" - gemeint sind die Organisatoren des künftigen "Polizeivereins" - "glaubt Herr Dr. Busch", ein österreichischer Jurist, der als Justiz-, dann Innenminister von den Liberalen ins reaktionäre Lager gewechselt war, "Dresden und als Tag hiezu den 8. April bezeichnen zu sollen, weil die Feier der Eröffnung der Prag-Dresdner Eisenbahn zu jener Epoche ein bedeutendes Zusammenströmen von Fremden in Dresden herbeiführen wird und daher eine Zusammentretung der gedachten Funktionäre, ohne Aufsehen wird bewirkt werden können; zudem aber auch die Dringlichkeit der Lage es überaus wünschenswerth macht, daß eine Verständigung zur gemeinschaftlichen Bekämpfung des revolutionären Treibens, sobald als möglich erzielt werde."
Damit der Terminvorschlag in Dresden nicht aus Versehen an die Öffentlichkeit gelangt, schlägt Hinckeldey dem Kollegen Eberhardt handschriftlich vor, auf dem Telegraphenamt nur ein Telegramm mit der einfachen Botschaft "Ja" aufzugeben.
Polizeirechtsgeschichte: Mehr als liberales Heilsgeschehen
Was Juristinnen und Juristen aus dem Studium zur Polizeirechtsgeschichte mit ins Leben nehmen, dürfte oft etwas rosig gefärbt sein.
Es kam bekanntlich das Königlich Preußische Oberverwaltungsgericht in Berlin am 14. Juni 1882 mit dem sogenannten Kreuzbergurteil zu der Erkenntnis, dass es die Aufgabe der Polizei nur sei, Gefahrenabwehr zu betreiben, nicht allgemeine Staatsinteressen durchzusetzen, etwa den freien Blick auf das Nationaldenkmal am Kreuzberg zu sichern.
Von dort aus nahm die Idee aus der in heutigen Ohren etwas obskur klingenden Formulierung des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten von 1794, § 10 Titel 17 Teil II ("Die nöthigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung und zur Abwendung der dem Publico oder einzelnen Mitgliedern desselben bevorstehenden Gefahr zu treffen, ist das Amt der Polizey."), als polizeirechtliche Generalklausel ihren Weg in das berühmte Preußische Polizeiverwaltungsgesetz vom 1. Juli 1931, das wiederum für die Polizeigesetze der deutschen Länder nach 1949 das Vorbild gab.
Das Gesamtbild ist hier modern und durchaus liberal. Die zwölf Jahre des auch polizeilich organisierten Staatsterrors und der Einsatz von Polizisten im Völkermord irritierten, aber lange blickte man nach 1945 einfach darüber hinweg.
Neben dem totalen Staatsterror und der liberalen Heilsgeschichte gibt es aber noch diese dritte, kaum weniger interessante Erzählung von der frühen Organisation der deutschen politischen Polizei nach der gescheiterten – oder soll man sagen: erst 1949 halbwegs gelungenen – Revolution von 1848.
Politische Polizei entdeckt Arbeitsform für ihre Paranoia
Die "Zusammentretung" der "Funktionäre" am 8. Mai 1851 sollte bis ins Jahr 1866 eine ganze Anzahl von weiteren Treffen von führenden Polizisten bzw. Innenministern aus den bis zu 40 Staaten des Deutschen Bundes nach sich ziehen, wobei die Zusammensetzung wechselte, denn man hatte bekanntlich 1866 noch einen Krieg gegeneinander zu führen.
In Betrieb kam damit eine Zusammenarbeit der Polizeibehörden, die sich nun ohne den Umweg über den diplomatischen Dienst der deutschen Teilstaaten mittels Berichten und eiligen Meldungen austauschten. In den Staaten, die aktiv am Polizeiverein mitwirkten, war dabei zumeist der führende Polizeibeamte in der Residenzstadt des regierenden Fürsten involviert – bei ihm war jeweils die Fachkompetenz vor allem zur Bekämpfung des zugleich alten wie stets neuen politischen Problems im Inneren konzentriert, der "rastlosen Thätigkeit der Umsturzparthei", wie ein bayerischer Beamter das zusammenfassend nannte.
Hatte Hinckeldey eine "völlig form- und geräuschlose Konferenz von Männern" angeregt, hinterließ der Polizeiverein recht diskrete Protokolle seiner Tätigkeit, sorgfältig nur mit jenen Kopiertechniken vervielfältigt, die es nicht erforderlich machten, auf die stets verdächtigen Druckereien zurückzugreifen.
In der Definition der "Umsturzparthei" war man nicht wählerisch. Verdächtig waren alle, die demokratische oder republikanische Ideen verbreiteten. An politische Parteien, organisiert als ordentliche Vereine, war nach 1849 aber vorläufig nicht zu denken.
Unter den Gruppen, die im Verdacht standen, regierungsfeindliche Bestrebungen zu verfolgen, fanden sich freie christliche Gemeinden, die sogenannten Deutschkatholiken, Freimaurer, Arbeiterbildungs-, Turn- und Schützenvereine.
Technik und Organisationssoziologie der frühen Polizei
Für den Fall, dass von Paris aus – nach 1789, 1830 und 1848 – erneut revolutionäre Unruhen ausbrechen sollten, vereinbarte man, sich telegrafisch zügig über den Handlungsbedarf in den deutschen Staaten ins Lagebild zu setzen.
Und nicht nur in Dingen der behördlichen Organisation – vom vorsichtigen Einsatz der Kopiertechnik bis zum effektiven Gebrauch des Telegrafenwesens – lernten die Akteure der suprastaatlichen Polizeiarbeit dazu.
Dankbar griff man auch auf, was der liberal-demokratische Feind im Inneren, die noch nicht ausgereiften modernen Massenmedien mit ihren Hauptakteuren Pressewesen und Buchhandel, an organisatorischen Künsten aufbot. Dabei lernte man aus ersten Fahndungsmaßnahmen.
Der evangelische Theologe Rudolf Dulon (1807–1870), seit 1848 zweiter Pastor an der Kirche Unser Lieben Frauen im revolutionsverdächtigen Bremen, galt etwa als besonders gefährlich, weil die Kirchenleute die Sprache auch des einfachen Volkes beherrschten.
Seine erstmals 1852 mit der beachtlichen Auflage von 4.000 Stück gedruckte Schrift "Der Tag ist angebrochen" war vom Verleger zwar in der Erwartung polizeilichen Einschreitens mit konspirativem Aufwand an auswärtige Zwischenhändler und Buchhandlungen ausgeliefert worden. Bis zur offiziellen Freigabe solle man sie nur diskret an Käufer ausgeben.
Bei der Fahndung nach dieser Schrift lernten die Funktionäre und Beamten des Polizeivereins dann aber den Wert der kaufmännisch-kapitalistischen Organisationskunst ihrer liberalen Gegner kennen: durch die Sicherstellung von "Versendungsverzeichnissen" konnte man die Distributionswege gut nachvollziehen und die als feindlich definierten Schriften auch künftig sehr effektiv einziehen und vernichten.
Doch nicht nur bei der Zensur und Unterdrückung lernte die Exekutive dazu. Als beispielsweise 1854 im Königreich Sachsen die Publikation von behördlichen und gerichtlichen Entscheidungen ausgeweitet werden musste – schon die Wirtschaftsentwicklung verlangte nach solchen Modernisierungen –, nutzte man die Gelegenheit, um sich die regionale und lokale Presse über den Geschäftsanreiz, nunmehr als Amtsblatt zu dienen, auch im redaktionellen Teil gefügig zu machen.
Presserecht von 1854: Polizei gegen restliberales Fürstentum
Dieser aktiven Pflege einer von den Regierungen gesteuerten Öffentlichkeit war seit 1849 eine Rücknahme presserechtlicher Fortschritte aus dem liberalen Frühling der Revolution vorausgegangen – vielfach aus der Eigeninitiative der Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes, teils unter dem Druck durch den Bundestag, also dem zentralen suprastaatlichen Beschlussorgan in Frankfurt am Main.
Zum Missfallen des Polizeipräsidenten von Hannover war im benachbarten Herzogtum Braunschweig das Gesetz, betreffend die Grundrechte des deutschen Volkes vom 27. Dezember 1848, nicht vollständig aufgehoben worden – manche Formulierung finden wir heute im Grundgesetz vom 23. Mai 1949 wieder –, denn man hatte § 13 des Gesetzes in Braunschweig ausdrücklich unangetastet gelassen:
"(1) Jeder Deutsche hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck und bildliche Darstellung seine Meinung frei zu äußern.
(2) Die Preßfreiheit darf unter keinen Umständen und in keiner Weise durch vorbeugende Maßregeln, namentlich Censur, Concessionen, Sicherheitsbestellungen, Staatsauflagen, Beschränkungen der Druckereien oder des Buchhandels, Postverbote oder andere Hemmungen des freien Verkehrs beschränkt, suspendirt oder aufgehoben werden.
(3) Ueber Preßvergehen, welche von Amts wegen verfolgt werden, wird durch Schwurgerichte geurtheilt."
Nahezu überall im Deutschen Bund erleichterten vor allem die Konzessionierung von Zeitungsverlagen und äußerst hohe Sicherheitsleistungen, aus denen die Strafzahlungen bei Verstößen gegen presserechtliche Auflagen zu leisten waren, der politischen Polizei die Arbeit. Die diskrete Verhinderung des Postbetriebs ruinierte das Zeitungsgeschäft, indem die Verleger auf eine lokale Öffentlichkeit beschränkt blieben.
Zwar neigten die Geschworenengerichte, oft zusammengesetzt aus bürgerlichen "Peers" der Redakteure und Verleger, zu einer liberalen Auslegung der – ausgesprochen schwammig formulierten – Gesetze zum Wohl des Regierungshandelns. Doch war ihre Kompetenz nach Kräften zugunsten von Berufsrichtern zurückgeschnitten worden.
Nicht zuletzt die Beschwerden aus Kreisen des Polizeivereins, das liberale Rudiment des Braunschweigischen Presserechts erschwere die polizeiliche Arbeit, trugen dazu bei, dass der "Bundesbeschluß über Allgemeine Bestimmungen zur Verhinderung des Mißbrauchs der Preßfreiheit", bekannt als das Bundespreßgesetz vom 6. Juli 1854, einen ganzen Wunschkatalog von Repressionsmöglichkeiten enthielt.
Beispielsweise gab § 10 Bundespreßgesetz vor, dass für eine Zeitschrift, die häufiger als drei Mal in der Woche publiziert wurde, keinesfalls weniger als 1.000 Preußische Thaler oder 1.600 rheinische Gulden an Kaution zu hinterlegen waren – also wirtschaftlich erdrückende Summen. Wurde die Kaution durch Strafzahlungen gemindert, blieben dem Verleger nur vier Wochen, um sie zu ergänzen, anderenfalls war die weitere Publikation einzustellen.
Der Weg von der Geldstrafe zum Publikationsverbot konnte mit Blick auf die Weite des presserechtlich strafbaren Tuns kurz ausfallen. So schrieb § 17 Bundespreßgesetz vor:
"Die Strafgesetzgebung jedes Bundesstaates hat gegen nachfolgende Angriffe durch die Presse ausreichenden Schutz zu gewähren und solche mit angemessenen Strafen zu bedrohen:
Angriffe auf die Religion oder auf die Lehren, Gebräuche und Gegenstände der Verehrung einer anerkannten Religionsgemeinschaft;
Angriffe auf die Grundlagen des Staates und der Staatseinrichtungen, auf die letzteren selbst, auf die Anordnungen der Obrigkeit, auf die zur Handhabung derselben berufenen Personen, die Beleidigungen der letzteren, der Regierungen und des Oberhauptes eines fremden Staates.
Als strafbarer Angriff ist jeder anzusehen, welcher durch Kundgabe erdichteter, oder entstellter Thatsachen, oder durch die Form der Darstellung des Angriffs dem Hasse oder der Mißachtung auszusetzen geeignet ist."
Damit bei der Bekämpfung des Hasses und der Missachtung der Obrigkeit nicht zu milde Maßstäbe angelegt würden, gab § 22 Satz 2 Bundespreßgesetz dem Landesgesetzeber vor: "Eine vorzugsweise Verweisung der durch die Presse begangenen strafbaren Handlungen vor das Geschworenengericht oder zur öffentlichen Verhandlung soll jedoch nicht stattfinden."
Auslaufen, nicht Abbruch der repressiven Tradition
Die im Polizeiverein organisierten Behördenleiter trafen ein letztes Mal, zu ihrer 20. Sitzung, am 22. März 1866 in Berlin zusammen. Drei Monate später begann der Krieg des Deutschen Bundes, des Kaisertums Österreich, der Königreiche Bayern, Hannover, Sachsen, Württemberg und anderen auf der einen Seite gegen das Königreich Preußen und seine internen wie ausländischen Verbündeten. Der Deutsche Bund endete.
Spätestens das Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Januar 1877 schuf mit seinem § 157 eine neue Grundlage für die Justizzusammenarbeit zwischen den nach wie vor souveränen deutschen Bundesstaaten. Das durch den Deutschen Krieg von 1866 aus dem künftigen Staatsverband ausgesonderte Österreich erinnert sich immerhin, ortsüblich mit etwas glasigen Augen, noch an den Polizeiverein als Vorläufer des heutigen Interpol-Betriebs.
Das Reichsgesetz über die Presse vom 7. Mai 1874 beseitigte zwar die stärksten Pressionen, die das Bundespreßgesetz vom 6. Juli 1854 vorgegeben hatte. Insbesondere unterlag die Betriebserlaubnis nur noch den allgemeinen gewerberechtlichen Voraussetzungen und es waren keine Kautionen mehr zu hinterlegen. Zu der 1848/49 noch erkennbaren Orientierung an der radikalen, geradezu "amerikanischen" Meinungs- und Pressefreiheit fand man in Deutschland aber nie mehr wirklich zurück.
Hinweise: Eine instruktive Quellensammlung bietet Wolfram Siemann (Hg.): "Der 'Polizeiverein' deutscher Staaten. Eine Dokumentation zur Überwachung der Öffentlichkeit nach der Revolution von 1848/49", Tübingen (Niemeyer) 1983.
Der "Polizeiverein" nach 1848: . In: Legal Tribune Online, 18.06.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52013 (abgerufen am: 08.12.2024 )
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