Die Wissenschaft im Recht: Evidenz ist kein Hexenwerk

von Martin Rath

01.02.2015

2/2: Arbeitskreis, wenn man nicht weiter weiß

Die Einzelerkenntnisse dienen dabei seinem Plädoyer für ein Mehr an sozialwissenschaftlicher Methodik. Dass Teams, ein anderes Wort für "Kollegialorgan", nicht nur in keiner Weise zur Lösung von Problemen taugen müssen, sondern manchmal kontraproduktiv sind, zeigt nicht nur die Alltagsevidenz des von Meetings geknechteten Büromenschen der Gegenwart. Auch Studien zu übersichtlich strukturierten Entscheidungen hoch kompetenter Manager belegen dies.

Die im Team abgestimmte Preisprognose von Rohstoffhändlern trifft meist weniger gut zu als der Durchschnitt ihrer unkoordinierten Einzelprognosen. Dieses Phänomen ist als "Ringelmann-Effekt" bekannt. Umgekehrt kann fehlende Information über die Leistung bzw. Leistungsfähigkeit anderer Gruppenmitglieder zu nachlassenden Beiträgen Einzelner zum Gruppenziel führen, gemeinhin als "soziales Faulenzen" bekannt.

Entscheidungsrelevant können solche ökonomischen bzw. psychologischen Erkenntnisse werden, wenn es um die Rechtsfrage geht, ob Vorstandsvergütungen angemessen sind oder bei Entscheidungen eines Unternehmensvorgangs Sorgfaltspflichtverletzungen vorlagen, die eine Haftungsfrage nach sich ziehen.

Mehr Wissenschaft braucht der Jurist

Dass an den juristischen Fakultäten in Deutschland eine Vermittlung sozialwissenschaftlicher Methoden eher nicht stattfindet, darf auch Hamann voraussetzen. Besserung, in Gestalt eines Grundkurses in Statistik & Co. kann seine Dissertation natürlich nicht leisten.

Andere Abhilfe tut Not. Hamanns Übersicht zu Methodenlehrbüchern, mit denen sich interessierte Juristinnen und Juristen auf die helle Seite der Empirie schlagen könnten, bleibt leider kurz – es findet sich nicht viel.

Die Bereitstellung entsprechenden Lehrmaterials in nicht allzu ferner Zukunft sollte dank "blended learnings" aber doch eigentlich kein Hexenwerk sein: Ob es nun die linguististische Kritik von naiven Wortlautideen, die Grundlagen der sozialwissenschaftlichen Feldforschung, Übungen zur richtigen Einschätzung von statistischen Erhebungen sind – für ein gutes juristisches Urteilsvermögen gilt es, sich dies und mehr "draufzuschaffen".

Eine mögliche Alternative wurde eingangs als Scherz angedeutet: Übt sich ein handlungsorientiertes wissenschaftliches Fach – sei es die Medizin, sei es die Jurisprudenz – nicht aktiv in wissenschaftlicher Methodik jenseits ihrer Hausmacherdogmatik, kann sie an ihren Rändern mehr oder weniger stark esoterisch ausfransen.

Scheidungsgebeutelten Mandanten ist beispielsweise zu wünschen, dass sich Rechtsanwälte auch in Zukunft eher um die empirische Seite des Vorgangs kümmern, z.B. im Richterhirn angelegte wertorientierte Vorurteilsstrukturen zum Kindeswohl statistisch aufklären, als Liebeszauber zu verkaufen.

Besprochenes Werk: Hanjo Hamann: Evidenzbasierte Jurisprudenz, Methoden empirischer Forschung und ihr Erkenntniswert für das Recht am Beispiel des Gesellschaftsrechts, 2014. XXI, 393 Seiten, ISBN 978-3-16-153322-8, 89 Euro.

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Die Wissenschaft im Recht: Evidenz ist kein Hexenwerk . In: Legal Tribune Online, 01.02.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14531/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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