Rechtsgeschichte der braunen Brühe: Kaffee als deut­sche "Leit­droge"

von Martin Rath

22.11.2015

2/2: SPD-Boulevardpresse kämpft gegen Ami-Coffein

Mit dem Aufschwung der westdeutschen Wirtschaft und ihrem Wiedereinstieg in internationale Geschäfte wurden Devisen verfügbar, sodass die Attraktivität unversteuerter Kolonialwaren abnahm. Einem früheren Wehrmachts- und nunmehrigen Bundeswehrfeldwebel kam es allerdings anlässlich eines 13-tägigen Manövers doch noch in den Sinn, fünf Kilogramm Kaffee und einige Eier aus der Truppenküche abzuzweigen, was das Truppendienstgericht als Verstoß gegen die soldatenrechtlichen Pflichten "treu zu dienen", "als Vorgesetzter in Haltung und Pflichterfüllung Beispiel zu geben" sowie die "Kameradschaft zu wahren" wertete. Die Sache ging für den Berufssoldaten vor allem deshalb glimpflich aus, weil die Disziplinarrichter in den – militärwissenschaftlich fragwürdigen – Wehrübungen eine Überforderung aller Beteiligten erkannten und – gegen jede Erfahrung aus dem vergangenen Krieg – unterstellten, dass der Soldat noch nie Konsumgüter 'organisiert' habe (Bundesdisziplinarhof, Urt. v. 12.9.1967, Az. I VD 11/67).

Kaffee-affine Justizvorgänge verlagerten sich nun gleichwohl von Schmuggel- und Diebstahlsfragen auf Aspekte des guten und gesunden Konsums koffeinhaltiger Getränke. In Hamburg unternahm es in den 1960er-Jahren ein Massenblatt der SPD-Boulevardpresse – derlei gab es damals noch – gegen die Gefahren des amerikanischen Limonadengetränks mit der gerichtsnotorischen Abkürzung "C.C." zu agitieren, unterließ es dabei aber, journalistisch sorgfältig zu arbeiten. Höchstrichterliche Entscheidungen zugunsten der Ami-Brause, die eben nicht gar so viel gefährlicher war als die gute Tasse Bohnenkaffee, waren die Folge (BGH, Urt. v. 17.10.1967, Az. VI ZR 48/66).

Mokka wird nicht mekkanisch streng ausgelegt

Beruhigt nahmen insbesondere Hamburgische Kaffeeröster zur Kenntnis, dass sich die Rechtsauffassung der Justiz in Berlin (West) zur "Verordnung über Kaffee" vom 10. Mai 1930 (KaffeeVO) nicht bundesweit durchsetzte. "Als Kaffeesorten werden im allgemeinen unterschieden", hieß es in der KaffeeVO, "nach der geographischen Herkunft […] e) arabischer (Mokka-) Kaffee".  In Berlin war es zum strafrechtlichen Verdikt wegen "Inverkehrbringens eines Lebensmittels unter irreführender Bezeichnung" gekommen, weil ein "Frielo-Marken-Mokka" aus südamerikanischen Bohnen erzeugt worden war. Der BGH hielt fest, dass "Mokka" zwar nach dem Willen des Gesetzgebers von 1930 zwar die Herkunft aus Arabien und Abessinien festlegen sollte, die schlampige Formulierung der KaffeeVO aber kein strafrechtliches Urteil trage, weil dies hieße, eine Strafbarkeit statt aus dem Gesetz aus der amtlichen Begründung herzuleiten (Urt. v. 15.9.1962, Az. 5 StR 395/62).

Im Ergebnis befriedigend fällt die juristische Rabulistik in Kaffeebelangen seither leider nicht immer aus, obwohl der Konsum der Leitdroge doch eine gewisse Aufgewecktheit verspricht. Beispielsweise verneinte das Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein in jüngster Zeit die Frage, ob es in Spielhallen verboten sei, kostenlos einen Keks zum Kaffee zu reichen, weil mit ihm kein Sättigungsgefühl, mithin keine vermehrte Gefahr überlangen Spielhöllenbesuchs verbunden sei (Beschl. v. 6.12.2012, Az. 3 MB 40/12). Geholfen wäre, könnte man sich denken, den üblicherweise dopamingeschädigten Glücksspieljunkies wohl eher mit Keksen ohne Kaffee als mit Kaffee ohne Keksen.

Kaffeegeneigte Justizvorgänge der Gegenwart

Zwei weitere kaffee-affine Entscheidungen aus jüngerer Zeit verwundern ebenfalls. In Sachsen war im Jahr 2010 ein Chemiker wegen versuchten Mordes an seinen Kollegen angeklagt worden, weil er ein Quantum Scopolamin in die Betriebskaffeemaschine eingebracht habe. Vor dem Landgericht freigesprochen, vom BGH bestätigt, befremdet, mit welch mageren Beweismitteln die Staatsanwaltschaft hier offenbar zur Strafverfolgung schritt (Urt. v. 5.12.2013, Az. 4 StR 371/13). Von der vorverurteilenden Boulevardpresse abgesehen fand dieser Vorgang nicht viel Aufmerksamkeit.
Völlig unverständlich bleibt auch ein vom Bundesverwaltungsgericht im Jahr 2013 beendetes Kaffeevergehen: Ein Justizvollzugshauptsekretär - zu Deutsch: Gefängniswärter - wurde aus dem Dienst entfernt, weil er im Tausch gegen eine Porno-CD – nach Internetrecherchen des erkennenden Gerichts im Wert von fünf bis zehn Euro – u.a. fünf Kilogramm Kaffee in seine Justizvollzugsanstalt geschmuggelt hatte.

Merkwürdig ist hier natürlich nur der Tauschgegenstand: Wer ist denn so dumm, guten Kaffee gegen ein Filmwerk mit zweifelhaften gymnastischen Darbietungen nebst Risiko einzutauschen, aus dem Staatsdienst entfernt zu werden? Dass ein deutscher Beamter allerdings diszipliniert gehört, wenn er sich der großen Tradition des deutschen Kaffeeschmuggels als unwürdig erweist, ist natürlich gar nicht unverständlich. Jedenfalls nach der zweiten Tasse des braunen Getränks.

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Rechtsgeschichte der braunen Brühe: Kaffee als deutsche "Leitdroge" . In: Legal Tribune Online, 22.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17610/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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