Dass die alkoholverarbeitende Industrie positive Beschäftigungseffekte bei Staatsanwälten, Strafverteidigern und Verkehrsrechtsexperten hat, ist bekannt. Martin Rath über die weniger bekannten juristischen Untiefen in der Kaffeetasse.
Sollte der Bund der Steuerzahler jemals nach einem ironischen Helden des deutschen Abgabenrechts suchen, würde er ihn in einem Zollbeamten finden, dem bei einer Fahrt über den Bodensee am 23. Oktober 1954 gegen 21.55 Uhr der Besitz von 250 Gramm einer kostbaren Substanz zum Dienstvergehen wegen Überforderung durch die formalen steuerrechtlichen Vorgaben geriet.
Einwohnern des Grenzgebiets zur Schweiz war es damals erlaubt, ein halbes Pfund Kaffee pro Monat einzuführen. Dem wackeren Beamten fehlte es indes an der dazu formal notwendigen Grenz- und Warenkontrollkarte, die er zu beantragen versäumt hatte.
Gegen die erstinstanzliche Verurteilung zu 5 Mark Strafe ging der Bundesdisziplinaranwalt in Berufung, der Bundesdisziplinarhof erhöhte auf 20 Mark, weil der Zöllner glaubwürdig versichern konnte, den Kaffeeschmuggel treuen Herzens begangen zu haben und man ihm die bald in Aussicht stehende Beförderung zum Zollsekretär nicht zunichtemachen möge (Urt. v. 25.5.1958, Az. II D 38/57).
Kaffeeschwarzhandel als deutscher Volkssport
Dass der Bundesdisziplinaranwalt dem Zöllner vom Bodensee wegen des illegalen Grenzübertritts weniger Gramm Kaffees die dienstrechtliche Hölle heißmachte, wird verständlich, wenn man sieht, in welchem Umfang Kaffee in den 1950er Jahren Gegenstand von Zoll- und Steuerstraftaten war. Man handelte leidenschaftlich gern mit Kaffee, vor allem schwarz. Ob die Bundesrepublik jemals eine Leitkultur hatte, mag man streiten. Eine Leitdroge hatte sie jedenfalls in den Wirtschaftswunderjahren mit dem Koffein, dem infolge von Steuerlast und Devisenknappheit teuren Kaffee. Unzählige Urteile des Bundesgerichtshofs (BGH) befassten sich mit dem strafbaren Streben nach der leistungssteigernden Droge.
Neben 2.000 Litern Treibstoff fanden im Jahr 1953 beispielsweise 1.440 Kilogramm Rohkaffee ihren Weg aus einem Lagerhaus in der von Sowjets besetzten Zone zunächst nach Berlin (West), dann per US-amerikanischem Interzonenzug nach Bad Godesberg im Rheinland. Der BGH bestätigte die Verurteilung wegen gewerbsmäßiger Vorteilsbeihilfe zur Zollhinterziehung im Wesentlichen – ein vermutlich sehr gnädiges Schicksal im Vergleich zu dem, was die sogenannte DDR-Justiz mit den Kaffeeschmugglern angestellt hätte (Urt. v. 29.5.1955, Az. 5 StR 506/55).
Beim Verhehlen des Kaffees in Westdeutschland betätigten sich nicht nur lebensmüde DDR-Insassen, sondern Menschen aller Stände und Klassen. In Bielefeld besserte beispielsweise ein Beamtenehepaar die kargen Dienstbezüge durch jahrelanges Hausieren mit unversteuertem Kaffee auf (BGH, Urt. v. 11.6.1953, Az. 4 StR 567/52). Bot sich die Gelegenheit, preisgünstigen Kaffee zu kaufen, stand fast nur in Frage, ob man das Vergnügen mit Diebes- oder unverzollter Ware aus den Niederlanden hatte (BGH, Urt. v. 9.7.1953, Az. 4 StR 189/53). Unglücklich erwischte es einen offenbar gewohnheitsmäßigen, womöglich eher harmlosen Betrüger, der auf dem Kaffeeschwarzmarkt mittun wollte, dem das Landgericht Wuppertal aber nicht glaubte, jemals auch nur eine Bohne liefern zu wollen oder zu können – was in der Summe des Zuchthäuslerlebens zur tatgerichtlichen Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den "gefährlichen Gewohnheitsverbrecher" genügte (BGH, Urt. v. 18.2.1954, Az. 3 StR 872/53).
"Jüdische Händler" – Klischee und Wirklichkeit
Wenige Jahre, nachdem man das Hakenkreuz von der Amtstracht entfernt hatte, erkannten Gerichte in der Mitwirkung "jüdischer Händler" ein Warnsignal dafür, dass im regen Schwarzmarktgeschäft unverzollter Kaffee den Besitz wechselte. Unter anderem galt die Münchener Möhlstraße als illegale Koffein-Quelle, wurde doch von alliierter Seite außerhalb des deutschen Steuerrechts Kaffee an "Displaced Persons" in den "DP"-Lagern ehemaliger KZ-Häftlinge und entwurzelter Zwangsarbeiter abgegeben. Selbst wenn bekannt war, dass etwa die Möhlstraße den vormaligen "Ariern" ebenso wie den überlebenden Juden als beliebter Schwarzmarktplatz diente, galt dem BGH dieser Ort und der jüdische Händler an sich in den 1950er-Jahren als Indiz für notorischen Steuerbetrug im Kaffeegeschäft (Urt. v. 22.11.1951, Az. 4 StR 66/51 und 3.1.1952, Az. 4 StR 594a/51).
Die Untertöne in den BGH-Urteilen waren allerdings harmlos im Vergleich zu den Leistungen des selbsternannten "Sturmgeschützes der Demokratie": Der Spiegel ließ seinerzeit zwei ehemalige SS-Hauptsturmführer, einer von ihnen ein mutmaßlicher Einsatzgruppen-Massenmordhelfer, solange zum Kaffeeschmuggel schreiben, bis die jüdische Gemeinde Bayerns nach dem Antisemitismus im Hause Augstein fragte.
2/2: SPD-Boulevardpresse kämpft gegen Ami-Coffein
Mit dem Aufschwung der westdeutschen Wirtschaft und ihrem Wiedereinstieg in internationale Geschäfte wurden Devisen verfügbar, sodass die Attraktivität unversteuerter Kolonialwaren abnahm. Einem früheren Wehrmachts- und nunmehrigen Bundeswehrfeldwebel kam es allerdings anlässlich eines 13-tägigen Manövers doch noch in den Sinn, fünf Kilogramm Kaffee und einige Eier aus der Truppenküche abzuzweigen, was das Truppendienstgericht als Verstoß gegen die soldatenrechtlichen Pflichten "treu zu dienen", "als Vorgesetzter in Haltung und Pflichterfüllung Beispiel zu geben" sowie die "Kameradschaft zu wahren" wertete. Die Sache ging für den Berufssoldaten vor allem deshalb glimpflich aus, weil die Disziplinarrichter in den – militärwissenschaftlich fragwürdigen – Wehrübungen eine Überforderung aller Beteiligten erkannten und – gegen jede Erfahrung aus dem vergangenen Krieg – unterstellten, dass der Soldat noch nie Konsumgüter 'organisiert' habe (Bundesdisziplinarhof, Urt. v. 12.9.1967, Az. I VD 11/67).
Kaffee-affine Justizvorgänge verlagerten sich nun gleichwohl von Schmuggel- und Diebstahlsfragen auf Aspekte des guten und gesunden Konsums koffeinhaltiger Getränke. In Hamburg unternahm es in den 1960er-Jahren ein Massenblatt der SPD-Boulevardpresse – derlei gab es damals noch – gegen die Gefahren des amerikanischen Limonadengetränks mit der gerichtsnotorischen Abkürzung "C.C." zu agitieren, unterließ es dabei aber, journalistisch sorgfältig zu arbeiten. Höchstrichterliche Entscheidungen zugunsten der Ami-Brause, die eben nicht gar so viel gefährlicher war als die gute Tasse Bohnenkaffee, waren die Folge (BGH, Urt. v. 17.10.1967, Az. VI ZR 48/66).
Mokka wird nicht mekkanisch streng ausgelegt
Beruhigt nahmen insbesondere Hamburgische Kaffeeröster zur Kenntnis, dass sich die Rechtsauffassung der Justiz in Berlin (West) zur "Verordnung über Kaffee" vom 10. Mai 1930 (KaffeeVO) nicht bundesweit durchsetzte. "Als Kaffeesorten werden im allgemeinen unterschieden", hieß es in der KaffeeVO, "nach der geographischen Herkunft […] e) arabischer (Mokka-) Kaffee". In Berlin war es zum strafrechtlichen Verdikt wegen "Inverkehrbringens eines Lebensmittels unter irreführender Bezeichnung" gekommen, weil ein "Frielo-Marken-Mokka" aus südamerikanischen Bohnen erzeugt worden war. Der BGH hielt fest, dass "Mokka" zwar nach dem Willen des Gesetzgebers von 1930 zwar die Herkunft aus Arabien und Abessinien festlegen sollte, die schlampige Formulierung der KaffeeVO aber kein strafrechtliches Urteil trage, weil dies hieße, eine Strafbarkeit statt aus dem Gesetz aus der amtlichen Begründung herzuleiten (Urt. v. 15.9.1962, Az. 5 StR 395/62).
Im Ergebnis befriedigend fällt die juristische Rabulistik in Kaffeebelangen seither leider nicht immer aus, obwohl der Konsum der Leitdroge doch eine gewisse Aufgewecktheit verspricht. Beispielsweise verneinte das Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein in jüngster Zeit die Frage, ob es in Spielhallen verboten sei, kostenlos einen Keks zum Kaffee zu reichen, weil mit ihm kein Sättigungsgefühl, mithin keine vermehrte Gefahr überlangen Spielhöllenbesuchs verbunden sei (Beschl. v. 6.12.2012, Az. 3 MB 40/12). Geholfen wäre, könnte man sich denken, den üblicherweise dopamingeschädigten Glücksspieljunkies wohl eher mit Keksen ohne Kaffee als mit Kaffee ohne Keksen.
Kaffeegeneigte Justizvorgänge der Gegenwart
Zwei weitere kaffee-affine Entscheidungen aus jüngerer Zeit verwundern ebenfalls. In Sachsen war im Jahr 2010 ein Chemiker wegen versuchten Mordes an seinen Kollegen angeklagt worden, weil er ein Quantum Scopolamin in die Betriebskaffeemaschine eingebracht habe. Vor dem Landgericht freigesprochen, vom BGH bestätigt, befremdet, mit welch mageren Beweismitteln die Staatsanwaltschaft hier offenbar zur Strafverfolgung schritt (Urt. v. 5.12.2013, Az. 4 StR 371/13). Von der vorverurteilenden Boulevardpresse abgesehen fand dieser Vorgang nicht viel Aufmerksamkeit.
Völlig unverständlich bleibt auch ein vom Bundesverwaltungsgericht im Jahr 2013 beendetes Kaffeevergehen: Ein Justizvollzugshauptsekretär - zu Deutsch: Gefängniswärter - wurde aus dem Dienst entfernt, weil er im Tausch gegen eine Porno-CD – nach Internetrecherchen des erkennenden Gerichts im Wert von fünf bis zehn Euro – u.a. fünf Kilogramm Kaffee in seine Justizvollzugsanstalt geschmuggelt hatte.
Merkwürdig ist hier natürlich nur der Tauschgegenstand: Wer ist denn so dumm, guten Kaffee gegen ein Filmwerk mit zweifelhaften gymnastischen Darbietungen nebst Risiko einzutauschen, aus dem Staatsdienst entfernt zu werden? Dass ein deutscher Beamter allerdings diszipliniert gehört, wenn er sich der großen Tradition des deutschen Kaffeeschmuggels als unwürdig erweist, ist natürlich gar nicht unverständlich. Jedenfalls nach der zweiten Tasse des braunen Getränks.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.
Martin Rath, Rechtsgeschichte der braunen Brühe: Kaffee als deutsche "Leitdroge" . In: Legal Tribune Online, 22.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17610/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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