Recht und Ruch: Law and odeur

von Martin Rath

26.06.2016

Liegt es daran, dass man Düfte nicht in Akten erfassen kann? Zum Geruch hat das Recht ein sehr stiefmütterliches Verhältnis. Das verwundert, wenn man die Zumutungen einer durchschnittlichen Bahnfahrt im Sommer bedenkt, meint Martin Rath

Unverhofft wie das Giftgas aus den Gräben des Ersten Weltkriegs weht von irgendwoher die schwere Aromawolke in der Note Vanille-Kokos von einer Dame her, die mit ihrer Duft-Burka jede menschliche Gesellschaft erfolgreicher auf Abstand hält, als es ihre muslimischen Geschlechtsgenossinnen mit dem umstrittenen Textil jemals leisten könnten.

Bald drängt sich ein penetranter Duschmittelduft dazwischen, denn auch Fitnessstudio-Insassen haben einmal Freigang. Kommt noch die boshaft als Eau de Clochard bezeichnete Mischung aus Ungewaschenheit und unverdaut erbrochenem Bier dazu, ist das Geruchserlebnis einer sommerlichen Straßenbahn-Fahrt perfekt.

In Anbetracht der olfaktorischen Zumutungen des modernen Lebens wäre beispielsweise zu erwarten, dass die Rechtsgelehrten ihre Studierenden regelmäßig mit Übungsaufgaben zu den Schutzpflichten staatlicher Verkehrsunternehmen wider die duftstoffbedingten Rechtsgutsverletzungen quälten. Oder sich wenigstens um den akademischen Lückenschluss in Fragen der Düfte bemühten.

Doch scheint der Tractus olfactorius keinem Grundrechtskommentator auch nur eine Fußnote zum Recht auf körperliche Unversehrtheit wert zu sein. Man findet zwar gelehrte Spekulationen darüber, ob das Deutschlandlied unter den Satz: "Die Bundesflagge ist schwarz-rot-gold" (Art. 22 Abs. 2 Grundgesetz) zu subsummieren sei, aber keinen Anflug eines Gedankens, in welcher Beziehung der Geruchssinn zur Menschenwürde stehen könnte.

Duft steht außerhalb der Wissenschaftstradition

Schlimmer noch: In der Gliedertaxe, die den Verlust von Körperteilen und -funktionen ausmünzen hilft, zählt der Verlust eines Fußes mit 40%, der des Geruchssinns mit 10%, gefolgt noch vom Geschmackssinn mit 5% – eine Schande, gemessen daran, wie ruiniert die Lebensfreude beispielsweise von Mundkrebspatienten ohne olfaktorisches Wahrnehmungsvermögen ist.

Während es überraschend sein mag, dass deutsche Innen- und Rechtspolitiker hier noch keine Schutz- und Regelungslücke mit der unbedingten Pflicht zur Verschärfung der Gesetze aufgespürt haben, ist dies doch eine zentrale Methode ihres Berufs, sind immerhin die akademisch arbeitenden Juristinnen und Juristen als historisch behindert entschuldigt: In ihrer Hamburger Dissertation "Law & Odeur".

"Fragrance Protection in the Fields of Perfumery and Cosmetics" benennt Claire Guillemin die antiken griechischen Philosophen Platon und Aristoteles als Urheber einer gelehrten Tradition, nur dem Sehen und Hören Wert als philosophische Sinnesleistungen zuzuschreiben, während Geschmacks- und Geruchsvermögen als niedere Sinne abgetan wurden.

Nach einem sanft abgewandelten Bonmot des britischen Philosophen Alfred North Whitehead besteht ein Gutteil des europäischen Geisteslebens darin, platonische und aristotelische Zitierkartelle fortzuschreiben. Rechtswissenschaftliche Arbeiten zu olfaktorischen Fragen umweht daher leicht der Duft der intellektuellen Innovation, denn ins Zentrum der Zitierkartelle bewegen sich Duftrechtsdogmen unter dieser Voraussetzung kaum jemals.

Dissertationen zum Markenschutz von Düften

Überraschend ist für Außenstehende bereits die Prämisse von Doktorarbeiten wie Christiane Kutschas "Die Geruchsmarke. Registrierfähigkeit eines Geruchs als europäische Gemeinschaftsmarke und als nationale deutsche Handelsmarke" oder der angesprochenen Dissertation von Claire Guillemin:
Abgesehen von einer inzwischen gelöschten, seinerzeit zudem umstrittenen Geruchsmarke, die "aus dem Geruch von frisch gemähtem Gras, aufgetragen auf das Produkt", hier: Tennisbälle, bestand, findet ein Markenschutz für den reinen Geruch schlichtweg nicht statt.

Als wegweisende, besser: die Wege versperrende Entscheidung gilt hier ein Fall, den der deutsche Patentanwalt Ralf Sieckmann in eigenem Namen bis hinauf zum Europäischen Gerichtshof anstrengte.

Ihm ging es darum, eine Riechmarke anzumelden, die sich seines Erachtens in "der chemischen Reinsubstanz Methylcinnamat (= Zimtsäuremethyleser)" unter Beifügung der Strukturformel abbilden und deren Duft sich "als balsamisch-fruchtig mit einem leichten Anklang an Zimt" beschreiben ließ.
In den Schlussanträgen, die dem Europäischen Gerichtshof in der Sache Sieckmann vorlagen, strafte der spanische Generalanwalt Dámaso Ruiz-Jarabo Colomer (1949–2009) zwar die Geruchsblindheit der europäischen Geistestradition durch gelehrte Ausführungen Lügen und erkannte den Wert der Düfte an:

"Auf jeden Fall glaube ich-, dass die abstrakte Fähigkeit von über den Geruchssinn erfassbaren Zeichen, eine Kennzeichnungsfunktion zu erfüllen, völlig außer Frage steht. Wenn Sie die Waren oder Dienstleistungen einer bestimmten Herkunft symbolisieren wollen, um sie von denjenigen anderer Herkunft zu unterscheiden, wenn es darum geht, eine bestimmte Gattung, eine Qualität oder einen unternehmerischen Ruf ins Gedächtnis zu rufen, ist es das beste, auf einen Sinn zurückzugreifen, der wie der Geruchssinn unbestreitbare, ja sogar überzeugende Erinnerungseigenschaften hat."

Eine Eintragung als Marke müsse aber an der fehlenden grafischen Darstellbarkeit scheitern. Insoweit sei insbesondere das optische Wahrnehmungsvermögen des Menschen in seiner überlegenen Unterscheidungsfähigkeit gegenüber den Reizen der Umwelt doch höherrangig. Dem schloss sich das Gericht mit Urteil vom 12. Dezember 2002 (Az. C 273/00) an.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Recht und Ruch: Law and odeur . In: Legal Tribune Online, 26.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19789/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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