Nach einem kurzen Krieg zwischen den Kansas-Sioux und den USA im Sommer 1862 gingen der weißen Bevölkerung des jungen US-Bundesstaats Minnesota im Folgejahr die Nerven durch. Bestärkt durch den Medienrummel lobte die Regierung hohe Jagdprämien auf männliche Indianer aus. Das legale Unrecht kam vor Gericht nur sehr obskur zur Sprache.
Am 9. Oktober 1863 wurden einem John C. Davis aus der Kasse der Nationalgarde von Minnesota 25 Dollar für die Tötung eines Indianers gezahlt, nachgewiesen durch die Vorlage der abgetrennten Kopfhaut. Der Getötete gehörte dem Volk der Kansas an, das man hierzulande meist "Sioux" nennt. Mit der von Staats wegen betriebenen Kopfgeld-Jagd auf männliche Kansas befasst sich die auf Indianerrecht spezialisierte Juraprofessorin Colette Routelin ihrer Studie "Minnesota Bounties on Dakota Men During the U.S.-Dakota War" (William Mitchell Legal Studies Research Papers No. 2013-1).
Zur Kopfgeldjagd wurde bisher nicht geforscht, doch der Indianerkrieg bewegte sich im bekannten Rahmen: In den 1850er-Jahren war es zwischen der US-Bundesregierung und Völkern der Sioux im Raum der heutigen Staaten Minnesota, Nord- und Süd-Kansas zu sehr unfairen Verträgen gekommen: Die Indianer verzichteten zugunsten der Regierung, namentlich der zuwandernden Siedler auf weitläufige Gebiete, in denen sie bisher ihren Lebensunterhalt auf hergebrachte Weise erwirtschaftet hatten – gegen Garantie von staatlichen Geldleistungen, Ernährung und Zuweisung territorialer Schutzräume.
Auf Seiten der Mdewakanton-Dakota war an diesen Verträgen Häuptling Thaóyate Dúta (ca. 1810-1863, englisch "Little Crow") beteiligt, dessen Tötung eine hässliche Geschichte des US-Parlamentarismus nach sich zog – dazu sogleich.
Dakotakrieg 1862, Jagdprämie 1863
Die Dakota fanden sich binnen eines Jahrzehnts auf ein Gebiet zusammengedrängt, das bei traditioneller Bewirtschaftung die Ernährung nicht mehr sicherte. Landwirtschaft lernt niemand von heute auf morgen. Die vertragsmäßigen Zahlungen der US-Regierung verspäteten sich oft, sodass – insbesondere im harten Winter 1861/62 – die Verschuldung der Indianer bei Zwischenhändlern böses Blut verursachte.
Nachdem am 17. August 1862 vier junge Dakota-Männer einen weißen Siedler, Frau, Tochter und zwei weitere Personen ermordet hatten, beschlossen die Stammesautoritäten, gegen die fremde Macht in den Krieg zu ziehen, weil sie befürchteten, die Morde würden ohnehin ihrem Volk zur Gänze angelastet werden. Dem Konflikt fielen schätzungsweise 500 bis 600 weiße Siedler zum Opfer, nach Kriegsende folgte die Revanche.
Bereits am 26. September ging der Krieg zu Ende. Die Indianer übergaben 269 gefangene Weiße, 1.800 Dakota begaben sich selbst in Gefangenschaft. Der Politiker und Offizier Henry Sibley (1811-1891) setzte am 28. September 1862 ein fünfköpfiges Militärgericht ein, das binnen weniger Tage über 392 Indianer verhandelte – in mitunter nur 5-minütigen Prozessen. Den Angeklagten wurden alle Verteidigungsrechte vorenthalten, der Belastungsbeweis vom Hörensagen war zugelassen. Von den 392 Angeklagten verurteilte das Gericht 323, davon 303 zum Tod.
Vollstreckt werden durften die Urteile nur nach Bestätigung durch den US-Präsidenten. Abraham Lincoln (1809-1865) geriet darüber in eine Zwickmühle. Er hatte die Absicht, die Todesstrafe nur in Fällen von Mord und Vergewaltigung vollstrecken zu lassen. Nach Durchsicht der Protokolle blieben nur drei solcher Fälle – politisch war das zu wenig, wollte der Präsident sich in Minnesota nicht unbeliebt machen. Am 26. Dezember 1862 ließ Lincoln schließlich 38 Dakota hinrichten. Der Galgen war eigens konstruiert worden, alle zugleich zu töten. 4.000 kriegsgefangene Männer, Frauen und Kinder hatten die Hinrichtung mit anzusehen. Hunderte Dakota starben in der Internierung und während der von Lincoln verfügten Deportation – darunter viele, die sich während des Krieges schützend vor die weißen Siedler gestellt hatten.
Pferdediebstahl als Auslöser für Kopfgeld-Jagd
Nach Kriegsende, im Herbst 1862, war eine Anzahl Dakota westwärts geflohen, darunter auch Häuptling Thaóyate Dúta. Colette Routel nennt einige Überfälle, die sie im anbrechenden Jahr 1863 auf Siedler in Minnesota verübten. Motiv war ganz überwiegend der Pferdediebstahl – notwendig, um auf der Flucht gen Westen zu überleben.
Obwohl die Überfälle offenbar von jeweils nur vier oder fünf Dakota-Männern verübt wurden, wollten die Zeitungen von 50-köpfigen Truppen wissen. In der weißen Bevölkerung, zu guten Teilen eben erst aus Deutschland zugewanderte Siedler, brach Panik aus.
Nach dem Mord an einer Siedlerfamilie im Juni 1863 erließ Oscar Malmros, Chef der Nationalgarde, abgesprochen mit Governor Ramsey, beginnend am 3. / 4. Juli 1863 eine Serie von Verordnungen, mit denen er eine rund 50-köpfige Truppe zur systematischen Tötung männlicher Kansas-Indianer aufstellte und immer höhere Prämien für getötete Kansas-Männer auslobte.
Die Verordnungen wurden in den Zeitungen zwar teils als barbarisch kritisiert, weil man am "Skalpieren", also dem Abziehen der Kopfhaut als Leistungsbeweis der Tötung Anstoß nahm. Auch der Umstand, dass kein Unterschied zwischen "schuldigen" und "unschuldigen" Indianern gemacht werden sollte stieß nicht nur auf Beifall. Malmros besserte dergestalt nach, dass die zu jagenden Indianer nun "feindlich" zu sein hätten.
In einem der nur vier Fälle, in denen es zur Auszahlung des Kopfgeldes kam, blieb die einschränkende Formulierung ohne Bedeutung. Colette Routel vermutet sogar, dass es sich bei einem namenlosen Kansas-Sioux, der im August 1863 von der Jagdgesellschaft eines geistlichen Herrn Allen exekutiert wurde, um einen Aushilfssoldaten der Nationalgarde gehandelt habe.
2/2: Leichenschändung an Thaóyate Dúta – "poetic justice"
Am 3. Juli 1863 war der gegen Kriegsende geflohene Häuptling Thaóyate Dúta mit seinem Sohn Wowinapa beim Beerensammeln in einen Schusswechsel mit zwei Jägern geraten, Natham Lamson und seinem Sohn Chauncey. Dass die Leiche, die bald darauf in einer nahegelegenen Ortschaft skalpiert, bei Gelegenheit des Nationalfeiertags in Nase und Ohren mit Feuerwerkskörpern versehen und schließlich in die Abdeckgrube einer Metzgerei verbracht wurde, jene des gefürchteten Feindes war, blieb zunächst unbekannt. Nach Gefangennahme von Wowinapa wurde die Identität offenbar.
Die Lamsons erhielten – so die heutige Erkenntnis – keine Kopfprämie nach den Malmros-Erlassen, deren erster am Tötungstag noch nicht in Kraft war. Gleichwohl fabulierte eine Zeitung in Minnesota davon, es sei ein Akt "poetischer Gerechtigkeit", dass der erste von Staats wegen geschnittene Skalp dem feindlichen Häuptling gehört habe.
Der Abgeordnete des Wahlkreises, in dem der Häuptling getötet worden war, brachte jedoch einen Gesetzentwurf ins Repräsentantenhaus von Minnesota ein, nach dem Nathan Lamson 1.000, sein Sohn 500 Dollar Tötungsprämie erhalten sollten – nach einigem hin und her mit dem Staatssenat wurden 500 Dollar an Vater Lamson angewiesen, obwohl es sein Sohn gewesen war, der Thaóyate Dúta getötet hatte.
Rechtliche Prüfung durch die Hintertür
Colette Routel merkt an, dass eine aus dem Recht geschöpfte Kritik an den Kopfjagd-Verordnungen ausblieb. Einen Maßstab hätte beispielsweise der sogenannte "Lieber Code" geben können. Der preußisch-amerikanische Jurist Francis Lieber (1800-1872) hatte einen Katalog kriegsrechtlicher Normen formuliert, der von Lincoln am 24. April 1863 in Kraft gesetzt wurde. Dieser Code schrieb beispielsweise die Schonung von Kriegsgefangenen vor.
Statt durch eine Prüfung an positiven, allgemeinen Normen kam das Kopfgeld-Recht, das auch in anderen US-Bundesstaaten und teilweise auf County-Ebene verbreitet war, durch einen Fall in juristischen Verruf, der wie die blutige Variante eines grotesken Monty-Python-Sketches wirkt:
Am 25. Dezember 1866 gerieten zwei Trapper, Alexander Campbell und George Liscom, im Städtchen New Ulm, Minnesota, in eine Messerstecherei, nachdem sie sich in einer Kneipe unter anderem durch ihre Kleidung – Campbell trug Moccasins – und ihre Unterhaltung in einer Mixtur aus Englisch, Französisch und Dakota den wohl überwiegend deutschen Trinkern verdächtig gemacht hatten. Einer der Zecher verstarb, nachdem einer der beiden vermeintlichen "Halbblutindianer" sich gegen einen Angriff zur Wehr gesetzt haben soll.
Die Aussage muss unklar bleiben, denn Campbell und Liscom fielen, vom Sheriff zunächst inhaftiert, dann in Fesseln ausgeliefert, dem New Ulmer Lynchmob zum Opfer. Der Lynchmord führte zu einer Anklage – und dies nur zäh, weil der Prozess in der Zuwanderer-Gesellschaft Minnesotas politisch kaum populär zu werden versprach. Die Verteidigung eines Mannes aus dem Mob bemühte das Argument, der Staat von Minnesota und einige seiner Counties stellten das Leben von Indianern nicht unter Schutz und es habe zum Tatzeitpunkt überdies Kriegszustand geherrscht.
Das fand als Argument der Verteidigung beim Minnesota Supreme Court und beim U.S. Supreme Court kein Gehör, die verhängte Todesstrafe wurde jedoch vom Governor auf lebenslängliche, dann auf zehn Jahre Haft reduziert.
Heute ist Indianerrecht erstrebenswert
Noch heute lebt die indigene Bevölkerung der USA zu guten Teilen in eigenen Rechtsordnungen. Inzwischen wurden die Vorteile entdeckt, die zum Beispiel im Glücksspielbetrieb mancher Reservate liegen – illegal in den meisten anderen US-Rechtsordnungen. Nichts macht den Ansehenswandel deutlicher als der jüngste Versuch der Nachfahren dunkelhäutiger Sklaven, die von ihren Cherokee-Eigentümern bei der Vertreibung aus den Stammesgebieten mitgenommen worden waren, sich in die Cherokee-Nation hineinzuklagen.
Die Kopfjagd-Verordnungen, die vor 150 Jahren in Kraft traten, dürfen als Versuch gelten, Menschen wegen der bloßen Zugehörigkeit zu einer "rassischen" Gruppe für völlig rechtlos zu erklären. Die Rechtsordnungen der USA haben viel rassistisches Recht exekutiert. Dieses Extrembeispiel blieb jedoch eine kurze, weitgehend vergessene Episode.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.
Martin Rath, Indianerrecht: Kopfgeldjagd auf Staatskosten . In: Legal Tribune Online, 13.10.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9790/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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